Wiener Küche

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Ausstellung für bürgerliche Kochkunst und für Haus und Herd veranstaltet von der Gesellschaft vom Blauen Kreuze (Plakat 1899)
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Quelle Felix Czeike: Historisches Lexikon Wien
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Bildunterschrift Ausstellung für bürgerliche Kochkunst und für Haus und Herd veranstaltet von der Gesellschaft vom Blauen Kreuze (Plakat 1899)

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Die "Wiener Küche" ist wahrscheinlich weltweit die einzige Küche, die nach einer Stadt benannt ist. Sie ist eine typische Fusionsküche mit langer Tradition; manche Gerichte − wie Gugelhupf oder Palatschinken − lassen sich bis in die Antike zurückverfolgen. Der heute gültige Kanon der Wiener Gerichte bildete sich jedoch erst im 19. Jahrhundert durch Einflüsse aus den Kronländern aus.

Inhalt:
  1. Geschichte der Wiener Küche
    1. Mittelalter
    2. Frühe Neuzeit
    3. 19. Jahrhundert
    4. Mehlspeisküche
    5. Fastenspeisen
    6. Vegetarismus
    7. Jüdische Küche
    8. Kriegs- und Mangelküche
  2. Typische Gerichte (Auswahl)
  3. Weiterführende Beiträge
  4. Quellen
  5. Literatur

Geschichte der Wiener Küche

Mittelalter

Entsprechend der starren (nach dem Glauben der Zeitgenossen gottgewollten), stark sozial differenzierenden Gesellschaftsordnung waren im Mittelalter nicht alle Speisen für alle Gesellschaftsschichten zugänglich. Der größte Teil der Bevölkerung musste sich auf regionale Nahrungsmittel wie Getreide (Gerste, Hirse) und Gemüse (Kraut, Rüben, Bohnen) beschränken, die gut lagerfähig waren und meistens zu Breien, Suppen und Mus (woher sich auch das Wort "Gemüse" ableitet) verarbeitet wurden. Fleisch gab es in bäuerlichen Familien nur an besonderen Festtagen.

Für die oberen Gesellschaftsschichten wie den Adel und den hohen Klerus galt die Tafelkultur hingegen als Statussymbol. Die Jagd war ein Privileg des Adels, weshalb dieser Schicht Wildspeisen vorbehalten waren. Auch das "Wasserrecht" (Fischerei, Mühlen) blieb auf die "Herrschaften" beschränkt. In den vornehmen Haushalten zeigte sich zudem der Einfluss der Küche aus dem Mittelmeerraum und aus Byzanz. Mit der wachsenden Bedeutung der Städte als Handelszentren im Spätmittelalter gewannen schließlich auch Teile des Bürgertums an Wohlstand und übernahmen die Essgewohnheiten der Oberschicht.

Da nur wenige Menschen alphabetisiert waren, spiegeln Kochbücher dieser Zeit lediglich die Speisen der Oberschicht oder der Klöster wider. Unter anderem findet man hier Rezepte für Vorläufer der klassischen Wiener Küche wie etwa gekochtes Rindfleisch und Rindsuppe. Auf diese ist auch die im 19. Jahrhundert berühmt gewordene Wiener Rindfleischküche, deren populärstes Gericht der Tafelspitz ist, zurückzuführen ist[1]. Fleisch und Gebäck (Krapfen) wurden oft schwimmend in Schmalz gebacken. Diese Zubereitungsart behielt man jahrhundertelang bei, bis Mitte des 20. Jahrhunderts das Schmalz durch das als gesünder erachtete und geschmacksneutrale Öl abgelöst wurde. Ebenso ist der Brauch, zu Martini (11. November) Gänse zu essen, mittelalterlichen Ursprungs. An diesem Tag waren Steuern fällig, die auch in Naturalien wie Geflügel oder Federn beglichen werden konnten. Es war außerdem nicht möglich, alle Tiere über den Winter durchzufüttern, weshalb man sie im November schlachtete.

Angesichts der ständig drohenden Hungersnöte durch Kriege und Missernten stellte sich die Vorratshaltung als absolut überlebensnotwendig heraus. Bereits im Mittelalter waren verschiedene Methoden, Lebensmittel zu konservieren, bekannt. So konnte man Gemüse fermentieren (Sauerkraut) und Fleisch hängte man in den Kamin, um es zu räuchern. Traditionell wird noch heute Geselchtes mit Kraut und Knödeln serviert.

