Spital der Israelitischen Kultusgemeinde

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Rothschildspital, 18., Währinger Gürtel 97
Daten zur Organisation
Art der Organisation Spital
Datum von 1870
Datum bis 1960
Benannt nach
Prominente Personen
PageID 6236
GND
WikidataID
Objektbezug Juden, Wiener Gesundheitsarchitekturen
Quelle Felix Czeike: Historisches Lexikon Wien, Wiener Gesundheitsarchitekturen
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Letzte Änderung am 23.11.2023 durch DYN.mariah20
Bildname Rothschildspital Währinger Gürtel.jpg
Bildunterschrift Rothschildspital, 18., Währinger Gürtel 97
  • 18., Währinger Gürtel 97
  • Rothschild-Spital

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48° 13' 35.72" N, 16° 20' 57.12" E  zur Karte im Wien Kulturgut

Das Rothschild-Spital am Stadtplan von 1887

Spital der Israelitischen Kultusgemeinde (18., Währinger Gürtel 97).

Das Rothschildspital

Das 1873 durch eine Stiftung von Anselm Freiherr von Rothschild finanzierte Spital wurde nach den Plänen des Architekten Wilhelm Stiassny erbaut und im April 1873 am Währinger Gürtel 97 eröffnet. Es wurde nach den modernsten medizinischen Erkenntnissen ausgestattet und besaß zwei medizinische Abteilungen sowie Abteilungen für Chirurgie, Urologie, Gynäkologie, Dermatologie, Ophthalmologie, Otologie, Neurologie und Röntgenologie. Berühmte Ärzte der Zweiten Wiener Medizinischen Schule wie Leopold Oser (1839-1910) und Otto Zuckerkandl (1861-1921) wirkten im Rothschildspital in leitender Funktion. Im Jahre 1925 wurde Generalstabsarzt Arnold Raschkes (1869-1950) zum Direktor des Spitals berufen und übte diese Funktion während der gesamten Zeit des Nationalsozialismus aus.

Nach dem "Anschluss"

Nach dem "Anschluss" war das Rothschildspital die einzige Krankenanstalt für Jüdinnen und Juden in Wien. Aus diesem Grund war das Spital bald heillos überfüllt, da Juden in anderen Krankenanstalten nicht mehr aufgenommen und auch sukzessive aus nichtjüdischen Institutionen entlassen wurden. Bis Jänner 1939 gelang es, die Kapazität des Krankenhauses von 250 auf 350 Betten zu erhöhen.

Während die Zahl der Patientinnen und Patienten im Spital immer weiter anstieg, dezimierte sich das medizinische Betreuungspersonal durch Flucht ins Ausland. Krankenschwestern sowie Pflegerinnen und Pfleger hingegen mussten neu ausgebildet werden, da sie zudem auch das "arische" Personal ersetzen mussten, für die es ja laut nationalsozialistischen Behörden "kaum zumutbar" war, jüdische PatientInnen zu betreuen. Aus diesem Grund gestatteten die nationalsozialistischen Behörden der Israelitischen Kultusgemeinde, ab Sommer 1938 Umschulungskurse zur Ausbildung von Röntgenassistentinnen, Hilfskrankenschwestern sowie medizinischem Hilfspersonal für die Laboratorien abzuhalten.

Einige namhafte Ärztinnen und Ärzte, die ihre berufliche Position in anderen Krankenhäusern verloren hatten, wechselten ans Rothschildspital, darunter der Internist Julius Donath (1870-1950), der Chirurg Matthias Reich (1878-1957), der Gynäkologe Josef Schiffmann (1879-1944 Wien) und der Dermatologe Robert Otto Stein (1880-1951). Alle vier Mediziner verblieben in dieser Funktion in Wien, wobei sowohl Donath als auch Schiffmann und Stein durch ihre nichtjüdischen Ehefrauen geschützt waren.

