Berta Zuckerkandl

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Berta Zuckerkandl, 1908
Daten zur Person
Personenname Zuckerkandl, Berta
Abweichende Namensform Zuckerkandl, Bertha; Szeps, Berta; Zuckerkandl-Szeps, Berta
Titel
Geschlecht weiblich
PageID 8813
GND 118758160
Wikidata Q86553
Geburtsdatum 13. April 1864
Geburtsort Wien
Sterbedatum 16. Oktober 1945
Sterbeort Paris
Beruf Journalistin, Schriftstellerin, Übersetzerin, Salonnière
Parteizugehörigkeit
Ereignis
Nachlass/Vorlass
Objektbezug Langes 19. Jahrhundert, Adolf Loos (Portal)
Quelle Felix Czeike: Historisches Lexikon Wien, Gedenktage, Gedenktage-GW
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Letzte Änderung am 10.11.2023 durch DYN.krabina
Begräbnisdatum
Friedhof Friedhof Père Lachaise
Grabstelle
Bildname Berta Zuckerkandl.jpg
Bildunterschrift Berta Zuckerkandl, 1908
  • 19., Nußwaldgasse 22 (Wohnadresse)
  • 8., Alser Straße 23
  • 1., Oppolzergasse 6 (Wohnadresse)
  • 9., Günthergasse 1 (Wohnadresse)
  • 9., Liechtensteinstraße 51 (Wohnadresse)
  • 9., Alserbachstraße 20 (Wohnadresse)
Familiäre Beziehung
Berufliche Beziehung
Beziehung, Bekanntschaft, Freundschaft

  • Orden der Ehrenlegion (Übernahme: 1929)

Anton Kolig: Berta Zuckerkandl, 1915

Berta Zuckerkandl, * 13. April 1864 Wien, † 16. Oktober 1945 Paris, Journalistin, Schriftstellerin, Übersetzerin, Salonnière.

Biografie

Berta Zuckerkandl kam als Tochter des Herausgebers des "Neuen Wiener Tagblatts" Moritz Szeps und seiner Frau Amalie zur Welt. Bertha − später sollte sie ihren Vornamen ohne "h" schreiben − wuchs in einem weltoffenen Haushalt auf, der Treffpunkt jüdischer Intellektueller war und in dem großer Wert auf Kunst und Kultur gelegt wurde. Die fünf Kinder des Ehepaares Szeps erhielten eine umfassende Ausbildung. Da Mädchen der Zugang zum Gymnasium verwehrt blieb, wurden Berta und ihre ältere Schwester Sophie (die jüngste Tochter Ella verstarb 1885 im Alter von elf Jahren) von Privatlehrern in Naturwissenschaften, Sprachen und Kunst unterrichtet. Zu ihren Lehrern zählte beispielsweise Albert Ilg. Die Familie lebte ab 1878 in einem Palais in der Liechtensteinstraße.

Am 15. April 1886 heiratete Berta Szeps in ihrem Elternhaus den um fast 15 Jahre älteren Anatomie-Professor Emil Zuckerkandl. Zunächst ging sie mit ihrem Mann nach Graz, wo er einen Lehrstuhl innehatte. Als Emil Zuckerkandl 1888 an die Universität Wien berufen wurde, übersiedelte das Paar nach Wien und lebte zunächst am Alsergrund, ehe es 1903 eine Villa in der Nusswaldgasse bezog. 1895 wurde der gemeinsame Sohn Fritz geboren.

Bereits Amalie Szeps hatte einen Salon geführt − eine Tradition, die von ihren Töchtern weitergeführt wurde. Sophie, die mit Paul Clemenceau, dem Bruder des französischen Politikers Georges Clemenceau verheiratet war, führte in Paris einen Salon, in dem Berta Zuckerkandl unter anderen Auguste Rodin und Maurice Ravel kennenlernte. Auch das Haus der Zuckerkandls in Wien entwickelte sich zum Treffpunkt der kultivierten Gesellschaft. Zu den regelmäßigen Besuchern zählten unter anderen Egon Friedell, Hugo von Hofmannsthal, Gustav Klimt, Max Reinhardt, Arthur Schnitzler und Anton Wildgans, aber auch Wissenschaftler wie Julius Wagner-Jauregg und Ernst Mach oder der Sozialreformer Julius Tandler waren dort zu Gast. Auch pflegte Berta Zuckerkandl Freundschaften mit Josef Hoffmann, der auch der persönliche Architekt der Familie war, Adolf Loos, Otto Wagner und Gustav Mahler.

