Otto Weininger

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Otto Weininger, um 1900
Daten zur Person
Personenname Weininger, Otto
Abweichende Namensform
Titel Dr. phil.
Geschlecht männlich
PageID 6255
GND 118766309
Wikidata Q78513
Geburtsdatum 3. April 1880
Geburtsort Wien 4066009-6
Sterbedatum 4. Oktober 1903
Sterbeort Wien 4066009-6
Beruf Philosoph, Schriftsteller
Parteizugehörigkeit
Ereignis
Nachlass/Vorlass
Objektbezug Karl Kraus (Portal)
Quelle Felix Czeike: Historisches Lexikon Wien, Gedenktage
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Letzte Änderung am 12.04.2024 durch WIEN1.lanm09kka
Begräbnisdatum 6. Oktober 1903
Friedhof Evangelischer Friedhof Matzleinsdorf
Grabstelle Gruppe 14, Nummer 126
Ehrengrab Ehrengrab
Bildname Otto Weininger.jpg
Bildunterschrift Otto Weininger, um 1900
  • 7., Karl-Schweighofer-Gasse (Geburtsadresse)
  • 9., Schwarzspanierstraße 15 (Letzte Wohnadresse)
Familiäre Beziehung
Berufliche Beziehung
Beziehung, Bekanntschaft, Freundschaft

Weininger Otto, * 3. April 1880 Wien, † 4. Oktober 1903 Wien, Philosoph, Schriftsteller.

Biografie

Otto Weininger wurde in eine assimilierte jüdische Familie geboren. Sein Vater, Leopold Weininger, war ein gebildeter und national sowie international angesehener Goldschmied. 1902 konvertierte Weininger zum Protestantismus.

Weininger studierte an der Universität Wien, unter anderem bei Friedrich Jodl und Laurenz Müllner, und promovierte dort 1902 im Fach Philosophie mit Auszeichnung. Seine Dissertation "Geschlecht und Charakter. Eine prinzipielle Untersuchung" war mit rund 600 Seiten sehr umfangreich. Darin entwirft Weininger eine Geschlechterkonzeption, die auf der Gegensätzlichkeit von "W(eib)" und "M(ann)" basiert. Argumentiert er zu Beginn noch die bisexuelle Anlage aller Menschen mit unterschiedlichen Anteilen an W und M, schreibt er im Laufe der Arbeit schließlich dem Mann Genie und Humanität zu und spricht dies dem "Weib", mit Ausnahme der Sexualität, ab.

Sigmund Freud, dem Weininger seine Arbeit nach der Promotion zusandte, wies diesen auf die Schwäche seiner Forschungsmethode – die Mischung von naturwissenschaftlicher und philosophisch-literarischer Methode – hin. Ohne darauf einzugehen erschien 1903 im Wilhelm Braumüller Verlag Weiningers Dissertation um rund fünfzig Seiten ergänzt. Dort überträgt er die zuvor entworfenen Geschlechterzuschreibungen auf die europäischen Völker. Auch wenn der Antifeminismus und Antisemitismus in diesen letzten Kapiteln am offensichtlichsten ist, hat der Germanist und Kulturwissenschaftler Jacques Le Rider gezeigt, dass Weiningers Genietheorie nicht von ihren frauen- und judenfeindlichen Aspekten losgelöst werden kann.

Im Oktober 1903 mietete Weininger ein Zimmer in Beethovens Sterbehaus (ehemals Schwarzspanierhaus) in der 9., Schwarzspanierstraße 15 und verübte dort, wo mehr als 70 Jahre zuvor der von ihm hoch geschätzte Ludwig van Beethoven starb, am 3. Oktober Suizid. Er wurde am Evangelischen Friedhof Matzleinsdorf bestattet.

Rezeption

"Geschlecht und Charakter" verkaufte sich trotz seines Umfangs, dem Schwierigkeitsgrad der Lektüre und dem Preis erstaunlich gut. Es wurde zum Schlüsselwerk der Wiener Moderne, in der Antifeminismus und Antisemitismus weit verbreitet waren, wenn auch selten so scharf formuliert wie von Weininger. Der Suizid des Autors und eine Plagiatsaffäre – mehrere Psychiater, unter ihnen Wilhelm Fließ und Paul Julius Moebius, verklagten den verstorbenen Weininger auf geistigen Diebstahl ihrer Lehren – trieben die Verkaufszahlen weiter in die Höhe. 1904 erschien die sechste Auflage, 1980 mit der 30. Auflage die derzeit letzte. Auch international verbreitete sich "Geschlecht und Charakter". Es erregte etwa rasch in Russland und Polen Aufmerksamkeit, eine englische Übersetzung erschien 1906 und im faschistischen Italien wurde es 1933/1934 begeistert gelesen.