Frühe Neuzeit

Küchenträger, Kupferstich 1775. In: Der Kaufruf in Wien. 40 Wiener Typen nach dem Kupferstichwerk von 1775

Nach der Entdeckung Amerikas kamen unbekannte Agrarprodukte wie Erdäpfel, Paradeiser, Paprika (Spanischer Pfeffer) und Kakao nach Europa, die sich als wesentliche Zutaten der Wiener Küche etablierten.

Zur autochthonen Wiener Küche kamen etwa ab dem 16. Jahrhundert die Einflüsse aller Gebiete der späteren österreichisch-ungarischen Monarchie und ihrer Nachbarländer, vereinzelt auch Frankreichs und Englands. Die übernommenen Speisen wurden in Wien geschmacklich angepasst und verfeinert und allmählich in die gesamtösterreichische Küche integriert.

1716 meinte der deutsche Autor Paul Jacob Marperger: "Ich werde auch nicht irren / wann ich sage, / daß vielleicht in Oesterreich die besten Köche und Köchinnen der Welt anzutreffen...[sind]", und zwar wegen des kaiserlichen Hofs und der vielen Gesandten, die ihre Köche bei sich hätten und die untereinander wetteiferten. "An dem Kayserlichen Hofe selbst / seynd die Spanische, Teutsche, / Wälsche und Ungarische Koch-Arten gleichsahm concentrirt..."[2]

Der Einfluss spanischer Köche, die mit Karl VI. nach dem verlorenen Erbfolgekrieg nach Wien kamen, auf die Wiener Küche ist marginal: Der Spanische Wind (Baiser, Meringue) wurde zu kunstvollen Torten verarbeitet und wird heute noch als Windbäckerei gegessen. Diese Feinbackware erfreute sich aber auch in der französischen Küche höchster Beliebtheit. Aus dem "Spanischen Brot" wurde der Scheiterhaufen, ein süßer Auflauf. Auch die noch im Biedermeier beliebte Oliosuppe ist spanischen Ursprungs.

Kaum unmittelbaren Einfluss auf die Wiener Küche hatten die beiden Türkenbelagerungen. Zwar ist der Strudel türkischen Ursprungs, kam aber erst über den Umweg der besetzten Gebiete in Ungarn und am Balkan nach Mitteleuropa. Auf ähnlichem Weg gelangten das Reisfleisch und der Serbische Karpfen nach Wien. Eine wesentliche Zutat für diese beiden Gerichte ist Paprika, der zuerst in der türkischen Küche Verwendung fand. Das Gulasch hat Wien ungarischen Magnaten zu verdanken, die im Rahmen der Zentralisierungsbestrebungen Josephs II. in die Stadt kamen. Als Zeichen des Protests bestanden sie auf ihren traditionellen Trachten und erklärten das Gulasch, das in Ungarn selbst eine wenig beliebte Hirtenspeise war, zum Nationalgericht.

Seit dem 16. Jahrhundert gewannen polnische Gerichte an Beliebtheit. So war die Kabanossi ursprünglich eine polnische Jagdwurst. Dazu kamen Eintöpfe aus roten Rüben, Kraut oder Kohl. Fische nach polnischer Art wurden mit exotischen Gewürzen wie Ingwer, Muskat oder Zimt zubereitet. Eine Variante davon ist der "Polnische Karpfen" in einer Soße aus Lebkuchen, der noch in Kochbüchern des 20. Jahrhunderts zu finden ist. Zur Popularität der polnischen Küche trug am Ende des 17. Jahrhhunderts auch die Rolle Johann Sobieskis am Entsatz von Wien 1683 bei.

Mit Reisspeisen (Risotti, Risipisi, Milchreis ...), Teigwaren und Polenta wurden Gerichte aus Italien in Wien heimisch. Sehr früh verwendete man auch andere Zutaten aus dem Mittelmeerraum wie Olivenöl ("Baumöl"), Artischocken, Oliven und Parmesan. Gerichte '"wälscher Art" wurden oft mit Kräutern wie Basilikum und/oder Rosmarin gewürzt.

