Am Spiegelgrund: Unterschied zwischen den Versionen

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Die Tötungen verliefen meistens nach dem gleichen Muster. Nach Erstellung des ärztlichen Gutachtens und einer eventuellen Meldung begann eine Verschlechterung des allgemeinen Gesundheitszustandes mit schlechter Nahrungsaufnahme, Gewichtsverlust, Schnupfen, Katarrh, Lungenentzündung und hohem Fieber, bis schließlich der Tod eintrat. Viele Kinder verloren im Laufe ihres Aufenthaltes an Gewicht, wodurch die Anfälligkeit für Infektionen stieg. Kinder, die lachen und spielen konnten, wurden zu apathischen Pflegefällen gemacht und dann getötet. Unterernährung und Unterkühlungen waren qualvoll. Herbeigeführt wurde der Tod meist durch Verabreichung einer Überdosis von Veronal oder Luminal.
 
Die Tötungen verliefen meistens nach dem gleichen Muster. Nach Erstellung des ärztlichen Gutachtens und einer eventuellen Meldung begann eine Verschlechterung des allgemeinen Gesundheitszustandes mit schlechter Nahrungsaufnahme, Gewichtsverlust, Schnupfen, Katarrh, Lungenentzündung und hohem Fieber, bis schließlich der Tod eintrat. Viele Kinder verloren im Laufe ihres Aufenthaltes an Gewicht, wodurch die Anfälligkeit für Infektionen stieg. Kinder, die lachen und spielen konnten, wurden zu apathischen Pflegefällen gemacht und dann getötet. Unterernährung und Unterkühlungen waren qualvoll. Herbeigeführt wurde der Tod meist durch Verabreichung einer Überdosis von Veronal oder Luminal.
 
Frau Dr.in Türk meinte dazu: "Ich will noch bemerken, dass sich in keiner Krankengeschichte etwas von Euthanasie befindet, nirgends ein Hinweis in dieser Richtung aufscheint, da wir aus leicht begreiflichen Gründen dies gar nicht tun durften. Insofern erscheint dort, wo tatsächlich Euthanasie vorgekommen ist, die Krankengeschichte als verfälscht auf. In sehr vielen Fällen war die unmittelbare Todesursache eine Lungenentzündung, die im Zuge der Schlafmittelvergiftung aufgetreten ist. In der Krankengeschichte scheint natürlich nur Lungenentzündung auf." Die Todesmeldungen an die Eltern enthielten die "offizielle" Todesursache und den Hinweis, dass das Kind durch einen "sanften Tod erlöst" worden wäre. Diese Legende zerschlug eine Mutter 1946, die von einem von Schmerzen verzerrten und entstellten Gesicht ihres Sohnes sprach.
 
Frau Dr.in Türk meinte dazu: "Ich will noch bemerken, dass sich in keiner Krankengeschichte etwas von Euthanasie befindet, nirgends ein Hinweis in dieser Richtung aufscheint, da wir aus leicht begreiflichen Gründen dies gar nicht tun durften. Insofern erscheint dort, wo tatsächlich Euthanasie vorgekommen ist, die Krankengeschichte als verfälscht auf. In sehr vielen Fällen war die unmittelbare Todesursache eine Lungenentzündung, die im Zuge der Schlafmittelvergiftung aufgetreten ist. In der Krankengeschichte scheint natürlich nur Lungenentzündung auf." Die Todesmeldungen an die Eltern enthielten die "offizielle" Todesursache und den Hinweis, dass das Kind durch einen "sanften Tod erlöst" worden wäre. Diese Legende zerschlug eine Mutter 1946, die von einem von Schmerzen verzerrten und entstellten Gesicht ihres Sohnes sprach.
 
==Krankengeschichte von Felix Janauschek (1927 bis 1943)==
 
 
===Meldung eines "Falls von Idiotie"===
 
 
Felix Janauschek bekam mit acht Jahren Kinderlähmung. Am 4. August 1941 wurde er in die Jugendfürsorgeanstalt "Am Spiegelgrund" eingeliefert. Den Vorschriften entsprechend meldete der behandelnde Arzt, Dr. Erwin Jekelius, den Fall noch im Oktober 1941 nach Berlin. Seine Diagnose im Meldebogen lautete auf "Körperlich dem Alter entsprechend entwickelt, geistige Entwicklung Idiotie". Des Weiteren hielt er fest, dass "keinerlei Arbeitseinsatzfähigkeit zu erwarten" sei.
 