Das Rothschildspital zum Zeitpunkt der Deportationen 1941-1942

Mit Beginn der großen Deportationen im Jahre 1941 stieg die Zahl der unversorgten Kranken, die von den Transporten zurückgestellt wurden, während ihre Familienmitglieder, die sie bisher betreut hatten, deportiert wurden. Gleichzeitig versuchten sich auch viele Jüdinnen und Juden durch einen Spitalsaufenthalt einem drohenden Abtransport zu entziehen. Diese Vorgangsweise blieb den nationalsozialistischen Behörden nicht verborgen. Es folgten regelmäßige Razzien im Spital, wie der Chirurg Erich Stern in seinen Erinnerungen schildert. Dabei wurden sowohl Patientinnen und Patienten als auch Besucherinnen und Besucher perlustriert, was selbst für nichtjüdische Besucherinnen und Besucher gefährlich war. Angesichts der nach wie vor steigenden Zahl der Patientinnen und Patiente begann im Februar 1942, als die Deportationen bereits voll im Gang waren, ein neuer Ausbildungslehrgang für Krankenschwestern. Die Kursteilnehmerinnen hofften durch ihre berufliche Qualifikation auf einen Schutz vor Deportation. Zu diesen gehörte beispielsweise auch Alma Klüger, Mutter der 1931 in Wien geborenen Schriftstellerin Ruth Klüger. Im September 1942 wurde sie gemeinsam mit ihrer Tochter mit einem der letzten Transporte von Angestellten der Israelitischen Kultusgemeinde in das Konzentrationslager Theresienstadt deportiert. Alma und Ruth Klüger überlebten mehrere Lager.

Umzug in die Malzgasse

Nach Abschluss der großen Deportationen musste die Israelitische Kultusgemeinde im November 1942 das Rothschildspital am Währinger Gürtel räumen, da die SS im gut ausgestatteten Krankenhaus ein Lazarett einrichten wollte. Daraufhin wurde das jüdische Spital in das Gebäude der ehemaligen Talmud Thora Schule in 2., Malzgasse 16 verlegt, das zuvor als jüdisches Altersheim und kurze Zeit auch als Sammellager gedient hatte. Vor der Übersiedlung des Spitals musste die Israelitische Kultusgemeinde einen Großteil der Ärztinnen und Ärzte nach behördlicher Weisung entlassen, was ihre Deportation bedeutete. Der Chirurg Max Jerusalem (1873-1942) und seine Frau Julie begingen kurz vor ihrer Deporation nach Theresienstadt im September 1942 Selbstmord. Die meisten der nach Theresienstadt "evakuierten" ehemaligen Spitalsangestellten fielen den dort im Herbst 1944 einsetzenden Deportationen nach Auschwitz zum Opfer.

Ärztinnen und Ärzte am Rothschildspital

Unter den in der NS-Zeit am Rothschildspital tätigen Ärztinnen und Ärzten war Viktor Emil Frankl (1905-1997). Im Jahr 1940 übernahm er die Leitung der Neurologischen Abteilung. Während er sich beispielsweise gemeinsam mit der jüdischen Jugendfürsorgerin Franzi Löw aktiv an Rettungsversuchen von geistig behinderten jüdischen Jugendlichen beteiligte, gelten seine damaligen experimentellen hirnchirurgischen Eingriffe an Patientinnen und Patienten nach Selbstmordversuchen als umstritten. Im Rothschildspital lernte er Mathilde (Tilly) Grosser (1920-1944) kennen, die als Krankenschwester in der internen Abteilung tätig war. Die beiden heirateten im Dezember 1941. Das Glück der beiden währte jedoch nicht lange. Viktor Frankl, seine Frau und seine Familie wurden im September 1942 gemeinsam mit anderen Angestellten der Israelitischen Kultusgemeinde nach Theresienstadt deportiert, wo sein Vater, Gabriel Frankl, noch im Februar 1943 verstarb. Im Zuge der Deportationen im Oktober 1944 wurden Viktor und Mathilde Frankl gemeinsam mit Frankls Mutter Elsa schließlich nach Auschwitz deportiert, wo letztere ermordet wurde. Während Viktor Frankl in einem Außenlager des Konzentrationslagers Dachau die Befreiung erlebte, kam seine Frau Mathilde Frankl in Bergen-Belsen ums Leben.

