Schwarzmarkt im Nachkriegs-Wien

Aus Wien Geschichte Wiki
Wechseln zu:Navigation, Suche
Schwarzhandel am Naschmarkt, 1945
Daten zum Eintrag

Ausgangslage

Die Versorgung der Bevölkerung über die von öffentlicher Hand und den Besatzungsmächten zugeteilten Rationen war für das Überleben von Kriegsende bis etwa Ende 1947 absolut unzureichend. Wer überleben wollte, musste sich zusätzlich über den Schwarzmarkt versorgen bzw. über andere Versorgungsquellen wie Schrebergärten, Verwandte aus ländlichen Regionen oder Beziehungen zu den Besatzungsmächten verfügen. Sowohl die österreichischen Behörden als auch die Besatzungsmächte waren im Sinne einer geregelten Verteilung daran interessiert, diese Aktivitäten zu unterbinden. Mitte Juni verbot eine Polizeiverordnung jegliche Form von Tausch- oder Schleichhandel, am 10. August 1945 erging der Befehl des sowjetischen Ortskommandanten Blagodatow, dass jede Form von Tausch und Handel in der Öffentlichkeit nur auf Märkten stattfinden dürfe.

Zahlungsmittel Brot Trockenes Brot war eine Kostbarkeit. Links ein Besatzungssoldat, der als Arbeitslohn ein Viertel Brot „bezahlt“, 1945

Angesichts der Notlage weiter Teile der Bevölkerung konnten aber in der unmittelbaren Nachkriegszeit viele Wienerinnen und Wiener trotz aller Verbote nicht auf diese Art der Versorgung verzichten. Die Kartoffeleinfuhr war im Sommer 1945 untersagt, und auch das Reiseverbot aufs Land blieb vorerst aufrecht; die Geschäfte standen ebenso leer. Somit hatten die Wienerinnen und Wiener keine Alternative zum Schleichhandel, obwohl auch dieser nur für begüterte Personen eine Option bot.

Kartoffelernte auf einem landwirtschaftlichen Betrieb der Stadt Wien, 17. Juli 1947

Eine bleibende Stabilisierung zeichnete sich erst Ende der 1940er Jahre ab. Für die kollektive Erinnerung an die Jahre des illegalen Handels mit gefälschten Waren sorgen bis in die Gegenwart Filmklassiker wie "Der dritte Mann".

Der dritte Mann, Filmplakat 1950

Zentren des Schleichhandels

Bereits in der Spätphase des Zweiten Weltkrieges bildeten der Resselpark am Karlsplatz und der Naschmarkt Zentren des illegalen Handels. Getauscht wurden Lebensmittel aller Art, aber auch Zigaretten, Sacharin gegen Wertgegenstände, Valuten, Gold, Silber, Teppiche, Antiquitäten, Immobilien. Nach Kriegsende erwachte der Schwarzmarkt im Resselpark schon Mitte April zu neuem Leben. Mitte August 1945 konzentrierten sich Schleich- und Tauschhandel hauptsächlich auf den Schwarzenbergplatz und den Karlsplatz, wobei letzteres in erster Linie wiederum den Resselpark umfassen dürfte. Im Oktober wurde auch der Meiselmarkt, der Waldmüllerpark und der Allerheiligenplatz als "Schleichhandelsplätze" genannt.