Während "Geschlecht und Charakter" zeitgenössisch von Vertreter*innen der Frauenbewegung (unter anderem Rosa Mayreder) und der Psychoanalyse (etwa Alfred Adler oder Sigmund Freud) kritisch kommentiert wurde, gab es auch zahlreiche Verteidiger*innen Weiningers. Zu ihnen zählte Karl Kraus, der in der "Fackel" vehement für diesen eintrat. Im Sommer 1903 hatte Kraus "Geschlecht und Charakter" begeistert gelesen und dem Autor ein Gratulationstelegramm übersendet. Nach dem Tod Weiningers konnte Kraus August Strindberg, der ebenfalls beeindruckt von Weiningers Werk war, für einen Nachruf gewinnen. In der Fackel-Ausgabe vom 17. Oktober 1903 erschien der enthusiastische Beitrag, dem eine ganze Reihe weiterer Artikel Strindbergs in der Fackel folgten.

Weinbergs Ausführungen in "Geschlecht und Charakter" erreichten enorme Wirkung. Spuren finden sich etwa in den Werken von Hermann Broch, Elias Canetti, Franz Theodor Csokor, Heimito von Doderer, Egon Friedell, James Joyce, Franz Kafka, Alfred Kubin, Robert Musil, Arnold Schönberg, Georg Trakl und Ludwig Wittgenstein.

1957 wurde im 13. Bezirk die Otto-Weininger-Gasse nach dem Philosophen und Schriftsteller benannt. Laut Abschlussbericht der im Auftrag der Universität Wien und der Stadt Wien eingesetzten Forschungsgruppe zur Untersuchung und Kontextualisierung der Benennung der Wiener Straßennamen seit 1860 lebte Otto Weininger (selbst jüdischer Herkunft, aber zum Protestantismus konvertiert) in seiner umstrittenen Schrift "Geschlecht und Charakter" seinen "Selbsthass" und seine Frauenfeindlichkeit aus. Diese sei daher nicht mit dem politischen Antisemitismus gleichzusetzen, bedürfe jedoch weiterhin der Kommentierung und Kontextualisierung.

Werke (Auswahl)

  • Otto Weininger: Geschlecht und Charakter. Eine prinzipielle Untersuchung. Wien: Wilhelm Braumüller 1903
  • Otto Weininger: Über die letzten Dinge. Leipzig / Wien: Wilhelm Braumüller 1904/1907
  • Otto Weininger: Gedanken über Geschlechtsprobleme. Hg. von Robert Saudek. Berlin: H. Ehbock 1907
  • Otto Weininger: Taschenbuch und Briefe an einen Freund. Hg. von Artur Gerber. Leipzig / Wien: E. P. Tal 1919
  • Otto Weininger: Genie und Verbrechen. Hg. von Walther Schneider. Graz / Wien: Stiasny 1962
  • Otto Weininger: Eros und Psyche. Studien und Briefe 1899 – 1902. Hg. von Hannelore Rodlauer. Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 1990

Literatur

  • Jacques Le Rider: Schatten- und Lichtseiten der Genietheorie Otto Weiningers. In: German Life and Letters 75 (2022), S. 327–482
  • Katharina Prager / Simon Ganahl [Hg.]: Karl Kraus-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung. Berlin: J.B. Metzler 2022
  • Allan Janik: Hitler’s Favorite Jew. The Enigma of Otto Weininger. New York: Simply Charly 2021
  • Theodor Lessing: Jewish Self-Hate. New York / Oxford: Berghahn Books 2021
  • Jens Malte Fischer: Karl Kraus. Der Widersprecher. Wien: Zsolnay 2020
  • Waltraud Heindl: Otto Weininger. Ein Fall von jüdischem Antisemitismus? In: Antisemitismus in Österreich 1933–1939. Hg. von Gertrude Enderle-Burcel / Ilse Reiter-Zatloukal. Wien: Böhlau 2018, S. 1099 –1110
  • Peter Autengruber / Birgit Nemec / Oliver Rathkolb / Florian Wenninger: Umstrittene Wiener Straßennamen. Ein kritisches Lesebuch. Wien: Pichler Verlag 2014, S. 270–272
  • Chandak Sengoopta: Otto Weininger: Sex, Science, and Self in Imperial Vienna. Chicago: University of Chicago Press 2000
  • Richard Bamberger [Hg.]: Österreich-Lexikon in zwei Bänden. Wien: Verlags-Gemeinschaft Österreich-Lexikon 1995
  • Jean Clair: Vienne 1880-1938. L'apocalypse joyeuse. Katalog. Paris: Éditions du Centre Pompidou 1986
  • Tino Erben [Hg.]: Traum und Wirklichkeit. Wien 1870 - 1930. Katalog. Wien: Eigenverlag 1985 (Sonderausstellung des Historischen Museums der Stadt Wien, 93), S. 248 ff., 273 f.
  • Jacques Le Rider / Norbert Leser [Hg.]: Otto Weininger. Werk und Wirkung. Wien: Österreichischer Bundesverlag 1984
  • Hans Markl: Kennst du alle berühmten Gedenkstätten Wiens? Wien [u.a.]: Pechan 1959 (Perlenreihe, 1008), S. 232
  • Neue österreichische Biographie. 1815 – 1918. Wien [u.a.]: Amalthea-Verlag 1923–1935. Band 17


Otto Weininger im Katalog der Wienbibliothek im Rathaus.

Weblinks