 
===Brief der verzweifelten Mutter===
 
 
Schon im September 1941 schrieb die Mutter von Felix Janauschek einen Brief an die Anstaltsleitung, um ihr Kind wiederzubekommen. "Ich kann im Amt schon keinen klaren Gedanken mehr fassen seit mir die Fürsorgerin in der Lustkandlgasse gesagt hat ich bekomme mein Kind nicht weil es 14 Jahre ist. Das Kind hat Kinderlähmung gehabt, ich hatte mir den rechten Arm gebrochen, kein Mädchen, niemand zum helfen, so gab ich ihn weg aber ich hätte ihn ja auf die Dauer auch nicht in Preßbaum lassen können, da er so abmagerte. Nun macht man mir solche Schwierigkeiten und ich weiß nicht warum. Wir sind schon so fertig mit unseren Nerven. (...) Ich bitte unbedingt Vorsorge zu treffen, daß unser Kind Felix Janauschek geb. 4. März 1927, derzeit Pav. 17 nicht wegkommt. Man hat der Frau, die ich schickte, gesagt, man weiß noch gar nichts, daß ich ihn verlangt habe. Ja um Himmels Willen, wem soll ich denn da glauben. Die Fürsorgerin vom Jugendamt sagt wieder draußen dauert es so lange. Ich laß mich jetzt nicht mehr hin- und herschicken wie einen Bettler. Ich will mein Kind. Mein lebendes Kind..."
 
 
===Ausfolgeverbot===
 
 
Ständige Anfragen der Mutter, die ihr Kind nach Hause nehmen möchte, wechseln sich mit ablehnenden und hinauszögernden Antworten von der Abteilungsärztin Dr. Helene Jokl und vom Anstaltsleiter Dr. Ernst Illing ab, der ein "Ausfolgeverbot" verhängte. Die mütterliche Sorge wurde im zusammenfassenden Gutachten als "hysterisch" bezeichnet. Der Gesundheitszustand des Sohnes beunruhigte die Mutter: "Aber wir können uns nicht denken, warum er so ruhig ist. Er hat gerne auf der Stange und den Ringen geturnt, er war so kräftig, konnte heben und tragen, jetzt macht er einen so schlappen Eindruck."
 
Exitus letalis
 
Am 4. März 1943 erkrankte Felix Janauschek an Grippe. Am Tag darauf wurde er in das Parterre des Sterbepavillons 15 verlegt. Dort registrierte man "Schlechte Nahrungsaufnahme. Starkes Nasenbluten" und bald darauf eine beginnende Lungenentzündung. Am 13. März erfolgte eine amtliche "Schlechtmeldung" an die Angehörigen, um sie über den schlechten Gesundheitszustand des Kindes zu informieren. Drei Tage später war Felix Janauschek tot. Die letzte Angabe in der Krankengeschichte stammt vom 16. März 1943: "Um 15 Uhr Exitus letalis. Todesursache: Lungenentzündung. Diagnose: Höchstgradige Demenz nach cerebraler Kinderlähmung."
 
  
 
==Aufarbeitung der Vorgänge - Kindermord am Spiegelgrund==
 
==Aufarbeitung der Vorgänge - Kindermord am Spiegelgrund==

Version vom 1. Juni 2017, 12:16 Uhr

Daten zum Bauwerk
Art des Bauwerks Gebäude
Datum von
Datum bis
Andere Bezeichnung Erziehungsanstalt Am Spiegelgrund
Frühere Bezeichnung Städtische Jugendfürsorgeanstalt Am Spiegelgrund
Benannt nach
Einlagezahl
Architekt Otto Wagner
Prominente Bewohner
PageID 6121
GND
WikidataID
Objektbezug
Quelle Felix Czeike: Historisches Lexikon Wien
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Letzte Änderung am 1.06.2017 durch WIEN1.lanm08tau
  • 14., Baumgartner Höhe 1

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48° 12' 26.74" N, 16° 16' 42.85" E  zur Karte im Wien Kulturgut

Kartenausschnitt aus Wien Kulturgut

Erziehungsanstalt Am Spiegelgrund (14, Baumgartner Höhe 1).

