Chinoiserie

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Mit Chinoiserien verzierter Pavillon (Schattenspieltheater der Musik- und Theaterausstellung), 1892
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Quelle Felix Czeike: Historisches Lexikon Wien
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Bildname Musik Theaterausstellung 1892 4.jpg
Bildunterschrift Mit Chinoiserien verzierter Pavillon (Schattenspieltheater der Musik- und Theaterausstellung), 1892

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Chinoiserie. Der Mitte 18. Jahrhundert aufgekommene Begriff Chinoiserie umfaßte original fernöstliche Gegenstände, die für europäischen Geschmack oder Verwendungszweck adaptiert wurden beziehungsweise rein europäische (billigere) Produkte, die man „indianisch" bemalte, nicht jedoch für europäische Handelsgesellschaften hergestellte Erzeugnisse.

Erste Chinoiserieperiode

In der ersten Chinoiserieperiode (1670-1720/1730) bemühte man sich um exakte Wiedergabe frei kombinierter, möglichst unperspektivischer ostasiatischer Dekormotive (beispielsweise Kasel in der Michaelerkirche, 1700/1710).

Entscheidend für die barocke Interieursgestaltung wurde die holländische (Mitte 17. Jahrhundert in Brandenburg und Preußen ausgeweitete) Idee, ostasiatisches Porzellan am Kamin auf Konsolen zur Schau zu stellen. Der nach holländischem Vorbild in Iberien und Venedig gehandhabte Einbezug fernöstlicher Lackpanele in eine rein europäische Innenarchitektur führte im süddeutschen Raum zu Spiegel- und Goldkabinetten (siehe Unteres Belvedere, nach 1716).

Das von Johann Bernhard Fischer von Erlach für Leopold I. entworfene „Indianische Kabinett" der Hofburg (um 1702) hat sich ebensowenig erhalten wie jenes für Schönbrunn (1713); Fischer nahm chinesische Gebäude in seine „Historische Architektur" auf (1721).

Von Jesuitenmissionaren erhielt Leopold I. chinesische Bücher, Lacke, Pflanzen, Arzneien und Akupunkturtafeln. Lodovico Ottavio Burnacini und (nach 1707) Antonio Daniele Bertoli entwarfen chinesische Kostüme.

Zweite Chinoiserieperiode

Zur zweiten Chinoiserieperiode (1720/1730-1760) gehören fernöstliche Vorbilder paraphrasierende, französisch geprägte Erzeugnisse der Wiener Porzellanmanufaktur (auch das aus 1450 Einzelteilen bestehende Porzellanzimmer aus dem Palais Dubsky (seit 1912 Museum für angewandte Kunst), die Specksteinreliefs im Hetzendorfer Schloß sowie Goldfischteiche, Fasanerien und Sänften.

Seit Metastasios „Le Cinesi" (1735) und „L'Eroe Cinese" (1752) beziehungsweise Glucks „L'Orfano della Cina" (1752) tauchte „China" auch bei Singspielen, Opern und Balletten als Handlungsort auf. Im Schloß Schönbrunn wurden (im Hinblick auf Maria Theresias Vorliebe für „Indianisches") fernöstliche Räume, eine Fasanerie und die Kleine Gloriette eingerichtet.

Dritte Chinoiserieperiode

Die von Sir William Chambers (* 1723 Göteborg, † 8. März 1796 London) geforderte ethnologisch getreue dritte Chinoiserieperiode (1760-1820) brachte als nachhaltigste Invention den Ersatz des „französischen Gartens" durch den unregelmäßigen chinesischen Garten; da er von England nach Mitteleuropa kam, wird er meist als „englischer Garten" bezeichnet (siehe Neuwaldegger Park [1766-96], Laxenburg).

Neben Chinoiserie in Schönbrunn und sechs Hausschildern „Zum Chinesen" gab es indirekte Auswirkungen der naturverbundenen dritten Chinoiserieperiode auf Johann Wenzel Bergls exotische Fresken (siehe Schloß Schönbrunn, Schloß Loudon, Ober-St.-Veiter Schloß); von Bühnenstücken seien Gaspare Angiolinis und Jean Georges Noverres Chinesische Ballette (1774 beziehungsweise 1772) und Antonio Salieris Oper „Cublai, gran Can dei Tartan" (1788) genannt.

Ende der Chinoiserie

Nach dem Versiegen der Chinoiserie im Klassizismus kam es nur gelegentlich zu chinesischen Zitaten (beispielsweise Chineser Galoppe von Johann Strauß, 1828; Chinesisches Fest im Tivoli, 1832; Chinesisches Fest in Penzing, 1840; Calafatis Ringelspielfigur, 1854).

Mitte 19. Jahrhundert begann die Dominanz der in Paris geschätzten japanischen Farbholzschnitte beziehungsweise seit der Wiener Weltausstellung (1873) des japanischen Kunstgewerbes.

Letzte Ausläufer der Chinamode sind ein (verschwundenes) Tanzetablissement „Chinesischer Salon" beim ehemaligen Casino Elterlein, das Turandotrelief an der Stirnseite des linken Burgtheaterstiegenhauses, ein Chinesenkopf am Haus der Kaufmannschaft sowie architektonische Details bei Loos und Oerley.

Literatur

  • Erich Köllmann: Chinoiserie. In: Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte. Band 3. München: Druckenmüller 1954, S. 439 ff.
  • Hugh Honour: Chinoiserie. The Vision of Cathay. London: Murray 1961
  • China und Europa. Chinaverständnis und Chinamode im 17. und 18. Jahrhundert. Ausstellung vom 16. Sept. bis 11. Nov. 1973 im Schloß Charlottenburg, Berlin. Berlin: Hartmann 1973
  • Madeleine Jarry: China und Europa. Der Einfluß Chinas auf die angewandten Künste Europas. Stuttgart: Klett-Cotta 1981
  • Günther Berger: Chinoiserien in Österreich-Ungarn. Frankfurt am Main [u.a.]: Peter Lang 1995
  • siehe auch Chinesen