Sowjetisch-österreichische Beziehungen im Nachkriegs-Wien

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Stadtkommandant Alexej W. Blagodatow bei einem Empfang, anwesend Bürgermeister Theodor Körner und Vizebürgermeister Alois Weinberger, August 1945
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Das Verhältnis der sowjetischen Besatzungstruppen zur Wiener Bevölkerung war von Beginn an ein schwieriges. Nicht nur waren die Sowjets unter den vier Besatzungsmächten am stärksten vom Vernichtungskrieg der Nationalsozialisten betroffen gewesen, sie waren auch die einzigen, die in Wien an unmittelbaren Kampfhandlungen beteiligt waren. Da die West-Alliierten erst mit 1. September ihre Zonen übernahmen, blieben die Sowjets über Monate die alleinigen Herren in der Stadt. Ab 1. September fielen der Sowjet-Armee die Bezirke 2, 4, 10, 20 und 21 zu (Sowjetischer Sektor in Wien).

Zonentafel auf der Augartenbrücke; im Hintergrund die Roßauer Kaserne, Februar 1949

In der Bevölkerung bildete sich ein ambivalentes Verhältnis zur Besatzungsmacht heraus: In den ersten Nachkriegsmonaten sicherte die Rote Armee die Versorgung der Bevölkerung und half auch tatkräftig beim Wiederaufbau der Stadt mit. Andererseits war keine der Besatzungsmächte dermaßen gefürchtet, denn die sowjetischen Soldaten waren unberechenbar – es kam zu zahlreichen Beschlagnahmungen, Plünderungen und Gewalttaten. Der sowjetische Geheimdienst versetzte mit Entführungen die Wienerinnen und Wiener in Angst und Schrecken.

Sowjetische Besatzung bis Ende August 1945

Während des Kampfes um Wien kam es zu ersten Plünderungen und Vergewaltigungen. Nach dem Abzug der Wehrmacht wurde die Rote Armee schnell sehr widersprüchlich wahrgenommen: Einerseits versorgten freundliche Soldaten Kinder mit Lebensmitteln, andererseits kam es weiterhin zu Gewalttaten und Plünderungen. Während manche Offiziere sich daran beteiligten, griffen andere mit strenger Hand durch – es kam sogar zu Exekutionen von Sowjet-Soldaten durch ihre Vorgesetzten.

Vom Zeitpunkt der Befreiung Wiens im April 1945 bis zur Übernahme der Sektoren durch die anderen Besatzungsmächte am 1. September fiel die Verwaltung der Stadt Wien der sowjetischen Armee zu. In dieser Zeit waren primär die vor Ort befindlichen sowjetischen Soldaten mit Hilfs- und Unterstützungsleistungen sowie mit Wiederaufbauarbeiten betraut. Erste Hilfsleistungen im Bereich der Ernährung kamen schon mit der Maispende. Auch über den Sommer waren die Sowjets stark in die Lebensmittelverteilung involviert, sie nahmen die Einreihung der Bevölkerung in Kategorien vor, druckten Lebensmittelkarten und stellten Transportmittel für die Ausgabe zur Verfügung. Brennholz zur Energieversorgung langte aus dem sowjetisch besetzten Niederösterreich ein.

Die Sowjets stellten zu Beginn Lastwagen für Flüchtlings-, Lebensmittel-, Baustoff- und Leichentransporte zur Verfügung, doch hielten sie ihre Zusagen kaum je in vollem Ausmaß ein. Die Effizienz hing dabei vom Willen der damit betrauten Soldaten ab. Diese verweigerten unter Umständen ihren Dienst und ließen sich Bestätigungen für Tätigkeiten abzeichnen, die sie nie durchgeführt hatten. Mit Anfang Juli stoppte die Bereitstellung von Lastwagen gänzlich.

