Teuerungsrevolte

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Polizei bezieht am 17. September 1911 vor einem Lebensmittelgeschäft Stellung.
Daten zum Ereignis
Art des Ereignisses Demonstration
Datum von 17. September 1911
Datum bis 17. September 1911
Thema
Veranstalter
Teilnehmerzahl
Gewalt
PageID 23815
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Objektbezug
Quelle Felix Czeike: Historisches Lexikon Wien
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Bildname Teuerungsrevolte.jpg
Bildunterschrift Polizei bezieht am 17. September 1911 vor einem Lebensmittelgeschäft Stellung.

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Zu Beginn des 20. Jahrhunderts lebten große Teile der Wiener Bevölkerung in Armut. Die wirtschaftliche Not wuchs, als schlechte Ernten in den Jahren 1909 und 1910 zu einem massiven Anstieg der Lebensmittelpreise führten. Der Mehlpreis hatte sich verdoppelt, Fleisch war für die breite Bevölkerung unerschwinglich geworden. Auch ständig steigende Mieten setzten den Menschen schwer zu. In den Bezirken kam es immer öfter zu Zusammenstößen zwischen der Polizei und Demonstranten. Am 17. September 1911 taten tausende Menschen auf dem Wiener Rathausplatz ihren Unmut kund.

Großdemonstration auf dem Rathausplatz

Am frühen Morgen des 17. Septembers stellte die Polizei ein Aufgebot von 1.830 Mann, 220 Berittene und 135 Polizeiagenten auf. Auch das Militär wurde in Alarmbereitschaft versetzt. Gegen zehn Uhr waren etwa 100.000 Menschen auf dem Wiener Rathausplatz versammelt. Nachdem sozialdemokratische Parteigänger und Gewerkschaftsfunktionäre zur Menge gesprochen hatten, löste sich die Versammlung gegen 13 Uhr langsam auf. Als plötzlich das Gerücht die Runde machte, aus einem nahen Gebäude sei auf die Demonstranten geschossen worden, eskalierte die Situation. Wütende Demonstranten machten nochmals kehrt und bewarfen das Rathaus mit Steinen.

Blutige Ausschreitungen

Die Beschwichtigungsversuche der sozialdemokratischen Abgeordneten blieben wirkungslos. Die wütende Menge zerstörte Fensterscheiben, Geschäftsauslagen und Gaslaternen. Schließlich wurden am Gürtel auch Straßenbahnwaggons umgeworfen und angezündet. Polizei und Militär gingen mit Waffengewalt gegen die Demonstranten vor. In Ottakring kam es zu stundenlangen Straßenschlachten zwischen Jugendlichen und Polizisten. Bald brannten die ersten Schulen. Wütende Demonstranten stürmten und verwüsteten auch andere öffentliche Gebäude. Über Ottakring wurde am 18. September der Ausnahmezustand verhängt. Die Unruhen dauerten mehrere Tage an. Hunderte Menschen wurden im Zuge der Teuerungsunruhen verletzt, drei Demonstranten starben.

Die Toten der Teuerungsrevolte

Otto Brötzenberger (* 17. Jänner 1891, Eisendreher) starb an schweren Verletzungen durch einen Bajonettstich noch am Tag der Krawalle. Der 19-jährige Franz Joachimsthaler (Werkzeugschlosser) starb am 21. September an den Folgen eines Bauchschusses. In seinem Gedenken wurde im Jahr 1928 in Ottakring der Joachimsthalerplatz benannt. Franz Wögerbauer (* 9. März 1865, Angestellter) wurde durch einen Säbelhieb am Kopf schwer verletzt und starb an der Entzündung der Wunde am 30. September. Am Ottakringer Friedhof erinnert ein Grabmonument an die Toten der Teuerungsrevolte, das von der Stadt Wien ehrenhalber auf Friedhofsdauer gewidmet wurde.

Prozesse gegen Demonstranten

Justizminister von Hochenburger ging sofort und mit voller Härte gegen angezeigte Demonstranten vor. Durch rasche Verurteilungen wollte man die Bevölkerung abschrecken. Nach einem Monat waren bereits 82 Personen zu Kerker oder schwerem Kerker, 91 Personen zu Arrest oder strengem Arrest verurteilt worden. Schuld oder Unschuld ergaben sich meist allein durch die Aussage von Polizisten. Massive Einschüchterungen sollten die Gefangenen mürbe machen. Ein Gefangener verübte aus Verzweiflung sogar Selbstmord. Die Prozesse bekamen durch ungerechte Strafmaße eine politische Komponente. Während Sympathisanten der Sozialdemokratie mit hohen Strafen belegt wurden, erhielten christlichsoziale und deutschnationale Demonstranten wesentlich mildere Urteile.

Beispielhaft für die Unverhältnismäßigkeit ist der Prozess gegen Karl Nowak. Ihm wurde zur Last gelegt, die folgenden Worte an das K. u. K. bosnische Infanterie-Regiment I gerichtet zu haben: "Wenn Ihr gescheite Leut’ seids, so schießt Ihr, wenn 'schießen' kommandiert wird, nicht auf uns, sondern in die Luft!". Für diesen Zuruf wurde Karl Nowak wegen Verleitung zur Verletzung des Gehorsams zu sechs Monaten schwerem Kerker, verschärft durch einen Fasttag monatlich, verurteilt.

Quellen

Literatur

  • Wolfgang Maderthaner / Siegfried Mattl: "...den Straßenexcessen ein Ende machen". Septemberunruhen und Arbeitermassenprozeß 1911. In: Karl Stadler [Hg.]: Sozialistenprozesse. Politische Justiz in Österreich. 1870-1936. Wien / München / Zürich. Europaverlag 1986, S. 117-150
  • Hannes Tauber: Die Teuerungsrevolte vom 17. September 1911. In: Wiener Geschichtsblätter 3 (2011), S. 265-268