Berta Zuckerkandl förderte besonders junge, avantgardistische Künstler, vor allem Secessionisten, und galt als prominente Fürsprecherin der Wiener Werkstätte. Im von Adolf Loos und Arthur von Scala angeführten Streit um die Reform des Österreichischen Museum für Kunst und Industrie versuchte Sie zunächst noch zwischen der von Josef Hoffmann vertretenen Richtung einer Vereinigung von Kunst und Handwerk bzw. Gewerbe und der von Loos geforderten strengen Trennung der beiden Pole zu vermitteln, ergriff dann jedoch eindeutig Partei für Hoffmann, nach dem sich Loos diese Annäherungsbemühungen mit einem harschen Brief an Zuckerkandl verbeten hatte. Dies hinderte ihn jedoch nicht, weiterhin in ihrem Salon zu verkehren. Später sollte sie zu den Gründungsmitgliedern der Salzburger Festspiele gehören, die 1920 erstmals stattfanden. Der Kontakt zwischen Berta Zuckerkandl und ihrer Schwester war eng. So kam es auch zum kulturellen Austausch zwischen Paris und Wien. 1914 bezog Berta Zuckerkandl − ihr Mann war bereits 1910 gestorben − eine über dem Café Landtmann gelegene Wohnung in der Wiener Innenstadt. Auch hier führte sie ihren Salon weiter, der jedoch spätestens in den 1930er Jahren an Bedeutung verlor. Grund dafür dürfte nicht zuletzt ihre zunehmend angespannter werdende finanzielle Situation gewesen sein und die sich daraus ergebende Notwendigkeit, ihren Lebensunterhalt mit zeitaufwendigen journalistischen Beiträgen und Übersetzungen zu verdienen.

Berta Zuckerkandl wuchs durch die Tätigkeit ihres Vaters im Zeitungs- und Journalismus-Milieu auf. Politik und Kultur standen auf der Tagesordnung und schon als Jugendliche begleitete sie ihren Vater bei beruflichen Reisen und war zum Teil auch in seine Arbeit eingebunden. Durch ihn lernte sie zahlreiche bekannte Persönlichkeiten kennen. Um 1900 wurde Berta Zuckerkandl zunächst als Kunstkritikerin journalistisch tätig. Sie schrieb Theaterkritiken und eine tägliche Kunstkolumne für die von ihrem Bruder Julius geleitete "Wiener Allgemeine Zeitung" (für die auch Felix Salten geschrieben hatte). Weiters veröffentlichte sie beispielsweise in "Ver sacrum" und der Zeitschrift "Deutsche Kunst und Dekoration". Zwischen 1893 und 1918 erschienen mehr als 400 Artikel allein zur Kunst. Von Karl Kraus, der ihr Kunstverständnis ablehnte, wurde sie dafür häufig kritisiert.

Während des Ersten Weltkriegs trat Berta Zuckerkandl als politische Vermittlerin auf, die ihre guten Kontakte zu Frankreich und zur französischen Politik nutzte. Sie reiste 1917 im Auftrag der Regierung als Kulturdelegierte in die Schweiz, wo sie sich (erfolglos) um einen Seperatfrieden mit Frankreich bemühte. Nach Kriegsende machte sie sich im Auftrag von Otto Bauer bei George Clemenceau, zu diesem Zeitpunkt französischer Ministerpräsident, für die Installierung einer interalliierten Lebensmittelkommission stark, wodurch die Lebensmittelknappheit in Österreich entschärft werden sollte. 1922 setzte sie sich beim französischen Finanzminister für die Völkerbundanleihe für Österreich ein.

Nach dem Tod ihres Mannes 1910 und vor allem nach dem Ersten Weltkrieg trat Berta Zuckerkandl verstärkt als Journalistin, Übersetzerin und Schriftstellerin in Erscheinung, Mit dem Schreiben musste sie sich fortan ihren Lebensunterhalt verdienen. Als Journalistin avancierte sie zur politischen Kommentatorin und außenpolitischen Berichterstatterin mit Schwerpunkt auf Frankreich und England. Als solche veröffentlichte sie vor allem zahlreiche Interviews mit hohen internationalen Politikern. Als Übersetzerin und Literaturagentin übertrug sie rund 120 Stücke aus dem Französischen ins Deutsche, darunter die Werke von Paul Géraldy, Jean Giraudoux und François Mauriac. Umgekehrt versuchte sie, Stücke österreichischer Autoren, wie beispielsweise Arthur Schnitzlers, auf französischen Bühnen zu platzieren. Für ihr Bemühen um den kulturellen Austausch zeichnete die französische Regierung sie 1929 mit dem Orden der Ehrenlegion aus.

In den 1930er Jahren wurde Berta Zuckerkandls finanzielle Situation immer angespannter: Die Wirtschaftskrise führte zum Ausbleiben von Übersetzungsaufträgen, zudem erhielt sie ab 1933 als Jüdin keine Tantieme mehr aus dem nationalsozialistischen Deutschland für die von ihr übersetzten und aufgeführten Stücke. Im März 1938 flüchtete Berta Zuckerkandl vor den Nationalsozialisten nach Paris, wo sie dem Beirat der Zentralvereinigung Österreichischer Emigranten angehörte. Als die Stadt 1940 von deutschen Truppen besetzt wurde, floh sie weiter nach Algier. Über ihre Flucht verfasste sie für das Tagebuch ihres Enkels Emile einen Bericht, der 2013 veröffentlicht wurde. 1945 erlebte sie die Niederlage der deutschen Wehrmacht und kehrte, bereits schwer krank, wieder nach Paris zurück, wo sie im Oktober desselben Jahres starb.