Es kam immer wieder zu unangekündigten und eigenmächtigen Requirierungen und zur Zwangsverpflichtung von Personal, das manchmal auch länger abgängig war. Im April 1945 gab es beispielsweise zahlreiche Berichte von Eingriffen der sowjetischen Armee in die Arbeit der Wasserwerke: Zahleiche Bedienstete wurden ihrem Tätigkeitsfeld entzogen und für andere Aufgaben abgestellt, manche davon tauchten tagelang nicht mehr auf. Beschlagnahmungen betrafen auch den Fuhrpark des öffentlichen Verkehrs. Probleme ergaben sich bei der Kohleversorgung Wiens, denn die in Niederösterreich befindlichen Waggons mussten erst von den Sowjets freigegeben werden. Teile der Kohlelieferungen aus der Britischen Zone behielten die Sowjets auf der Strecke ein, was in Wien Befürchtungen weckte, dass die Briten, sollten sie davon erfahren, die Lieferungen gänzlich einstellen könnten. Die Frage der Bezahlung blieb ebenso ungeklärt.

Unterkünfte und Stellen

Direkt nach dem Krieg bezog die russische Armee in ehemaligen Kriegsgefangenenlagern Quartier, u.a. in Stockerau und Oberhollabrunn (alleine 6000 Personen). Bis zur Übergabe hatten die sowjetischen Truppen auch Gebäude in den später den Briten, Franzosen und US-Amerikanern zufallenden Zonen inne, so etwa das Kühlhaus St. Marx und das dazugehörige Wohngebäude, das sie im September räumten, bevor dort im Oktober die Briten Quartier nahmen. Das Altersheim Baumgarten übergaben die Sowjets an die französische Besatzungsmacht.

Hotel Imperial als sowjetische Botschaft und Sitz der Zivilverwaltungsbehörde, Mai 1955

Ihr dauerhaftes Hauptquartier errichteten die Sowjets im Hotel Imperial, das sich in der Interalliierten Zone befand, die Stadtkommandantur befand sich in 1., Dr.-Karl-Renner-Ring 1. An Spitälern okkupierten die sowjetischen Truppen bis 1955 das Brigittaspital, kurzfristig direkt nach dem Krieg auch das Maria-Theresien-Schlössel und das Wiedner Krankenhaus. Das Obdachlosenheim Kastanienallee (12) räumten die Sowjets 1946. Besetzt blieb ein Teil des Messegeländes (2).

Das ehemalige Epsteinpalais, Sitz der sowjetrussischen Kommandantur von 1945 bis 1955, 1946.

Über die Folgejahre kam es immer wieder zu vereinzelten Freigaben, darunter ein Hotel in der 1., Grashofgasse im Jahr 1952. Ende 1953 zählte die Stadt Wien fast 1400 Wohnungen und über 380 Objekte, die offiziell den Sowjets zugeteilt waren; dazu kamen über 1000 weitere Objekte (davon 886 Wohnungen), die zwar nicht mehr offiziell beschlagnahmt waren, aber dennoch weiter im Gebrauch der sowjetischen Besatzungsmacht waren. Zum Zeitpunkt des Abzugs hielten die Sowjets noch 2375 Objekte, alle Alliierten zusammen hatten knapp über 3000. Entschädigungszahlungen für von der sowjetischen Armee in Anspruch genommenen Wohnraum konnten die Besitzer und Besitzerinnen bei der Magistratsabteilung 5 (Rathaus) geltendg machen.

Russisches Quartier in einem beschlagnahmten Haus, 1946

Siehe auch: Alliierte "Wohnungen".

Sowjetische Unterstützungs- und Hilfsleistungen

Nach der Maispende die nur eine kurze Verbesserung der Versorgungslage brachte langten im Sommer 1945 weitere sowjetische Hilfslieferungen ein. Ende September 1945 informierte Stadtkommandant Alexej W. Blagodatow Bürgermeister Körner über die Lieferung von 5600 Tonnen Mehl, 1000 Tonnen Graupen sowie Zucker, Salz und Kaffee für Oktober; dafür wurden 100 LKW bereitgestellt. Nichtsdestotrotz blieb die sowjetische Besatzungszone nach der Aufteilung Wiens in Besatzungszonen die am schlechtesten versorgte Zone was auch mit der schwierigen Versorgungssituation in der Sowjetunion in Verbindung stand.