In der Kinderfachabteilung der städtischen Jugendfürsorgeanstalt "Am Spiegelgrund" auf der Baumgartner Höhe wurden in der Zeit des Nationalsozialismus an die 800 Kinder im Alter von null bis 18 Jahren mit angeblicher körperlicher oder geistiger Behinderung umgebracht. Der nationalsozialistische Rassenwahn verlangte die "Ausmerzung" von "lebensunwertem Leben". Unter dem nach 1945 verwendeten, verharmlosenden Begriff der "Euthanasie" (griechisch für "schöner Tod") töteten Ärztinnen und Ärzte all jene Kinder, die von ihnen als "bildungsunfähig" und "Dauerkosten" verursachend eingestuft wurden oder interessantes medizinisches Material für die Gehirnforschung abgaben.

Im Bereich der im Zuge der Nationalsozialistischen-Euthanasie 1940/1941 von Patienten weitgehend entleerten Psychiatrischen Anstalt „Am Steinhof" (ab 1941 Wagner-von-Jauregg-Heil-und Pflegeanstalt der Stadt Wien) wurde am 24. Juli 1940 die "Städtische Jugendfürsorgeanstalt Am Spiegelgrund" eröffnet. Diese umfasste einen zentralen Block von neun Pavillons (mit den ungeraden Nummern von 1-17) zwischen der Heil- und Pflegeanstalt auf der rechten Seite und der städtischen Lungenheilstätte Baumgartner Höhe (14. Sanatoriumsstraße 2) auf der linken Seite. Ab 5. März 1942 änderte sie ihre Bezeichnung in "Heilpädagogische Klinik der Stadt Wien Am Spiegelgrund" und ab 11. November 1942 führte sie die Bezeichnung "Wiener Städtische Erziehungsanstalt Am Spiegelgrund". Die ursprünglich von der Frauenabteilung genutzten Pavillons der Heil- und Pflegeanstalt standen seit Juli 1940 zur Verfügung, nachdem die "Erwachseneneuthanasie" angelaufen war. Ein großer Teil der Patientinnen und Patienten wurde in eine "ungenannte Anstalt" des Reichs gebracht und ermordet. Diese konnte später als Schloss Hartheim in Alkoven bei Linz identifiziert werden. Aus dem Protokoll einer Besprechung vom 26. Juni 1940 geht die geplante "Verlagerung" von ungefähr 2.000 Patientinnen und Patienten hervor.

Erster ärztlicher Leiter bis Ende 1941 war Dr. Erwin Jekelius. Ihm folgte Dr. Margarethe Hübsch als ärztliche Leiterin der Kinderabteilung beziehungsweise Dr. Hans Bertha als Leiter der Heil- und Pflegeanstalt bis zur Führung der "Kinderfachabteilung" 1942 als eigener Anstalt. Die pädagogische Leitung oblag Dr. Hans Krenek. Ab 16. Juni 1942 standen sieben der neun Pavillons (1, 3, 5, 7, 9, 11 und 13) der Fürsorgeabteilung des Magistrats als Dauerheim und Beobachtungsstation mit 680 Betten zur Verfügung. Erster Leiter der Säuglings- und Kinderfachabteilung "Am Spiegelgrund" wurde Dr. Heinrich Gross. Ihm zur Seite standen die Ärztinnen Dr.in Marianne Türk und Dr.in Helene Jockl. Sowohl der später offiziell eingerückte Heinrich Gross als auch Marianne Türk blieben der Anstalt nach Juli 1942 unter ihrem neuen Leiter Dr. Ernst Illing treu. Sie "betreuten" die Kinder der benachbarten städtischen Erziehungsanstalt im Bedarfsfall mit. Das benötigte Pflege- und Verwaltungspersonal wurde von der Heil- und Pflegeanstalt übernommen. In den Pavillons 15 und 17 war seit 1940 die Wiener "Kinderfachabteilung" des "Reichsausschusses zur wissenschaftlichen Erfassung von erb- und anlagebedingten schweren Leiden" (angesiedelt in der "Kanzlei des Führers" in Berlin) untergebracht, in der die vom Nationalsozialistischen Regime 1939 angeordnete und als "Kindereuthanasie" bezeichnete Tötung von "bildungsunfähigen" Kleinkindern bis zum Alter von drei Jahren (später bis zu 16 Jahren) mittels Medikamenten und Injektionen durchgeführt wurde. Ab 11. November 1942 führte diese - dann seit 1. Juli 1942 unter der kommissarischen Leitung Dr. Ernst Illing stehende selbständige Anstalt - die Bezeichnung "Wiener städtische Nervenklinik für Kinder (14, Baumgartner Höhe 1)". Auch die in den Pavillons 17 und 18 untergebrachten „schwererziehbaren" Kinder und Jugendlichen sowie die Mädchen der in Pavillon 23 befindlichen „Arbeitsanstalt für asoziale Frauen" waren ständig von Euthanasie, Zwangssterilisierung oder medizinischen Experimenten bedroht.