Razzia beim Schwarzmarkt auf dem Naschmarkt, Juni 1946

Bekämpfung

An den Bahnhöfen und Einfallstraßen Wiens führte die Wiener Wirtschaftspolzei in Absprache mit der alliierten Militärpolizei ab Ende August Kontrollen durch. Die Wirtschaftspolizei war am 31. Juli 1945 wieder eingerichtet worden. Jedes einzelne Auto wurde bei der Einfahrt nach Wien angehalten und kontrolliert. Güter, für die kein rechtmäßiger Bezug nachgewiesen werden konnte, wurden beschlagnahmt – der überwiegende Anteil der geprüften Waren wurde auch einbehalten. Die Lebensmittel gelangten danach an Spitäler, Werksküchen und Großhändler, die diese den Bezugsscheinen entsprechend ausgaben. Zurückbehalten wurden dabei nicht nur Waren für den Schwarzmarkt oder solche, die über den Schwarzmarkt erstanden worden waren; auch missbräuchliche Verwendung, Verstoß gegen die Verteilungsverordnung und Preisüberschreitung galten laut Bedarfsdeckungsstrafgesetz als Gründe. So übergaben die Behörden etwa im Oktober 1945 sechs Pferde zur Verwendung an den Städtischen Fuhrwerkbetrieb, die eigentlich zum Zweck der Schlachtung nach Wien gebracht hätten werden sollen. Ein Problem stellten Lebensmittel dar, die bei Übersiedlungen aus anderen Bundesländern mitgebracht wurden: Da dort beispielsweise ausreichend Kartoffeln vorhanden waren, konnten die Besitzer und Besitzerinnen den Bezug nicht nachweisen – die Lebensmittel schienen nicht in den Übersiedlungsbescheinigungen auf, was in Beschlagnahmungen resultierte. Strafen reichten von 100 bis 1500 Reichsmark, konnten aber in Extremfällen bis zu 7000 Reichsmark steigen. Auch Festnahmen kamen vor, wenn die Schmuggelabsicht offensichtlich war. Im April 1946 floh ein Chauffeur mit einem Auto voller Lebensmittel aus einer Kontrolle; als er später aufgehalten werden konnte, stellte sich heraus, dass sein Auto über einen doppelten Boden verfügte.

Razzia beim Schwarzmarkt am Naschmarkt, Juni 1946

Die Kontrollen am Stadtrand mussten aus Personalmangel bereits ab Anfang Oktober 1945 stichprobenartig durchgeführt werden – ausgerechnet in Floridsdorf, wo sich mit der Prager und der Brünner Straße zwei wichtige Einfahrtsstraßen befanden, schränkte dies die Schlagkräftigkeit entscheidend ein. Eine eigene Kontrollstelle existierte außerdem in Purkersdorf, die dort beschlagnahmten Produkte verteilte die russische Besatzungsmacht direkt an lokale Einrichtungen (Krankenhaus, Kindergarten etc.), einen Anteil behielt der Ortskommandant für die Armee ein.

Außerdem führte die Polizei mit Unterstützung der Alliierten – zunächst der sowjetischen Militärpolizei – regelmäßig Razzien durch. Im Resselpark verhaftete sie schon Ende Juni 1945 200 Personen und stellte unter anderem große Mengen Schuhe, Stoffe und Speck sicher. Am 12. November nahmen Beamte dort erneut 32 Personen fest, diesmal konnten sie insbesondere Konserven sicherstellen. Am Naschmarkt konnten Anfang November bei einer Razzia 51 Beteiligte verhaftet werden. Die Anzahl der angehaltenen Personen war dabei meist weitaus höher, von 48 kontrollierten Personen am Meiselmarkt Mitte Oktober 1945 konnte bloß einem Mann der Kauf von vier Kilogramm Zucker nachgewiesen werden. Manchmal kam die Polizei dabei auch größeren Operationen auf die Spur, denn am Schwarzmarkt war auch viel Plünderungsgut zu bekommen. Anfang Dezember konnte ein Lager am Margaretenplatz ausgehoben werden, in dem sich neben Waren (Zucker, Feuerzeuge) auch 1,5 Millionen Schilling befanden. Da die Kriminellen aber über ein gut eingespieltes Warnsystem verfügten, gingen kaum je die eigentlichen Hintermänner ins Netz. In der Öffentlichkeit regte sich schon im Sommer 1945 Missmut über die scheinbare Untätigkeit der Polizei, die den Schleichhandel nicht in den Griff zu bekommen schien.