Ein wiederkehrendes Motiv in der Berichterstattung ist die Kinderfreundlichkeit sowjetischer Soldaten. Schon in den ersten Nachkriegstagen wurden Kinder mit Süßigkeiten bedacht. Zu Weihnachten 1945 richtete die sowjetische Besatzungsmacht eine Feier für 900 Kinder aus, die den Film "Schneewittchen und die sieben Zwerge" zu sehen bekamen und Weihnachtspakete erhielten. Insgesamt gab die Sowjetarmee in ihrer Zone zu Weihnachten 1945 10.000 Pakete an Kinder aus. Weihnachten 1947 fanden die Weihnachtsfeiern für 6 bis 14-jährige Kinder über drei Tage in der Hofburg statt.

Kinderbewirtung durch die sowjetische Armee. Eltern und Kinder beim Essen, 7. November 1945

Wiederaufbau

Im Prozess des Wiederaufbaus waren sowjetische Pioniertruppen (unterstützt von österreichischen Arbeitern und Firmen) vor allem mit der Reparatur und Errichtung von Brücken betraut. Bis Anfang 1946 waren so 13 Brücken instandgesetzt (darunter die Friedensbrücke), innerhalb eines Jahres konnten 32 Brücken wiederhergestellt werden. Im Mai 1946 konnte neben der Schwedenbrücke auch die im April 1945 zerstörte Floridsdorfer Brücke wieder der Öffentlichkeit übergeben werden, letztere hieß nun zu Ehren der Sowjets Malinowskijbrücke. Umbenannt wurde auch die Reichsbrücke, die als Brücke der Roten Armee ab Juli 1946 für Fußgänger nutzbar war. Die zuständige Magistratsabteilung 29 (Brücken- und Wasserbau) war dabei auf die Hilfe der Roten Armee angewiesen, denn diese hatte die Möglichkeit, den enormen Bedarf an ohnehin knappem Baumaterial aus dem Ausland zu beschaffen, konnte Transportmittel und Lebensmittel für die Bauarbeiter bereitstellen. Auch außerhalb Wiens half die Rote Armee beim Brückenbau, im November 1945 hatten sie rund 80 von 307 zerstörten Eisenbahnbrücken wiederhergestellt.

Eröffnung der Friedensbrücke, 12. Februar 1946

Im Juni 1946 retournierten sowjetische und US-amerikanische Truppen von den Nationalsozialisten verschleppte Feuerwehrautos nach Wien.

Medien

Nachdem am 14. April 1945 Oskar Czeija mit 14 ehemaligen Mitarbeitern im sowjetisch besetzten Funkhaus mit dem Wiederaufbau der RAVAG begonnen hatte und am 30. April 1945 der regelmäßige Sendebetrieb auf die sowjetrussische Zone beschränkt und unter sowjetischer Zensur aufgenommen wurde musste ab 7. Juni 1945 täglich die "Russische Stunde" mit sowjetisch-kommunistischer Propaganda gesendet werden. Die Sendung wurde am 27. Juli 1955 eingestellt. Besonders interessiert waren die Sowjets am Wiener Kinoprogramm. Anfang Juli kam die sowjetische Reportage "Kampf um Wien" in die Kinos, Anfang August wurden 18 sowjetische Filme in den Wiener Kinos gezeigt.

Am 13. Oktober 1945 wurde die Aufgabe der Propaganda von den Politorganen der Roten Armee getrennt und ging an eine eigene Abteilung für Propaganda außerhalb der Alliierten Kommission über. Die Propagandaabteilung bestand aus Unterabteilungen für Propaganda, Presse und Zensur, für die Arbeit mit der KPÖ, für Information und für kulturelle Aktivitäten in den USIA-Betrieben und der Sowjetischen Mineralölverwaltung.[1]

Politik und Verwaltung

Die sowjetische Abteilung der Alliierten Kommission war die erste, die Verbindung zum österreichischen Heeresamt aufnahm. Bei einem Festakt zur Gründung der provisorischen Regierung am 29. April 1945 übergab Blagodatow das Parlament an Renner, der anschließend die Wiederherstellung der Republik verkündete. Eine sowjetische Militärkapelle stimmte dazu den Donauwalzer an.