Eine Kollegin von Frankl war die prominente Gynäkologin und Individualpsychologin Margarete Hilferding (1871-1942), die 1903 als erste Medizinstudentin an der Universität Wien promoviert hatte. In der Zwischenkriegszeit war sie als Frauenärztin und Schulärztin für das "Rote Wien" tätig. Ab 1939 arbeitete sie in der neurologischen Abteilung des Spitals. Im September 1941 wurde sie im Zuge eines behördlich angeordneten Personalabbaus entlassen. Daraufhin kam sie ins Altersheim für "Nichtarier" in 9., Seegasse 16. Von dort wurde Margarete Hilferding am 28. Juni 1942 nach Theresienstadt deportiert und wenige Monate später, am 23. September 1942, in Treblinka ermordet.

Nachkriegszeit

In der Nachkriegszeit wurde das Gebäude, das durch einen Bombentreffer beschädigt worden war, als DP-Lager für jüdische Flüchtlinge (Displaced Persons) genutzt. Zwischen 1945 und 1952 wurden ungefähr 250.000 jüdische Flüchtlinge in diesem provisorischen Flüchtlingslager betreut. Zum letzten Mal diente das Rothschildspital während der Ungarn-Krise 1956 als Unterkunft für Flüchtlinge (Ungarn-Flüchtlinge 1956). 1949 wurde das ehemalige Spital der Israelitischen Kultusgemeinde rückerstattet. Ein geplanter Wiederaufbau kam aus finanziellen Gründen nicht zustande. Das Gebäude wurde an die Wiener Handelskammer (heute Wirtschaftskammer Wien) verkauft. 1960 erfolgte der Abbruch und die Errichtung des Wirtschaftsförderungsinstituts. Seit 2010 erinnert eine Gedenktafel an das ehemalige Rothschildspital.

Literatur

Allgemein:

  • Thomas Albrich: Exodus durch Österreich. Die jüdischen Flüchtlinge 1945-1948. Innsbruck: Haymon 1987 (Innsbrucker Forschungen zur Zeitgeschichte, 1)
  • Daniela Angetter / Christine Kanzler: "Eltern, Wohnung, Werte, Ordination, Freiheit, Ehren verloren!" Das Schicksal der in Wien verbliebenen Ärzte von 1938-1945 und die Versorgung ihrer jüdischen Patienten. In: Thomas Beddies / Susanne Doetz / Christoph Kopke [Hg.]: Jüdische Ärzte im Nationalsozialismus. Entrechtung, Vertreibung, Ermordung. Berlin / Boston: De Gruyter / Oldenbourg 2014 ((Europäisch-jüdische Studien - Beiträge, 12), 58-74
  • Shoshana Duizend-Jensen: Jüdische Gemeinden, Vereine, Stiftungen und Fonds: "Arisierung" und Restitution. Wien / München: Oldenbourg 2004 (Veröffentlichungen der Österreichischen Historikerkommission, 21/2), S. 27
  • Michaela Feuerstein-Prasser / Gerhard Milchram: Jüdisches Wien. Wien: Mandelbaum 2004, S. 228-229
  • Dieter J. Hecht / Eleonore Lappin-Eppel / Michaela Raggam-Blesch: Topographie der Shoah. Gedächtnisorte des zerstörten jüdischen Wien. Wien: Mandelbaum 2015, S. 262-263
  • Eveline List: Mutterliebe und Geburtenkontrolle. Zwischen Psychoanalyse und Sozialismus. Die Geschichte der Maragarethe Hilferding-Hönigsberg. Wien: Mandelbaum 2006
  • Doron Rabinovici: Instanzen der Ohnmacht. Wien 1938-1945. Der Weg zum Judenrat. Frankfurt am Main: Jüdischer Verlag 2000
  • Herbert Rosenkranz: Verfolgung und Selbstbehauptung. Die Juden in Österreich 1938-1945. Wien / München: Herold Verlag 1978
  • Erich Stern: Die letzten zwölf Jahre Rothschild-Spital Wien 1931-1943. Wien: Europäischer Verlag 1974


Wiener Gesundheitsarchitekturen:

  • Spital der Wiener israelitischen Cultusgemeinde, XVIII. Bezirk, Währing, Gürtelstrasse 95. In: Jahres-Bericht des Wiener Stadtphysikates über seine Amtstätigkeit sowie über die Gesundheitsverhältnisse WIens und der städt. Humanitäts-Anstalten in den Jahren 1891-1893. Hg. von Wiener Stadtphysikat. Wien: 1896, S. 338-346

Weblinks