Säuglingssterblichkeit

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Daten zum Eintrag
Datum von
Datum bis
Objektbezug Langes 19. Jahrhundert
Quelle Felix Czeike: Historisches Lexikon Wien
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Letzte Änderung am 18.12.2019 durch WIEN1.lanm09lue

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Unter Säuglingssterblichkeit versteht man die Zahl der während des ersten Lebensjahrs verstorbenen Kinder. Verschiedene nichtmedizinische Faktoren, wie soziale Verhältnisse, Wohnungsverhältnisse, Berufstätigkeit der Mutter und uneheliche Geburt, können die Säuglingssterblichkeit beeinflussen. Vor dem 18. Jahrhundert lassen sich kaum gesicherte Angaben zur Höhe der Säuglingssterblichkeit in Wien machen. Sie wird wie auch in anderen Städten wohl 50 % und mehr betragen haben. Auch über die Entwicklung der Säuglingssterblichkeit in Wien im 18. Jahrhundert liegen widersprüchliche Angaben vor. Nach Berechnungen auf der Basis der "Totenbeschauprotokolle" betrug die Säuglingssterblichkeitsrate 1728/1729 in Wien 55,4 % und sank bis 1752-1754 auf 40,6 %, war damit höher als in Berlin, Leipzig und Genf. Die aus den Totenbeschauprotokollen ermittelten Angaben bestätigen ab dem späten 18. Jahrhundert ein weiterhin außergewöhnlich hohes Niveau der Säuglingssterblichkeit. Im Durchschnitt der Jahre 1783-1785 lag die Säuglingssterblichkeitsrate beispielsweise bei 49,3 %, 1789-1791 bei 49,4 % und 1800 sogar bei 62,1 %. Zu berücksichtigen sind allerdings hohe jährliche Schwankungen der Säuglingssterblichkeit infolge von Epidemien. Dennoch ist an einem massiven Anstieg der ohnehin außergewöhnlich hohen Säuglingssterblichkeit in Wien im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts nicht zu zweifeln. Dieser Anstieg stand offensichtlich in Zusammenhang mit der zunehmenden Proletarisierung der Bevölkerung im Manufakturzeitalter. Im Vormärz setzte ein allerdings vorsichtig zu beurteilender Abwärtstrend bei der Säuglingssterblichkeit im Rahmen des epidemiologischen Übergangs ein. Die Säuglingssterblichkeit sank auf rund 40 % und schließlich um 1840 auf rund 30 % der Lebendgeburten. Dieser langfristige Rückgang der Säuglingssterblichkeit im Vormärz fiel wesentlich deutlicher aus als der der Gesamtmortalität. Zu berücksichtigen ist jedoch der bereits im Vormärz immer größer werdende "Export" von Säuglingssterblichkeit durch Vergabe von Findelkindern an nicht in Wien lebende Pflegeeltern. Erst in den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts trat wieder ein, nun im wesentlichen kontinuierlicher, Rückgang der Säuglingssterblichkeit ein, der sich im folgenden Jahrzehnt noch verstärkte. Nun wurden Werte um 20 % in der Stadt und in den Vorstädten erreicht, aber auch die nach dem heutigen Gebietsumfang berechnete Säuglingssterblichkeitsrate sank im Lauf der siebziger Jahre von 28 auf 24 %. Mitte der siebziger Jahre begann sich der große Wendepunkt in der Entwicklung der Säuglingssterblichkeit in Österreich im allgemeinen und in Wien im speziellen anzukündigen, der mit der "sanitären Revolution" in enger Verbindung stand. Nun setzte allmählich ein säkularer ungebrochener Rückgang der Säuglingssterblichkeit ein, der bis in die Gegenwart anhält. Lag die Mortalitätsrate (nach dem heutigen Gebietsumfang) 1886/1890 bei 23,45%, sank sie 1896/1900 auf 18,97 und 1906/1910 auf 16,57 % ab. Vor dem Ersten Weltkrieg war ein Wert von etwa 15 % erreicht. Im Gegensatz zur Gesamtmortalität erlebte der Rückgang der Säuglingssterblichkeit während des Ersten Weltkriegs keine entscheidende Unterbrechung. Er wurde in der krisenhaften unmittelbaren Nachkriegszeit zwar gestoppt, ein Anstieg trat jedoch selbst unter den außerordentlich schlechten Lebensbedingungen dieser Phase nicht ein. In der Zwischenkriegszeit spielten die unter Julius Tandler gesetzten gesundheitspolitischen Maßnahmen und eine Neuorganisierung der Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit eine Rolle (Mutterberatungsstellen [beginnend bereits 1917], Säuglingsfürsorge, Mutterschutz und Stillprämien). Die 6. Novelle zum Krankenversicherungsgesetz vom 11. März 1921 fixierte die Einführung des Wöchnerinnenschutzes sechs Wochen vor der Entbindung, eine Stillprämie (bis zum Ablauf der zwölften Lebenswoche) beziehungsweise den Kündigungsschutz für weibliche Angestellte. Nach einer kurzen Verlangsamung des Abwärtsstrends der Säuglingssterblichkeit in den Kriegs- und unmittelbaren Nachkriegsjahren fiel die Säuglingssterblichkeitsrate bis Mitte der zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts unter 10 %, bis Ende der dreißiger Jahre auf etwa 6,5 %. Erst 1945 kam es wieder zu einem Ansteigen der Säuglingssterblichkeit, die jedoch bereits 1946 wieder sank. Gesundheitsamt, Säuglingswäschepaket.

Literatur

  • Wiener Schriften. Band 11. Hg. vom Amt für Kultur, Schulverwaltung der Stadt Wien. Wien [u.a.]: Jugend & Volk, S. 224 ff.
  • Siegfried Rosenfeld: Geburtenhäufigkeit und Säuglingssterblichkeit in Wien. In: Statistische Mitteilungen der Stadt Wien 1925, S. 66
  • Andreas Weigl: Wien im demographischen Übergang. Bevölkerungsentwicklung einer Metropole im Modernisierungsprozeß. In: Kommentare zum Historischen Atlas von Wien. Band 1. 1997