Bürgermeister Theodor Körner setzte von Anfang an auf gute Beziehungen zur Sowjetunion. Einen äußerst positiven Eindruck hinterließ sein Besuch in Moskau 1947. Körner war förderndes Mitglied in der "Gesellschaft zur Pflege der kulturellen und wirtschaftlichen Beziehungen zur Sowjetunion", die unter anderem eine Ausstellung zum 28. Jahrestag der Roten Armee organisierte. Die Sonderrolle der Roten Armee bei der Befreiung Wiens betonte er in seinen Reden immer besonders, er dankte namentlich Stalin für die Befreiung. Ab 1949 mischten sich jedoch auch kritischere Töne in seine Reden. Schon am 19. August wurde das Befreiungsdenkmal am Schwarzenbergplatz in Anwesenheit der provisorischen Regierung enthüllt. Zum Jahrestag der Befreiung im April bis 1955 fanden alljährlich Gedenkfeierlichkeiten an mehreren Stellen statt, darunter bei den sowjetischen Grabstätten am Zentralfriedhof. Die dort neu errichtete Grab- und Gedenkstätte hinter der dortigen Luegerkirche war im August 1946 feierlich eröffnet worden. Begangen wurde außerdem der Jahrestag der Oktoberrevolution, sowohl auf dem Schwarzenbergplatz, als auch am Zentralfriedhof.

Enthüllung des Befreiungsdenkmals am Schwarzenbergplatz, 19. August 1945

Die Ehrung der Sowjetarmee drückte sich ein Jahr nach der Befreiung in Umbenennungen öffentlicher Plätze aus. Der Schwarzenbergplatz, wo sich bereits das Denkmal befand, hieß nun Stalinplatz, die Laxenburger Straße wurde nach Marschall Fjodor Iwanowitsch Tolbuchin, dem Eroberer Wiens, benannt (Tolbuchinstraße (10, 23)). Die Floridsdorfer Brücke und die Reichsbrücke hießen nun Brücke der Roten Armee bzw. Malinowskijbrücke.

Zu Beginn herrschte in Wien eine nächtliche Ausgangssperre, die ab Anfang Juni noch von vier Uhr morgens bis 22 Uhr gültig war. Die sowjetische Besatzungsmacht war besonders an der Entnazifizierung der österreichischen Behörden interessiert, im Juli 1945 musste sich Bürgermeister Körner Kommandant Blagodatow gegenüber rechtfertigen, warum noch nicht alle ehemaligen Nationalsozialisten entlassen worden waren. Da viele ihrer Soldaten auf den Plätzen und Straßen Wiens notdürftig beerdigt worden waren, drängten die sowjetischen Stellen außerdem auf eine rasche Exhumierung ihrer Armee-Angehörigen. Die offiziellen Sowjetbehörden waren außerdem in die Bekämpfung des Schwarzmarkts involviert, die russische Militärpolizei unterstützte die Wiener Polizei bei Razzien. 1948 erging ein Aufruf an die Bevölkerung, eventuell noch vorhandene militärische Ausrüstungsgegenstände (Munition, Waffen) beim Magistrat zu melden. Während des Oktoberstreiks 1950 griff die sowjetische Besatzungsmacht nicht ein.

Kultureller Austausch

Die Sowjets erwiesen sich als große Bewunderer der österreichischen Kultur. Schon am 14. April ließ es sich eine Delegation hoher sowjetischer Offiziere nicht nehmen, am Zentralfriedhof den Musikergräbern ihre Aufwartung zu machen. Ende April musizierten sowjetische Militärkapellen fast jeden Tag auf dem Rathausplatz, im Programm standen meist Strauss-Walzer. Auch bei offiziellen Anlässen war die sowjetische Militärmusik präsent. Am Wiederaufbau der Staatsoper beteiligten sich die Sowjets mit zwei Millionen Reichsmark, außerdem stellten die Truppen Bau- und Transportmaterial bereit. Staatskanzler Karl Renner lud schon im Juli sowjetische Künstlerinnen und Künstler nach Wien ein, ihnen zu Ehren gab die Staatsoper "Boris Godunow". Auch in den Folgejahren waren immer wieder namhafte sowjetische Kunstschaffende in Wien zu Gast. Die Ausstellung "800 Jahre Moskau" eröffnete im September 1947 im Palais Coburg.