Als erstes übersiedelte im Juli 1940 die Schulkinderbeobachtungsstation (gegründet 1925 in der Kinderherberge am Tivoli) aus dem Zentralkinderheim (9. Lustkandlgasse) in die Pavillons 3, 5 und 9 der Fürsorgeanstalt. Die Inbetriebnahme weiterer Pavillons sollte etappenweise "nach Maßgabe der Freimachung" folgen. Von den anfangs 640 genehmigten Betten waren 40 Betten für Säuglinge bis zu einem Jahr, 60 Betten für Kleinkinder bis zu sechs Jahren, 300 Betten für Schulkinder bis zu vierzehn Jahren und 240 Betten für Jugendliche bis zu achtzehn Jahren vorgesehen. Spätestens ab Juli 1941 verfügte die Kinderabteilung auch über einen Sonderkindergarten. Die Pavillons der Erziehungsanstalt und der Nervenklinik wurden mit Genehmigung des Stadtsenates vom 18. September 1945 für ein Epidemiespital zur Verfügung gestellt. Für die Jugendfürsorge Am Spiegelgrund wurden die Pavillons 4 und 12 eingerichtet und die Anstalt unter der Bezeichnung "Erziehungsheim Am Spiegelgrund" wieder eingerichtet. Am 10. Oktober 1945 eröffnete die Knabenabteilung im Pavillon 4, Ende Jänner 1946 der Pavillon 12 für Mädchen. Bereits 1950 wurde das Heim endgültig geschlossen.

Systematische Ermordung - Kindermord am Spiegelgrund

Die meisten Kinder wurden von der Kinderübernahmestelle und anderen Heimen oder Krankenanstalten, unter anderem der Wiener Universitätskinderklinik, in die Anstalt eingewiesen. Größere Transporte kamen auch aus Gugging, dem Kinderheim Pressbaum und dem Kinderheim St. Josef in Frischau bei Znaim. Ärztinnen und Ärzte vom Spiegelgrund unternahmen aber auch eigene Selektionsreisen. Dabei suchten sie städtische und private Kinderheime und Anstalten auf, um Fälle für die Kinderfachabteilung zu suchen. Den Eltern wurde die Transferierung von einer Anstalt in die andere mit der luftgefährdeten Lage der Heilanstalt erklärt.

Einweisungsgründe

Konkrete Einweisungsgründe werden selten genannt. Nicht alle ermordeten Kinder litten unter "unheilbaren Krankheiten" oder Missbildungen. Langsames Lernen oder „Verhaltensauffälligkeit“ genügten manchmal schon. Beschrieben werden in der Familienanamnese meist nur die ungünstigen Verhältnisse. Zu kleine und nicht behindertengerechte Wohnungen, die alleinige Belastung der Mutter mit der Pflege, der Kriegsdienst des Vaters und der gesellschaftliche Druck sind die häufigsten Angaben. Oft waren die Mütter, die für den Lebensunterhalt aufkommen mussten, einfach überfordert. Vor allem in Wien erfolgte die Transferierung in die Kinderfachabteilung zum Zwecke der Verschleierung über den Weg der Ersteinweisung in andere Heime.