Zahlreiche zeitgenössische Autoren machten die Wiener Küche beziehungsweise die Genussfähigkeit der Wienerinnen und Wiener zum Thema. Schon der Humanist Enea Silvio Piccolomini hatte Wien als Phäakenstadt bezeichnet. 1671 versuchte Kaiser Leopold I. in seinem "Luxuspatent", die Ausgaben für Schmuck und Kleider, aber auch für Essen zu limitieren, indem er etwa die maximalen Kosten für Festessen zu verschiedenen Anlässen nach sozialen Klassen festlegte. Überprüft wurde die Einhaltung durch sogenannte Häferlgucker.

Dennoch wetterte Abraham a Sancta Clara gegen "Freß-Narren" [3] und mehr als ein halbes Jahrhundert später berichtete der Berliner Friedrich Nicolai über die "Schleckerey und Gefrässigkeit" der mittleren und niederen Stände.

Mit der Hochzeit Maria Theresias mit Franz Stephan von Lothringen gewann die französische Küche am Wiener Hof deutlich an Einfluss und fand schließlich Eingang in die bürgerliche Küche und in die Küchensprache, in der das Französische für etwas besonders Exquisites steht. Zahlreiche Kochbücher kennen das Boeuf à la mode und Zubereitungen à la Vinaigrette (mit Essig). Synonym werden die Ausdrücke "klare Suppe", Consumé und Bouillon verwendet. Selbst das Wiener Schnitzel erscheint noch im Kochbuch der Louise Seleskowitz (1830–1899) als "Panierte Schnitzel (Escalopes de veau á la viennoise)". Sehr konsequent ziehen sich französische Ausdrücke durch die "Theoretisch-praktische Anleitung zur Kochkunst" (1817) des Franz G. Zenker.

Im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts taucht in Kochbüchern erstmals der Begriff Wiener Küche auf.

19. Jahrhundert

Ox-Beef ... Cocentrirtes Fleisch in flüssiger und fester Form (Plakat 1899)

Die politischen, gesellschaftlichen und technischen Veränderungen im 19. Jahrhundert hinterließen auch in der Wiener Küche ihre Spuren. Der offene Herd wurde vom "Sparherd" abgelöst und verbesserte Verkehrswege machten die Einfuhr bisher unbekannter Lebensmittel möglich. Frühe Fertigprodukte wie Fleischextrakt und Brühwürfel erleichterten sowohl die Vorratshaltung als auch das Kochen.

Auch der Aufstieg von Teilen des Bürgertums schlug sich in der Esskultur nieder. Die Kochbuchproduktion erlebte eine erste Blüte und Kochbücher richteten sich vermehrt an ein bürgerliches Publikum. Speisen, die lange Zeit dem Adel vorbehalten waren, erreichten jetzt die bürgerlichen Küchen. Die Wiener Küche wurde zu Recht als "verbürgerlichte Hofküche" beziehungsweise "verfeinerte Bauernküche" bezeichnet.[4]

Das typische Menü der bürgerlichen Küche bestand aus vier bis fünf Gängen: Suppe, Rindfleisch, Gemüse mit Sattel (gebratenes oder gebackenes Fleisch, Fisch oder Wurst), Mehlspeise und manchmal noch Geflügel, das sich im Biedermeier besonderer Beliebtheit erfreute. So kennt Anna Dorn mehr als 50 Rezepte für Hühner und Kapaunen. Daher wird diese Epoche manchmal als "Backhendelzeit" bezeichnet. Aber auch Wildenten, Fasane, Lerchen, Rebhühner, Auerhähne, Wildtauben, Indiane (Truthähne), Rohrhühner und Krammetsvögel (Wacholderdrosseln) kamen auf den Tisch. Nach heutigem Begriff waren die Speisen hochkalorisch. Man verwendete Schmalz von Schweinen und Gänsen sowie Rinder- und Hammelfett. Gerne wurde sowohl Fleisch als auch Gemüse in einer Einmach aus Mehl und/oder Rahm serviert. Da man traditionell alle essbaren Teile eines Schlachttieres verwertete, finden sich noch in den Kochbüchern des 19. Jahrhunderts Rezepte für Kalbsohren, geräucherte Kuheuter und für verschiedenste Innereien. Auch die Wursterzeugung in Privathaushalten galt als durchaus üblich.