Tanzende Russen, 2. April 1946

Die Sowjets wollten den Russischunterricht an Schulen fördern, 1947 wurden Lehrstellen für Russischklassen an Wirtschaftsschulen und Handelsakademien ausgeschrieben. Allerdings entsprach die Nachfrage nicht den Vorstellungen. Um nicht mit der Besatzungsmacht auf Konfrontationskurs zu gehen, beschloss man, die Klassen trotz nicht erreichter Mindestschülerzahlen beizubehalten.

Kriegsgefangene

Schon im Sommer 1945 wurde die Rückkehr von 30.000 kriegsgefangenen Österreichern zwischen der Sowjetabteilung der Alliierten Kommission und Vertretern Österreichs diskutiert. Zu diesem Zeitpunkt hatte die sowjetische Armee bereits in großem Ausmaß Kriegsgefangene im Gebiet Österreichs freigelassen, auch im sowjetischen Einflussgebiet in Ungarn und der Tschechoslowakei hatte man die österreichischen Kriegsgefangenen bereits entlassen. Eine nach Moskau reisende Handelsdelegation wurde beauftragt, dieses Thema vor Ort zur Sprache zu bringen und Informationen einzuholen. Geplant war die Einrichtung einer Kriegsgefangenenmission mit ständigem Sitz in Moskau, welche die in Russland befindlichen Gefangenen erfassen und die Organisation der Rücktransporte übernehmen sollte.

Im Herbst 1946 kamen vereinzelte Kriegsgefangene aus Russland an, systematisch setzten die Transporte im September 1947 ein. Ende Dezember waren zum ersten Mal auch Wienerinnen Teil eines solchen Transports. Mitte Dezember brachte ein Transport 650 Mann, davon 400 Wiener. Im Mai 1947 befanden sich noch knapp über 12.000 Wiener in sowjetischer Gefangenschaft, fast 28.500 galten noch als in Russland vermisst. In den späten 1940ern langten auch im Lager geborene Kinder ein. Von den 64 Heimkehrertransporten, die bis Anfang 1949 ankamen, waren 42 aus der Sowjetunion aufgebrochen, insgesamt waren so fast 14.000 Personen zurückgekommen (darunter 12 Frauen). Anfang 1950 erreichte der 55. Transport aus Russland die Stadt, über das Jahr 1951 kam nur noch ein einziger an. Dennoch waren zu Jahresanfang 1952 nicht alle Gefangenen heimgekehrt.

Südbahnhof, erster Heimkehrertransport aus der sowjetischen Kriegsgefangenschaft, 12. September 1947

Den in Kriegsgefangenschaft verbleibenden Personen sendeten die Wiener Behörden Pakete mit Lebensmitteln, Kleidung und Hygieneartikeln. Im Frühjahr 1949 gingen 1200 solcher Pakete aus Wien ab, auch zu Weihnachten 1950 schickte die Stadt Päckchen nach Russland.

Paketaktion für die österreichischen Kriegsgefangenen in der Sowjetunion, 24. März 1949

Beziehungen zur Bevölkerung

Sowjetische Soldaten requirierten oftmals Güter, insbesondere Lebensmittel, Brennmaterial und auch Tabak, wobei es auch vorkam, dass sie Zivilpersonen für Arbeiten heranzogen, wie das Zerkleinern von Holz. Oftmals waren Interventionen durch die Stadt über den Kommandanten nötig, um beschlagnahmte Tiere oder Wagen zurückzuerhalten. Schon im Juli 1945 beschwerte sich Körner bei Blagodatow über das Verhalten russischer Soldaten in Wirtshäusern: Oftmals wurde nicht gezahlt, Trunkenheit war üblich, da die Russen ihren eigenen Alkohol mitbrachten, und allerlei Räumlichkeiten mussten als Toiletten herhalten.

Sowjetische Soldaten – oder "Personen in sowjetischer Uniform" – dominieren die Polizeiberichte der Nachkriegszeit. Dabei handelte es sich nicht nur um Diebstähle, auch Einbrüche, Vergewaltigungen, Mord und Körperverletzung sind in einem Ausmaß dokumentiert, das keine der anderen Besatzungsmächte auch nur annähernd erreichte. Dabei sind sowjetische Soldaten zuweilen auch unter den Opfern, wobei es sich meist um interne Konflikte handelte. Am Schleichhandel waren sowjetische Soldaten auch als Täter beteiligt, wobei sie meist Lebensmittel gegen Gold oder Wertgegenstände zu tauschen versuchten.

