Trennungsgesetz

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Der Wiener Landtag trat erstmals am 10. November 1920 zusammen (Bild: 4. Oktober 2001).

Bezeichnung für die von Wien und Niederösterreich Ende 1921 beschlossenen, gleichlautenden Gesetze, mit denen die durch die Bundesverfassung am 10. November 1920 und die Wiener Stadtverfassung vom 18. November 1920 entschiedene Herauslösung der bisherigen Landeshauptstadt Wien aus dem früheren Kronland Niederösterreich auch eigentumsrechtlich vollzogen wurde. Die Trennungsgesetze werden in der Literatur oft mit dem bereits 1920 erfolgten Ausscheiden Wiens aus Niederösterreich verwechselt. Die Bundesverfassung hatte 1920 als Übergangslösung neben dem Niederösterreichischen und dem Wiener Landtag für gemeinsame Angelegenheiten auch noch einen Gemeinsamen Landtag vorgesehen; dieser wurde aber nicht benötigt, da die beiden neuen Bundesländer nicht die Absicht hatten, politische Gemeinsamkeiten aufrechtzuerhalten.

Die Trennungsgesetze vom 29. Dezember 1921, die mit 1. Jänner 1922 in Kraft traten, trugen dem Wunsch nach möglichst vollständiger Trennung, auch was das Eigentum des bisherigen gemeinsamen Landes betraf, Rechnung. Sie enthielten auch Bestimmungen über Anlagen und Objekte, die aufgrund der Trennung den Besitzer wechselten. Im einzelnen ging das als Aktiengesellschaft geführte Landeselektrizitätswerk in die Landes-Elektrizitätswirtschafts-AG in den gemeinsamen Besitz der beiden Bundesländer über. Die niederösterreichische Landeshypothekenanstalt wurde liquidiert. Die niederösterreichische Landesversicherungsanstalt wurde in die Aktiengesellschaft "Bundesländerversicherung" umgewandelt. Das niederösterreichische Landeszentralkinderheim mit einer Filiale in Schwadorf wurde von Wien im Eigentum übernommen. Sie diente danach nur noch für die Übernahme von Säuglingen aus armenrechtlichen Gründen und nicht mehr als Findelhaus.[1]. Ihre Aufgabe übernahm ab 1925 die Kinderübernahmestelle. Die Niederösterreichische Landesirrenanstalt, "Am Steinhof" ging gemeinsam mit dem Sanatorium "Baumgartnerhöhe" und der Landespflegeanstalt für Geisteskranke in Ybbs in den Besitz des Landes Wien über.[2] Anleihensschulden wurden durch die Hyperinflation praktisch wertlos. Die Beitragspflicht für Pensionen blieb umstritten.

Eine späte Wirkung der Trennungsgesetze ergab sich, als Niederösterreich in den 1990er Jahren seine Landesregierung und seinen Landtag nach St. Pölten verlegte. Die Gesetze hatten 1921 nämlich vorgesehen, dass das Niederösterreichische Landhaus in der Wiener Herrengasse (heute "Palais Niederösterreich" genannt) dem neuen Land Niederösterreich so lange allein zur Verfügung stehen würde, wie der niederösterreichische Regierungssitz sich in Wien befinde. Nach der Verlegung des niederösterreichischen Regierungssitzes nach St. Pölten besaß das Land Wien ein Vorkaufsrecht, verzichtete jedoch darauf. Der Anteil der Stadt Wien am Landhaus wurde vom Land Niederösterreich durch Immobilien abgelöst, die sich auf dem Gebiet der Stadt Wien und im Besitz des Landes Niederösterreich befanden.

Die auf die letzten Wiener Eingemeindungen bis 1910 zurückgehenden Grenzen zwischen den beiden neuen Bundesländern wurden 1938 durch die nationalsozialistische Gebietsreform verändert: Es wurden 97 niederösterreichische Ortsgemeinden in die Stadt Wien (bald Reichsgau Wien) eingemeindet, wodurch Groß-Wien entstand. 1946 wurde verfassungsrechtlich in Wien, in Niederösterreich und im Bund entschieden, 80 dieser Gemeinden an Niederösterreich rückzugliedern. Auf Grund eines Einspruchs der sowjetischen Besatzungsmacht konnten diese Verfassungsgesetze erst 1954 kundgemacht werden und in Kraft treten. 17 im Jahr 1938 eingemeindete Orte (darunter Stammersdorf, Süßenbrunn, Eßling, Albern, Unterlaa, Oberlaa, Rothneusiedl, die Orte des heutigen 23. Bezirks, der Lainzer Tiergarten und Hadersdorf-Weidlingau) blieben bei Wien.

Literatur

  • Magistrat der Stadt Wien (Hg.): Die Gemeindeverwaltung der Bundeshauptstadt Wien in der Zeit vom 1. Juli 1919 bis 31. Dezember 1922 unter dem Bürgermeister Jakob Reumann, Wien: Gerlach & Wiedling 1927, S. 52-63
  • Barbara Steininger: Der Trennungsprozess von Wien und Niederösterreich – rechtliche, politische und ökonomische Aspekte – oder: Szenen einer Scheidung. In: Elisabeth Loinig, Stefan Eminger, Andreas Weigl: Wien und Niederösterreich – eine untrennbare Beziehung? St. Pölten: Verlag NÖ Institut für Landeskunde, 2017, S.138-156.
  • Der Standard, 29.12.2011
  • Wiener Zeitung, 29.12.2011

Weblinks

Einzelnachweise:

  1. Magistrat der Stadt Wien (Hg.): Die Gemeindeverwaltung der Bundeshauptstadt Wien in der Zeit vom 1. Juli 1919 bis 31. Dezember 1922 unter dem Bürgermeister Jakob Reumann, Wien: Gerlach & Wiedling 1927, S. 270 f.
  2. Magistrat der Stadt Wien (Hg.): Die Gemeindeverwaltung der Bundeshauptstadt Wien in der Zeit vom 1. Juli 1919 bis 31. Dezember 1922 unter dem Bürgermeister Jakob Reumann, Wien: Gerlach & Wiedling 1927, S. 355-358.