Seit dem späten 18. Jahrhundert war es geradezu Mode, Speisen berühmten Zeitgenossen zu widmen: Anlässlich der Hochzeit Kronprinz Rudolfs mit Stephanie von Belgien wurden verschiedene Gerichte nach der Prinzessin benannt, darunter der Stephaniebraten aus Faschiertem und gekochten Eiern. Zahlreiche Speisen erinnern an Mitglieder der Familie Esterházy, es gab Kaunitz-Omeletten, Reis Trauttmansdorff, Radetzky-Torte, -kipferl und -reis. Aber auch auf aktuelle Ereignisse reagierte die Kulinarik. Anlässlich der Ankunft der ersten Giraffe in Wien 1828 wurde die Giraffentorte kreiert und nach der Erstaufführung des "Otello" in der Hofoper finden sich dunkle Mehlspeisen mit Schokolade oder Mohn in Wiener Kochbüchern.

Vielfach wurde das Kochen als Kunst inszeniert. 1817 veröffentlichte Franz G. Zenker die "Theoretisch-praktische Anleitung zur Kochkunst". Auf der Weltausstellung 1873 inszenierte man internationale "Produkte der Kochkunst". Um den Stand der modernen Kochkunst zu propagieren, initiierte Eduard Sacher mit einigen Fachkollegen die erste Wiener Kochkunstausstellung, die im Jänner 1884 im Gartenbaugebäude stattfand. Die zweite Wiener Kochkunstausstellung in den Sophiensälen (5.−7. Jänner 1898) stand im Zeichen des 50-jährigen Thronjubiläums des Kaisers, das Protektorat übernahm Kaiserin Elisabeth.

In der Hoffnung, hier bessere Lebensbedingungen vorzufinden, kamen nach der Revolution von 1848 zahlreiche Zuwanderer nach Wien. Durch die Einflüsse aus den Kronländern erlebte die Wiener Küche in der Ära Franz Josephs I. einen besonderen Aufschwung. In Wien wurden diese Gerichte oft modifiziert und fanden zunächst in die gesamtösterreichische und schließlich in die internationale Küche Eingang. Trotzdem im 19. Jahrhundert verschiedene Nationalküchen zur "Wiener Küche" verschmolzen waren, versuchte man nach wie vor, nationale Eigenarten zu bewahren: Anlässlich der Zweiten Kochbuchausstellung wurden an die Wiener Garnison 46.000 Paar Würstel, 30.000 Liter Bier und 10.000 Liter Wein geliefert. "Die Ungarn bekommen Debreciner, die anderen Nationalitäten Wiener Würstel, die Bosniaken Schöpsenfleisch"[5], berichtete das Wiener Montagsjournal 1897.

Mehlspeisküche

Auf zum Wiener Zuckerlfest (Plakat 1901)

Bis ins 20. Jahrhundert subsumierten viele Kochbücher nahezu alle Speisen auf Mehlbasis unter "Mehlspeisen", also auch etwa Schinkenfleckerln, Krautfleckerln oder Lungenstrudel. Laut Duden ist das Wort "Mehlspeise" heute im österreichischen Deutsch ein Synonym für Kuchen oder Süßspeise.

Galt der Zucker, der bereits seit der ersten Jahrtausendwende in Europa bekannt war, zunächst als Luxusprodukt, da er nur aus dem exotischen Zuckerrohr gewonnen werden konnte, wurde er ab den 1830er Jahren − mit der industriellen Gewinnung von Zucker aus der heimischen Zuckerrübe − zum Grundnahrungsmittel und zur wichtigsten Zutat für die Wiener Mehlspeisküche. Auch weniger wohlhabende Haushalte konnten sich jetzt das begehrte Süßungsmittel leisten. Süße Mehlspeisen, Strudel, Bonbons, Sulze (Frucht- oder Blütengelees), Konfekt und "Gefrorenes" hatten so im Biedermeier ihre erste Hochblüte. Gleichzeitig entstand neben dem Kaffeehaus die Café-Konditorei, in der die Erzeugnisse von Zuckerbäckern und Konditoren serviert wurden.

Einen wesentlichen Anteil an der Entwicklung der Wiener Mehlspeis-Kultur hatten aus Böhmen stammende Köchinnen, die oft Anstellungen in großbürgerlichen Wiener Haushalten fanden und Gerichte aus ihrer Heimat mitbrachten. Vor allem Mehlspeisen aus Germteig wie Germknödel und Buchteln konnten sich in der Wiener Küche nachhaltig durchsetzen. Mehlspeisen spielten aber nicht nur als Begleitung zum Jausenkaffee, sondern auch als Hauptspeise an Fasttagen eine wesentliche Rolle.