Sowjetsoldaten als Zuschauer im Prater, 1955

Sowjetische Fahrzeuge waren häufig in Verkehrsunfälle verwickelt. Im April 1946 war an fast zwei Drittel aller Unfälle mit Fahrerflucht ein sowjetisches Fahrzeug beteiligt, sieben Personen kamen ums Leben (zum Vergleich: alle Zivilfahrzeuge zusammen töteten in diesem Zeitraum zwölf Menschen). Im November 1945 raste ein sowjetisches Fahrzeug in eine Gruppe Feuerwehrleute, die soeben mit einer Bergung beschäftigt war, tötete dabei eine Person, und beging Fahrerflucht, bis der Fahrer vom amerikanischen Militär angehalten werden konnte. Im September 1946 riss ein russischer LKW bei einem Überholmanöver eine Person von einer Straßenbahn, die dabei ums Leben kam; im selben Monat starben zwei russische Soldat beim Ab- bzw. Aufspringen von einem fahrenden Zug. Sowjetische Gefährte traten auch als Verkehrshindernisse in Erscheinung.

Sexuelle Beziehungen

Vor allem in den ersten Nachkriegsmonaten kam es zu zahlreichen Vergewaltigungen durch sowjetische Soldaten bzw. Angehörige der Besatzungsmacht. Deren Zahl wird für Wien, Niederösterreich, das Burgenland, das Mühlviertel und die temporär durch die Rote Armee besetzten Gebiete der Steiermark auf etwa 400.000 geschätzt. In deren Folge suchten zahlreiche Opfer Spitäler auf, um Schwangerschaftsabbrüche durchführen zu lassen. Diese wurden in einer gesetzlichen Grauzone trotz des weiter aufrechten Verbots de facto temporär legalisiert.[2] Daneben ist von zahlreichen außerhalb der Krankenanstalten durchgeführten illegalen Schwangerschatsabbrüchen auszugehen. Die Führung der sowjetischen Armeen verhängte zum Teil harte Strafen für Vergewaltiger, was vor allem in den ersten Monaten nach Kriegsende noch wenig Wirkung zeitigte. Eine Folge der Vergewaltigungen wie auch freiwilliger sexueller Beziehungen war die sprunghafte Verbreitung von Geschlechtskrankheiten. Diese sahen die sowjetischen Besatzungsorgane als Gefährdung der eigenen Truppen an, wobei die Schuld an deren Verbreitung einseitig einheimischen Frauen gegeben wurde.

Eheschließungen von Sowjet-Soldaten mit Österreicherinnen waren zwar verboten, doch außereheliche Beziehungen seitens der Roten Armee toleriert. Aus freiwilligen Beziehungen, zum Teil auch aus (Überlebens-)Prostitution mit Sowjetsoldaten entstammende uneheliche Kinder erfuhren als "Russenkinder" teilweise scharfe Diskriminierung im Alltag. Ihre Zahl dürfte bei einigen Tausend gelegen sein. Es gab auch einzelne Fälle von Wienerinnen die Beziehungen zu Sowjetsoldaten eingingen, in der Folge der Spionage für westliche Mächte verdächtigt und zum Tod verurteilt wurden.

Verhaftungen und Verschleppungen

Eine Sonderstellung unter den Alliierten nehmen die sowjetischen Streitkräfte nicht zuletzt aufgrund der zahlreichen Entführungen ein, mit denen der sowjetische Geheimdienst die österreichische Bevölkerung in Angst und Schrecken versetzte. Auch hochrangige staatliche Akteure waren nicht sicher, wie die Verschleppungen von Margarethe Ottillinger oder Paul Katscher beweisen. Den Entführten denen zumeist Spionage vorgeworfen wurde waren überwiegend Männer. In Wien sind 704 Fälle dokumentiert. Von den Entführungsopfern kehrten wahrscheinlich nur rund 40 Prozent aus sowjetischer Gefangenschaft zurück.[3]

Anfang September holten sowjetische Soldaten einen Verbindungsoffizier des Heeresamts, Major Luzatto, in Anwesenheit seiner Gattin aus seiner Wohnung ab. Auf Nachfrage des Heeresamts gab sich die sowjetische Abteilung unwissend. Luzatto wurde in Liesing vom NKWD verhört, man beschuldigte ihn, an der Ermordung von 600 Sowjets in Warschau beteiligt gewesen zu sein und drohte ihm mit dem Erschießen. Zwei Tage später ließ man ihn nach brutalen Verhören frei. Vergleichbare Geschichten sind in größerer Anzahl überliefert (über 1000 Personen erlitten ein solches Schicksal), oft tauchten die Verschleppten aber nicht mehr auf.