2009 wurde der Bertha-Zuckerkandl-Weg (mit Erläuterungstafel Bertha-Zuckerkandl-Weg) im 9. Bezirk nach der Journalistin, Übersetzerin, Schriftstellerin und Salonnière benannt. Eine Gedenktafel für Berta Zuckerkandl findet sich im 1. Bezirk.

Das Jüdische Museum Wien rückte in der vom 30. Mai bis zum 14. Oktober 2018 gezeigten Ausstellung "The Place to Be. Salons als Orte der Emanzipation" unter anderem den Salon der Berta Zuckerkandl ins Zentrum. Im November 2018 feierte das vom Verein KunstSpielerei inszenierte musikalische Theaterstück "Willkommen in meinem Salon, Berta Zuckerkandl" Premiere. Im Gegensatz zur Salonnière Berta Zuckerkandl erhielt die Journalistin und Übersetzerin bislang wenig Beachtung.

Werke (Auswahl)

  • Berta Zuckerkandl: Zeitkunst. Wien 1901–1907. Wien: Heller 1908
  • Berta Zuckerkandl: Ich erlebte fünfzig Jahre Weltgeschichte. Stockholm: Bermann-Fischer 1939
  • Berta Zuckerkandl: Österreich intim. Erinnerungen 1892–1942, posthum herausgegeben von Reinhard Federmann. Wien: Amalthea 2013
  • Berta Zuckerkandl: Flucht! Von Bourges nach Algier im Sommer 1940, posthum herausgegeben von Theresia Klugsberger und Ruth Pleyer. Wien: Czernin 2013


Quellen

Literatur

  • Bernhard Fetz [Hg.]: Berg, Wittgenstein, Zuckerkandl. Zentralfiguren der Wiener Moderne. Wien: Zsolnay 2018
  • Gertrude Enderle-Burcel [Hg.]: Berta Zuckerkandl – Gottfried Kunwald. Briefwechsel 1928–1938. Wien / Köln / Weimar: Böhlau 2018
  • Ilse Korotin [Hg.]: biografiA. Lexikon österreichischer Frauen. Band 3. Wien / Köln / Weimar: Böhlau 2016, S. 3655 f.
  • Helga Peham: Die Salonièren und die Salons in Wien. 200 Jahre Geschichte einer besonderen Institution. Wien [u. a.]: Styria 2014
  • Beatrix Schiferer: Vorbilder. Kreative Frauen in Wien 1750−1950. Wien: Verb. Wiener Volksbildung 1994, S. 95 ff.
  • Lucian Meysels: In meinem Salon ist Österreich. Berta Zuckerkandl und ihre Zeit. Wien: Edition Illustrierte Neue Welt 1994
  • Isabella Ackerl / Friedrich Weissensteiner: Österreichisches Personenlexikon [der Ersten und Zweiten Republik]. Wien: Ueberreuter 1992
  • Peter Ernst: Wiener Literaturgedenkstätten. Hg. von Felix Czeike. Wien: J & V-Edition Wien-Verlag 1990, S. 139 f.
  • Jana Wisniewski: Auf seiten der jungen Kunst. In: Arbeiter-Zeitung, 30.05.1988 [Stand: 03.01.2018]
  • Milan Dubrovic: Veruntreute Geschichte. Die Wiener Salons und Literatencafés. Wien [u. a.]: Zsolnay 1985, S. 169 ff.
  • Die Vertreibung des Geistigen aus Österreich. Zur Kulturpolitik des Nationalsozialismus. [Zusammenstellung der Ausstellung: Hochschule für Angewandte Kunst in Wien. Katalog: Gabriele Koller ... Für den Inhalt verantwortlich: Oswald Oberhuber]. Wien: Zentralsparkasse 1982
  • Gotthart Wunberg [Hg.]: Die Wiener Moderne. Literatur, Kunst und Musik zwischen 1890 und 1910. Stuttgart: Reclam 1981
  • Renate Redl: Berta Zuckerkandl und die Wiener Gesellschaft. Ein Beitrag zur österreichischen Kunst- und Gesellschaftskritik. Diss. Univ. Wien. Wien 1978
  • Franz Planer [Hg.]: Das Jahrbuch der Wiener Gesellschaft. Biographische Beiträge zur Wiener Zeitgeschichte. Wien: F. Planer 1929
  • Frauen in Bewegung: 1848–1938: Berta Zuckerkandl-Szeps [Stand: 18.06.2019]
  • FemBio: Berta Zuckerkandl [Stand: 18.06.2019]
  • Burkhardt Rukschcio / Roland Schachel: Adolf Loos. Leben und Werk. Salzburg: Residenz Verlag 1982, S. 64 f.


Weblinks