Fastenspeisen

Bis nach dem Ersten Weltkrieg schrieb die katholische Kirche bis zu 148 Fasttage vor. Zu dieser enormen Zahl trägt auch bei, dass jeder Mittwoch und Freitag, sofern sie nicht auf einen Feiertag fielen, Fasttage waren. Manchmal wurde auch an Samstagen gefastet. Eine Polizeiverordnung aus dem Jahr 1829 verpflichtete Wirte dazu, an Fasttagen Fastenspeisen anzubieten. Fleischgerichte durften nur auf ausdrücklichen Wunsch des Gastes und nach Möglichkeit in einem separaten Teil des Lokals serviert werden. Bis ins 19. Jahrhundert unterschieden auch Kochbücher zwischen Fleischspeisen und Gerichten für Fasttage und wiesen diese gesondert aus. Während im Barock noch alle Nahrungsmittel, die von Säugetieren und Vögeln stammten, verboten waren, durfte in der Biedermeierzeit bereits Milch, Käse, Eier und sogar Schmalz an Fasttagen gegessen werden. Der Verzehr von Fischen war seit jeher erlaubt, weshalb kurzerhand auch andere im Wasser lebende Tiere den Fischen zugerechnet wurden. Anna Dorn schrieb 1827:

"[Zu den Fischen] rechnet man nicht nur die gwöhnlichen und hinlänglich bekannten, wirklichen Fischgattungen, sondern sogar Thiere aus allen übrigen Classen; - Säug-Thiere und Geflügel - wie Biber und Fischottern, Tauchänten und Rohrhühner, weil der Aufenthalt und hauptsächlich die Nahrung, ihr Fleisch in Verwandtschaft mit jenem wirklicher Fische bringt - Schildkröten, Frösche, Krebse, Schnecken und Austern."[6]

So wurden aus Karpfen und Hechten Bratwürste bereitet, geräucherter Fisch statt Schinken mit Fleckerln überbacken; es gab gebackene Schildkröten, Ragout aus Fröschen sowie Biber und Fischotter in Zwiebelsoße gedünstet.

Vegetarismus

Bildtafel "Gemüse". In: Katharina Prato: Die Süddeutsche Küche. Graz: Styria 411907

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war die vegetarische Bewegung in Wien angekommen. 1877 eröffnete Karl Ramharter sein "Speisehaus" in der Wallnerstraße als erstes vegetarisches Lokal im deutschsprachigen Raum. Weitere vegetarische Restaurants in Wien sollten bald folgen. 1881 wurde der Wiener Vegetarier-Verein, damals noch unter dem Namen "Verein für naturgemäße Lebensweise" gegründet. Die Vereinsmitglieder verpflichteten sich, auf "Nahrung, die von toten Tieren herrührt", Alkohol und andere gesundheitsschädliche Produkte zu verzichten und nur auf Naturheilmethoden zurückzugreifen.

Im September 1886 fand in Wien der erste "Vegetarier-Congreß" statt. Zeitgenössische Presseartikel belegen, dass die Toleranz und die Akzeptanz weder auf der Seite der Vegetarier noch auf der Seite derjenigen, die auf Fleischprodukte nicht verzichten wollten, besonders ausgeprägt waren. Die Motivation für die vegetarischen Ernährung waren einerseits (tier-)ethische Überlegungen, andererseits spielte der Gesundheitsaspekt eine Rolle. Der Fleischkonsum wurde vielfach wie der Alkohol für zivilisatorische Krankheiten verantwortlich gemacht, weshalb vegetarische Gaststätten in der Regel auch keinen Alkohol ausschenkten. Auf den Getränkekarten waren Tee, Malzkaffee und Obstsäfte zu finden. Diese Lokale wurden daher von sozialdemokratischen Aktivisten wie Viktor Adler, die im Alkoholkonsum ein soziales Problem erkannten, gerne frequentiert.

Es waren vor allem Angehörige der Mittelschicht, die sich dem Vegetarismus freiwillig zuwandten, während für die schlecht verdienende Arbeiterschicht vegetarische Lokale um 1900 eine billige Alternative zu den hohen Fleischpreisen boten. Aber auch Intellektuelle und Künstler wie Gustav Mahler und Hugo Wolf ernährten sich fleischlos.