Quellen

Literatur

  • Marianne Baumgartner: Vergewaltigungen zwischen Mythos und Realität. Wien und Niederösterreich im Jahr 1945. In: Frauenlaben 1945. Kriegsende in Wien. 205. Sonderausstellung des Historischen Museums der Stadt Wien. Wien: Historisches Museum der Stadt Wien 1995, S. 59-71.
  • Wolfram Dornik: Besatzungsalltag in Wien. Die Differenziertheit von Erlebniswelten. Vergewaltigungen - Plünderungen - Erbsen - Straußwalzer. In: Stefan Karner/Barbara Stelzl-Marx (Hg.): Die Rote Armee in Österreich. Wien/Köln/Weimar 2005
  • Stefan Karner: Zu den Anfängen der sowjetischen Besatzung in Österreich 1945/46. In: Manfried Rauchensteiner/Robert Kriechbaumer (Hg.): Die Gunst des Augenblicks. Neuere Forschungen zu Staatsvertrag und Neutralität. Schriftenreihe des Forschungsinstitutes für politisch-historische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek, Salzburg 24. Wien/Köln/Weimar 2005, S. 139-185.
  • Wolfgang Mueller: Die sowjetische Besatzung in Österreich 1945-1955 und ihre politische Mission. Wien/Köln/Weimar: Böhlau 2005
  • Manfried Rauchensteiner: Der Sonderfall. Die Besatzungszeit in Österreich 1945 bis 1955. Graz/Wien/Köln: Styria 1979
  • Die Rote Armee in Österreich. Sowjetische Besatzung 1945-1955. Bd. 1-2. Veröffentlichungen des Ludwig Boltzmann-Instituts für Kriegsfolgen-Forschung Sonderband 4, 5. 2. Auflage. Graz/Wien/München: Verein zur Förderung der Forschung von Folgen nach Konflikten und Kriegen/Oldenbourg 2005.
  • Barbara Stelzl-Marx: Die sowjetische Besatzung Österreichs 1945-1955. Zur militärischen Struktur und Verwaltung. In: Stefan Karner/Gottfried Stangler (Hg.): "Österreich ist frei!" Der Österreichische Staatsvertrag 1955. Horn/Wien: Berger 2005, S. 65-72.
  • Barbara Stelzl-Marx: Stalins Soldaten in Österreich. Die Innensicht der sowjetischen Besatzung 1945-1955. Kriegsfolgen-Forschung 6. Wien/München: Böhlau Verlag/Oldenbourg Verlag 2012

Einzelnachweise:

  1. Barbara Stelzl-Marx: Stalins Soldaten in Österreich. Die Innensicht der sowjetischen Besatzung 1945-1955. Kriegsfolgen-Forschung 6. Wien/München: Böhlau Verlag/Oldenbourg Verlag 2012, S. 234-235.
  2. Marianne Baumgartner: Vergewaltigungen zwischen Mythos und Realität. Wien und Niederösterreich im Jahr 1945. In: Frauenlaben 1945. Kriegsende in Wien. 205. Sonderausstellung des Historischen Museums der Stadt Wien. Wien: Historisches Museum der Stadt Wien 1995, S. 69.
  3. Stefan Karner: Zu den Anfängen der sowjetischen Besatzung in Österreich 1945/46. In: Manfried Rauchensteiner/Robert Kriechbaumer (Hg.): Die Gunst des Augenblicks. Neuere Forschungen zu Staatsvertrag und Neutralität. Schriftenreihe des Forschungsinstitutes für politisch-historische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek, Salzburg 24. Wien/Köln/Weimar 2005, S. 162 f.