Schwarzmarkt im Resselpark, um 1945-1946

Gestraft wurden außerdem sogenannte "Ablieferungssaboteure", also Bauern und Bäuerinnen, die mit ihren Produkten Schleichhandel betrieben. Im Dezember wurden die Maßnahmen verschärft: Ab nun sollten aufgefundene Vorräte unabhängig von der Selbstversorgungsquote eingezogen werden, um den Landwirten zu verdeutlichen, dass sie Lebensmittel für den Schwarzmarkt aus ihrem eigenen Bedarf entnahmen.

Ausmaß des Schleichhandels

Naturgemäß ist das Ausmaß einer illegalen Aktivität niemals vollumfänglich feststellbar, da nur die entdeckten Fälle in die Statistik einfließen können. Im November und Dezember 1945 ergingen infolge von Kontrollen über 1100 Anzeigen, nur die Hälfte davon aber nach der Verbrauchsregelungsstrafverordnung, der Rest betraf Verstöße gegen die Preisvorschriften. "Schleichhandel" taucht in der Kriminalstatistik erst ab Februar 1946 auf, dafür dann sofort als größter Posten: in einer Woche wurden 438 Fälle gemeldet (insgesamt nahm man in diesem Zeitraum 1622 Delikte auf). Anfang März sind bereits ein Drittel aller Delikte dieser Kategorie zugeordnet (509 von 1506). In dieser Größenordnung bewegt sich die Statistik auch über die Folgemonate bis Ende 1946: meist zwischen 400 und 600 Fällen, etwa ein Drittel der Gesamtdelikte. Nur vereinzelt fiel die Fallzahl unter 300.

Schleichhandel am Naschmarkt, Oktober 1945

Das Ausmaß der beschlagnahmten Lebensmittel ist durch die Statistiken des Marktamts erfassbar; bei Kontrollen an Bahnhöfen und an Straßen stellte man zig Tonnen an Lebensmitteln sicher, die nach einer Prüfung entweder beschlagnahmt oder freigegeben wurden. Alleine im Oktober 1945 wurden so an Bahnhöfen und Einfallstraßen fast 70 Tonnen Kartoffeln angehalten, davon wurden auch 52,5 Tonnen tatsächlich zurückbehalten. Von 5,6 Tonnen Mehl gab man nur etwa eine Tonne frei, von fast 3 Tonnen Getreide wurde die Hälfte beschlagnahmt, von 1,5 Tonnen Gerste behielt man 1,1 Tonnen ein. Von einer Tonne Fleisch wurde ebenso so gut wie alles zurückbehalten, über 20.000 Liter Wein (von fast 24.000 Litern) wurden konfisziert. Überhaupt keine Freigabe gab es für Brot (63 kg), Gebäck (125 kg), Pferdefleisch (877 kg), Käse (2,7 kg), Milch (39 Liter), Salz (114 kg), Gemüse (über 2 Tonnen), Zwiebel, Schnaps, Zigaretten (fast 2800 Stück), Fische, Konserven und Gewürze. Konfisziert wurden auch lebende Tiere: 18 Hasen, fünf Rinder und sechs Pferde.

Die exakten Warenmengen variierten recht stark, doch blieben Kartoffeln mit weitem Abstand auch über den Winter das begehrteste Gut (über 60 Tonnen beschlagnahmt im November, fast 8 Tonnen im Dezember), gefolgt von Weizen im November (15 Tonnen) bzw. Pferdefleisch im Dezember (über eine Tonne). Konstant hoch war auch die Abnahmemenge beim Wein (15.000 bzw. 7.000 Liter), wobei diese jedoch durch Verstöße gegen die Preisvorschriften bedingt waren. Über den Winter nahm die Menge vieler Produkte bedeutend ab, was aber nicht nur an der Jahreszeit lag, sondern auch an laxeren Kontrollen und vermutlich zumindest teilweise an einem gewissen Lerneffekt in der Bevölkerung. Im gesamten ersten Quartal 1946 stellten die Behörden nicht einmal 29 Tonnen Kartoffeln sicher (fast 24 davon beschlagnahmt), dazu 8,3 Tonnen Mehl (8,1 einbehalten), unter 4,5 Tonnen Fleisch (4,3 beschlagnahmt), 3,1 Tonnen Pferdefleisch (gänzlich beschlagnahmt), 6,3 Tonnen Salz (gänzlich zurückbehalten), über 6,6 Tonnen Hülsenfrüchte (nur 4 kg freigegeben), fast 7 Tonnen Getreide (fast alles einbehalten), 12.500 Stück Zigaretten (alle beschlagnahmt).