1895 eröffneten Marie und Josef Schmall das erste Reformhaus in Wien, in dem man neben vegetarischen Lebensmitteln auch andere Produkte, die der Lebensreformbewegung entsprachen, wie Kosmetika und Wäsche erwerben konnte. 1900 gab das Ehepaar das Kochbuch "Die Zukunftsküche. Letzter Rettungsanker zur Verhütung völliger Entartung der Menschheit" heraus. Die entsprechenden Zutaten verkauften sie in ihrem Geschäft.

Jüdische Küche

Zeitungsannoncen für jüdische Restaurants. In: Wiener Montagszeitung, 10.04.1927

Eine typische jüdische Küche gibt es nicht. Während der Diaspora adaptierten Juden die lokalen Speisen und passten sie ihren Speisevorschriften (Kaschrut) an. Den Wiener Speiseplan bereicherten vor allem aschkenasische Juden, die während des 19. Jahrhunderts aus den ärmeren osteuropäischen Gebieten der Monarchie in die Hauptstadt kamen, mit eingelegtem Gemüse wie Kraut, Rüben, Karotten und Salzgurken. Auch verschiedene Fischgerichte wie der "Gefillte Fisch" (mit Wurzelwerk und roten Rüben) sind jüdischen Ursprungs, während der "Judenbraten" (oder das "Judenbratel"), der erstmals in biedermeierlichen Kochbüchern auftaucht, nicht koscher war, da er aus Kalbsfaschiertem und pikanter Rahmsauce bestand und die jüdischen Speisevorschriften die gleichzeitige Verwendung von Fleisch und Milchprodukten nicht erlauben. Ein typisch jüdisches Gericht ist jedoch die "Goldene Joich", die Hühnersuppe, die jeden Sabbat auf den jüdischen Tisch kommt. Wie in der Volksmedizin schreibt man ihr auch in der jüdischen Kultur heilende Wirkung bei Erkältungen und Entzündungen zu ("jüdisches Penicillin"). Umgekehrt brachten Juden, die im Laufe ihrer Geschichte immer wieder zur Emigration gezwungen worden waren, Wiener Spezialitäten in ihre neuen Heimatländer mit. Unter anderem ist das amerikanische Weißgebäck Bagel nicht nur sprachlich mit dem Beugel verwandt.

Es sind erstaunlich wenige jüdische Kochbücher erschienen. Eines ist Marie Kauders' "Vollständiges Israelisches Kochbuch mit Berücksichtigung der österreichischen, ungarischen, deutschen, französischen und englischen Küche, sowie der Osterküche". Die Rezepte darin unterscheiden sich nur marginal von denen in Wiener Kochbüchern. Es werden einfach alle Gerichte, die nicht als koscher gelten wie Schweinefleisch oder Speisen, für die Fleisch und Milchprodukte verarbeitet werden, weggelassen. Außerdem gibt Kauders Varianten, die die besonderen Speisevorschriften an bestimmten Festtagen berücksichtigen, an. So verwendet sie zu Pessach Bröseln aus Mazze statt Semmelbröseln.

Koschere Zutaten fand man in Wien vor allem in jüdischen Lebensmittelgeschäften im zweiten Bezirk, der einen relativ hohen jüdischen Bevölkerungsanteil aufwies (Mazzesinsel).

Kriegs- und Mangelküche

Korona. Kaffee Ersatzmischung (Plakat um 1916)

Im Laufe des 19. Jahrhunderts erfolgte eine zunehmende Verelendung der Arbeiterschaft und des Kleinbürgertums. Hier kamen vor allem Erdäpfel, Brot und Kaffee-Ersatz etwa aus Löwenzahn- und Zichorienwurzeln oder aus Malz auf den Tisch. Statt Butter verwendete man "Kunstbutter" (Margarine), statt Vollmilch Magermilch. Fleisch gab es nur ausnahmsweise, und wenn, dann nicht die Edelteile vom Rind oder Schwein, sondern das billigere Fleisch von Pferden und Schafen ("Schöpsernes") und vor allem Innereien wie Bruckfleisch oder Beuschel, die typischerweise auch in Vorstadtwirtshäusern auf der Speisekarte standen. Zur Versorgung der besonders unterprivilegierten Bevölkerungsgruppen erfand man bereits am Ende des 18. Jahrhunderts in Bayern die Rumfordsuppe, die in Wien erstmals 1802 ausgegeben wurde.