Diagnose entscheidet über Leben und Tod

Ein in der Kinderfachabteilung erstelltes Gutachten entschied über das weitere Leben des Kindes. 1941 hieß dieses noch ärztlicher Befund und enthielt eine psychologische Beurteilung. "Der Idiot kommt in eine Bewahranstalt und der Antisoziale in ein Konzentrationslager für Minderjährige. Beide sind für den Heilpädagogen nur bis zur Stellung der Diagnose interessant" meinte Dr. Erwin Jekelius anlässlich seines Antrittsvortrages bei der Gesellschaft für Heilpädagogik. Um der Beurteilung wissenschaftliche Seriosität zu verleihen, wurde sie in mehrere Kategorien von "nicht bildungsfähig und nicht arbeitsverwendungsfähig" bis zu "erziehbar" eingeteilt. Die "Gewissenhaftigkeit" bei der Diagnose war für die "Rassenhygieniker" die Legitimation des medizinischen Urteils, das über Leben und Tod entschied.

Meldung nach Berlin

Die Diagnose war gemäß Runderlass des Reichsministeriums des Innern vom 18. August 1939 bei Fällen von "Idiotie sowie Mongolismus", Fehlbildungen des Kopfes oder Missbildungen von Gliedmaßen oder bei Lähmungen nach Berlin zu melden. Während Säuglinge und Kleinkinder schon wenige Tage nach der Einlieferung gemeldet wurden, wurden Jugendliche länger beobachtet. Bei einer "positiven" Diagnose wurden sie in Jugend- oder Lehrlingsheime eingewiesen oder den Eltern zurückgegeben. Entscheidend für den ständigen und endgültigen Verbleib in der Nervenklinik waren in den meisten Fällen die Diagnosen "bildungsunfähig oder arbeitsunfähig", auch wenn sich dahinter ehrgeiziges Interesse an medizinischer Forschung verbarg. Getroffen wurde diese Entscheidung von den Ärztinnen und Ärzten Dr. Ernst Illing, Dr.in Marianne Türk, Dr.in Margarethe Hübsch und Dr. Heinrich Gross. Von den gemeldeten Kindern überlebten jene, die als "arbeitsverwendungsfähig" beurteilt waren, jene, die von den Eltern abgeholt wurden und jene, die im Urlaub geflohen waren. Die Ermordung der "lebensunwerten" Kinder erfolgte oft, bevor eine Antwort aus Berlin eingetroffen war.

Tötung nach gleichem Muster

Die Tötungen verliefen meistens nach dem gleichen Muster. Nach Erstellung des ärztlichen Gutachtens und einer eventuellen Meldung begann eine Verschlechterung des allgemeinen Gesundheitszustandes mit schlechter Nahrungsaufnahme, Gewichtsverlust, Schnupfen, Katarrh, Lungenentzündung und hohem Fieber, bis schließlich der Tod eintrat. Viele Kinder verloren im Laufe ihres Aufenthaltes an Gewicht, wodurch die Anfälligkeit für Infektionen stieg. Kinder, die lachen und spielen konnten, wurden zu apathischen Pflegefällen gemacht und dann getötet. Unterernährung und Unterkühlungen waren qualvoll. Herbeigeführt wurde der Tod meist durch Verabreichung einer Überdosis von Veronal oder Luminal. Frau Dr.in Türk meinte dazu: "Ich will noch bemerken, dass sich in keiner Krankengeschichte etwas von Euthanasie befindet, nirgends ein Hinweis in dieser Richtung aufscheint, da wir aus leicht begreiflichen Gründen dies gar nicht tun durften. Insofern erscheint dort, wo tatsächlich Euthanasie vorgekommen ist, die Krankengeschichte als verfälscht auf. In sehr vielen Fällen war die unmittelbare Todesursache eine Lungenentzündung, die im Zuge der Schlafmittelvergiftung aufgetreten ist. In der Krankengeschichte scheint natürlich nur Lungenentzündung auf." Die Todesmeldungen an die Eltern enthielten die "offizielle" Todesursache und den Hinweis, dass das Kind durch einen "sanften Tod erlöst" worden wäre. Diese Legende zerschlug eine Mutter 1946, die von einem von Schmerzen verzerrten und entstellten Gesicht ihres Sohnes sprach.