Preisentwicklung

Der Schleichhandel richtete sich generell eher an ein vermögendes Publikum. Im Juni 1945 konnte ein Facharbeiter für sein gesamtes Monatsgehalt gerade einmal vier Kilo Brot oder ein Viertel Kilo Schmalz erstehen. Ein Kilo Kartoffeln kostete im August bis zu 20 Reichsmark, ein Kilo Fleisch 500. Nicht besser war die Situation im Oktober 1945, das durchschnittliche Monatseinkommen eines Angestellten lag bei 220 Reichsmark – ein Kilo Brot kostete 40, ein Kilo Schmalz 1000, Zigaretten (je nach Herkunft) bis zu zehn Reichsmark pro Stück. Ende 1945 wurde die Wirtschaftspolizei daher in zwei Organisationseinheiten geteilt, ein Referat zur Bekämpfung des Schleichhandels und des Schwarzmarktes und ein Referat für Preisüberwachung.[1]

Rolle der Besatzungsmächte

Die Besatzungsmächte unterstützten die Bemühungen der österreichischen Behörden prinzipiell, noch vor der Aufteilung in Zonen unterstützte die sowjetische Militärpolizei die Wiener Polizei bei Razzien. Die Besatzungsarmeen profitierten allerdings in geringem Ausmaß auch von den Beschlagnahmungen. In der Kontrollstelle Purkersdorf entnahmen die Sowjets auf Anweisung des Ortskommandanten im Oktober 1945 etwa ein Viertel der konfiszierten Kartoffeln (1,5 Tonnen von 5,8 gesamt), der Eier und des Gemüses, ein Drittel des Mehls (200 kg), dazu alle Zigaretten und ein Kalb. Auch die französischen Streitkräfte bedienten sich im Oktober 1945 im 15. Bezirk aus den beschlagnahmten Gütern, sie entnahmen Seife und Zigaretten.

Alliierte Soldaten (und wohl auch Zivilisten) waren allerdings auch als Händler am Schwarzmarkt beteiligt. Sowjetische Soldaten beteiligten sich schon im August 1945 am Tausch- und Schleichhandel, wobei sie Stoffe, Geld oder Schmuck zu erwerben versuchten. Im Oktober untersagte das US-Kommando den amerikanischen Soldaten das Betreten des Naschmarkts wegen des dort grassierenden Schleichhandels gänzlich.

Sowjetsoldaten am Schwarzmarkt, um 1946

Quellen

Literatur

  • Werner Sabitzer: 100 Jahre Wirtschaftspolizei. In: Öffentliche Sicherheit 9-10/2022, S. 78-82.
  • Kurt Stimmer: Zigaretten waren eine Art Währung. Im August 1945 gab es in Wien für acht Ami-Zigaretten in Kilo Brot. In: Wien-aktuell 23/5 (2003)
  • Heinrich Tintner: Die Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität. In: Verein der Freunde der Wiener Polizei (Hg.): Die Wiener Polizei. Ein Porträt. Wien: Bohmann Verlag 1985, S. 61-67.
  • Karl Vocelka: Trümmerjahre. Wien 1945-1949, Wien-München: Jugend & Volk o.J.

Referenzen

  1. 100 Jahre Wirtschaftspolizei. In: Öffentliche Sicherheit 9-10/2022, S. 79.