Während des Ersten Weltkriegs verschärfte sich die Versorgungslage in Wien immer mehr. Lebensmittel wurden rationiert, auch bürgerliche Haushalte mussten auf Ersatzprodukte zurückgreifen: Brot wurde aus Maismehl und Gulasch aus "Nährhefe" hergestellt. Als Ersatz für Fleisch wurde Suppe aus Suppenwürfeln, Wursthaut oder Fischbeinen propagiert. Außerdem aß man wieder das Fleisch von Tieren, das seit Jahrhunderten nicht mehr auf mitteleuropäische Tische gekommen war, wie jenes von Krähen, Dohlen und Elstern. In der Zwischenkriegszeit brachten Adolf und Olga Hess in ihrem Standardwerk "Wiener Küche" Rezepte für Suppen aus Pferdefleisch, "Kaninchenklein" (Kopf, Hals, Schulter, Bauchfleisch, Herz, Lunge, Leber) und Eichhörnchenfleisch. Die Kochkiste, eine wärmegedämmte Kiste, in die heiße Töpfe gestellt wurden und die es ermöglichte, Speisen ohne weitere Wärmezufuhr fertig zu garen, half Heizmaterial zu sparen.

Im Zweiten Weltkrieg kam die Wiener Küche zum Erliegen. Franz Ruhm bemühte sich, dem entgegenzusteuern. Trotz des Mangels an geeigneten Zutaten veröffentlichte er 1940 das kleine Kochbuch "Kochen im Krieg", in dem er traditionelle Gerichte entsprechend adaptierte.

Wie schon im Ersten Weltkrieg und in der Zwischenkriegszeit versuchte man auch in der NS-Zeit und in den Nachkriegsjahren, den Mangel an Nahrungsmitteln durch Gemüseanbau oder Kleintierhaltung im eigenen Garten, Nutzung von Wildpflanzen und Pilzen sowie Restevermeidung zu kompensieren.

Typische Gerichte (Auswahl)

Typische Gerichte finden sich unter den geläufigen Bezeichnungen oder unter Sammelbezeichnungen:

Weiterführende Beiträge

  • Kochbücher (hier findet sich auch eine Aufzählung von bekannten Wiener Köchinnen und Köchen, Kochbuchautorinnen und -autoren)

Quellen

  • Paul Jacob Marperger: Vollständiges Küch- und Keller-Dictionarium [...]. Hamburg: Benjamin Schillers Witwe 1716
  • Anna Dorn: Neuestes Universal- oder Großes Wiener Kochbuch. Wien: Tendler und Manstein 1827
  • Marie Kauders: Vollständiges israelisches Kochbuch mit Berücksichtigung der österreichischen, ungarischen, deutschen, französischen und englischen Küche, sowie der Osterküche. Prag [u. a.]: Jakob B. Brandeis 1903
  • Satzungen des Wiener Vegetarier-Vereines. Wien 1906
  • Olga Hess / Adolf Hess: Wiener Küche. Sammlung von Kochrezepten. Leipzig und Wien: Franz Deuticke 61926

Literatur

Allgemein

  • Ingrid Haslinger: Die Wiener Küche. Eine Kulturgeschichte. Wien: Mandelbaum Verlag 2018
  • Christoph Wagner: Universität der Genüsse. Hg. von Renate Wagner-Wittula. Innsbruck / Wien: Haymon 2015
  • Moritz Csàky / Christian Lack: Kulinarik und Kultur. Speisen als kulturelle Codes in Zentraleuropa. Wien [u. a.]: Böhlau 2014
  • Peter Peter: Kulturgeschichte der österreichischen Küche. München: Beck 2013
  • Heinz-Dieter Pohl: Von Apfelstrudel zu Zwetschkenröster. Kleines Handbuch der österreichischen Küchensprache. Wien: Ueberreuter 2008
  • Julia Danielczyk / Isabella Wasner-Peter [Hg.]: "Heut' muß der Tisch sich völlig bieg'n". Wiener Küche und ihre Kochbücher. Wien: Mandelbaum 2007
  • Hannes Etzelstorfer [Hg.]: Küchenkunst und Tafelkultur. Culinaria von der Antike bis zur Gegenwart. Wien: Verlag Brandstätter und Österreichische Nationalbibliothek 2006
  • Günter Wiegelmann: Alltags- und Festspeisen in Mitteleuropa. Innovationen, Strukturen und Regionen vom späten Mittelalter bis zum 20. Jahrhundert. Münster [u. a.]: Waxmann 22006
  • Franz Maier-Bruck: Das große Sacher Kochbuch. Die österreichische Küche. München: Schuler Verlagsgesellschaft 1975
  • Eva Bakos: Wiener Spezialitäten. Küchen-Geschichtliches aus der guten alten Zeit, versehen mit 250 Rezepten. Wien: Kremayr & Scheriau 1971
  • Klaus Dürschmid: Zur Geschichte des deutschsprachigen Kochbuchs
  • Kulinarisches Erbe Österreich: Geschichte der Ess- und Trinkkultur