Aufarbeitung der Vorgänge - Kindermord am Spiegelgrund

Die Verfolgung von nationalsozialistischen Verbrechen fand nach 1945 vor dem Volksgericht statt. Mehrere Personen aus der Anstalt "Am Spiegelgrund" wurden wegen "vollbrachten Meuchelmordes" und "begangener Quälerei und Misshandlungen" angeklagt. Von den über 90 angestellten Personen wurden nur wenige vor Gericht gestellt. Anstaltsleiter Dr. Ernst Illing wurde zum Tod durch den Strang, Dr.in Marianne Türk zu zehn Jahren Freiheitsstrafe und die Krankenpflegerin Anna Katschenka zu acht Jahren schweren Kerkers verurteilt.

Dr. Erwin Jekelius wurde durch die russische Besatzungsmacht auf der Flucht gefangen und starb 1952 in einem Lager. Die ebenfalls in der Anstalt tätige Dr.in Margarete Hübsch wurde freigesprochen. Dr. Heinrich Gross war seit seiner Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft 1947 auf der Flucht. 1948 wurde er in der Steiermark verhaftet und 1950 wegen Beihilfe zum Totschlag an Kindern zu zwei Jahren schweren Kerkers verurteilt. Das weiter geführte Verfahren nach Abbüßung der zwei Jahre wurde 1951 eingestellt.

Der "Fall Gross"

Auslöser für die Auseinandersetzung der historischen und medizingeschichtlichen Forschung mit dem Thema der Kindereuthanasie war ein Gerichtsgutachten aus dem Jahr 1975, das Dr. Heinrich Gross über Friedrich Zawrel erstellte. Dieser war in seiner Kindheit in der Erziehungsanstalt "Am Spiegelgrund" gewesen. Nach mehr als 30 Jahren hatte Friedrich Zawrel den dort in der NS-Zeit tätigen Arzt als seinen Peiniger wiedererkannt. Durch einen Artikel im Kurier vom 18. Dezember 1978 wurde Dr. Werner Vogt von der Arbeitsgemeinschaft Kritische Medizin auf den "Fall Gross" aufmerksam. Seither begann er den Fall verstärkt in die Öffentlichkeit zu bringen. Erst 1999 wurde gegen den Gerichtsgutachter Gross Anklage wegen Beteiligung am Mord erhoben. 2002 wurde das Verfahren wegen "Verhandlungsunfähigkeit" auf unbestimmte Zeit vertagt. Heinrich Gross starb am 15. Dezember 2005 im 91. Lebensjahr.

Missbrauch der sterblichen Überreste

Nicht die Tötung der Kinder, sondern der weitere Missbrauch der Opfer unter dem Deckmantel der wissenschaftlichen Forschung bis in die 1970er-Jahre wurde damals aufgedeckt. In einem Keller der Pathologie der Heil- und Pflegeanstalt "Am Steinhof" wurden die sterblichen Überreste wie Köpfe oder Gehirne von über 400 Kindern für Forschungszwecke aufbewahrt. Aus den Präparaten entnommene histologische Schnitte fanden sich 1998 in großer Zahl in der Nachfolgeinstitution des Ludwig-Boltzmann-Instituts zur Erforschung der Missbildungen des Nervensystems, angesiedelt im Pavillon B der Heil- und Pflegeanstalt.

Hier war das von Heinrich Gross und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern angelegte Forschungsmaterial für wissenschaftliche Publikationen der Jahre 1954 bis 1978 untergebracht. Andere Präparate wurden in den Kriegsjahren und in den 1950er-Jahren von Heinrich Gross zur Forschung an das Neurologische Institut der Universität Wien und an das Max-Planck Institut für Hirnforschung in Gießen weitergereicht. Im Jahre 2001 wurden weitere Präparate auf dem Dachboden des Ludwig Boltzmann Instituts gefunden. Die sterblichen Überreste (Feuchtpräparate, histologische Schnitte, Paraffinblöcke) von mehr als 600 Kindern wurden im April 2002 in einem Ehrengrab der Stadt Wien am Wiener Zentralfriedhof begraben.

Literatur