Mittelalter

  • Reinhard Pohanka [Hg.]: Um die Wurst. Vom Essen und Trinken im Mittelalter. [Katalog zur 323. Sonderausstellung des Wien Museums]. Wien: Museen der Stadt Wien 2005
  • Doris Aichholzer: "Wildu machen ayn guet essen…" Drei mittelhochdeutsche Kochbücher: Erstedition, Übersetzung, Kommentar. Bern [u. a.]: Peter Lang 1999

Frühe Neuzeit

  • Peter Csendes / Ferdinand Opll [Hg.]: Wien. Geschichte einer Stadt. Band 2: Die frühneuzeitliche Residenz (16. bis 18. Jahrhundert). Hg. von Karl Vocelka und Anita Traninger. Wien [u. a.]: Böhlau 2003, S. 162−169

19. Jahrhundert

  • Roman Sandgruber: Biedermeiergenüsse. Vom Bier bis zur Vergnügungsreise. In: Tino Erben: Bürgersinn und Aufbegehren. Biedermeier und Vormärz in Wien, 1815−1848. Wien: Eigenverlag der Museen der Stadt Wien 1988 (109. Sonderausstellung des Historischen Museums der Stadt Wien), S. 596 ff.

Mehlspeisküche

  • Carola Leitner: Zuckerlsüßes Wien. Vom Betthupferl bis zum Wäschermädl. Wien: Metroverlag 2009
  • Duden: Mehlspeise, die

Vegetarismus

  • Susanne Breuss: Fleischhunger und Sodawasserlaune. Konkurrierende Esskulturen des 19. und 20. Jahrhhunderts. In: Ulrike Spring / Wolfgang Kos / Wolfgang Freitag [Hg.]: Im Wortshaus. Eine Geschichte der Wiener Geselligkeit. Wien: Wien Museum / Czernin Verlag 2007 (336. Sonderausstellung des Historischen Museums der Stadt Wien)
  • Birgit Pack: Vegetarisch in Wien um 1900

Jüdische Küche

Kriegs- und Mangelküche

  • Andrea Brenner: Das Maisgespenst im Stacheldraht. Improvisation und Ersatz in der Wiener Lebensmittelversorgung des Ersten Weltkriegs. In: Alfred Pfoser / Andreas Weigl [Hg.]: Im Epizentrum des Zusammenbruchs. Wien im Ersten Weltkrieg. Wien: Metroverlag 2013, S. 140 ff.
  • Christian Mertens: Die Auswirkungen des Ersten Weltkriegs auf die Ernährung Wiens. In: Alfred Pfoser / Andreas Weigl [Hg.]: Im Epizentrum des Zusammenbruchs. Wien im Ersten Weltkrieg. Wien: Metroverlag 2013, S. 162 ff.
  • Jutta Stammhammer: Mehlsuppe und Hummercocktail. Vom Arme-Leut'-Essen zur Haute Cuisine. Wien: Pichler 1996

Einzelnachweise

  1. Doris Aichholzer: "Wildu machen ayn guet essen…" Drei mittelhochdeutsche Kochbücher: Erstedition, Übersetzung, Kommentar. Bern [u. a.]: Peter Lang 1999, S. 120, S. 368
  2. Paul Jacob Marpgerger: Küch- und Keller-Dictionarium... Hamburg: B. Schillers Witwe 1716, S. 863
  3. Abraham a Sancta Clara: Centi-Folium Stultorum in Quarto : Oder 100 Ausbündige Narren in Folio. Wien: J. C. Megerle 1709, S. 117 ff.
  4. Ingrid Haslinger: Die Wiener Küche, S. 10
  5. Die Kochkunst für die Kasernen. In: Wiener Montagsjournal, 13.12.1897, S. 3
  6. Anna Dorn: Neuestes Universal- oder Großes Wiener Kochbuch. Wien: Tendler und Manstein 1827, S. 97