Säuglingssterblichkeit im Nachkriegs-Wien
Nachdem es schon in der Spätphase des Zweiten Weltkrieges zu einem Anstieg der Säuglingssterblichkeit gekommen war stieg diese 1945 auf rund 20 Prozent was einem Rückfall auf die hohe Sterblichkeit um 1900 bedeutete. Verantwortlich dafür waren die schlechten hygienischen Bedingungen, mangelnde Versorgung mit Milch und mangelnde medizinische Versorgung. Von diesem hohen Wert fiel die Säuglingssterblichkeit 1946 und 1947 um mehr als die Hälfte. Erst gegen Ende der 1940er wurden die Werte vor Ausbruch der Weltwirtschaftskrise wieder erreicht. In der Folge kam es zu einem kontinuierlichen Rückgang.
Krisenjahr 1945
In den schwierigen Wochen und Monaten unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkriegs schnellte die Sterblichkeit in der Gesamtbevölkerung in die Höhe. Es fehlte an Nahrungsmitteln und Brennstoffen, Krankheiten brachen aus, die hygienischen Verhältnisse waren schlecht. Viele Krankenhäuser waren zumindest teilweise zerstört. Die Bedingungen für werdende Mütter und ihre Babys waren dementsprechend schlecht. Die Säuglingssterblichkeit, die noch Anfang 1944 recht konstant bei 7% gelegen war, explodierte gegen Kriegsende, lag im Mai 1945 schon fast bei 20% und erreichte im Juli mit bis zu 37% einen Rekordwert. Unter Babys und Kindern hatte sich die Tuberkulosesterblichkeit im Vergleich zu 1938 verfünffacht. Aber auch die mangelhafte Milchzufuhr trug entscheidend zu dieser Entwicklung bei. Sie sorgte für einen starken Anstieg der postneonatalen Sterblichkeit (2.-12. Lebensmonat).
Maßnahmen
Bis November sank die Säuglingssterblichkeit mithilfe der Unterstützung des US-amerikanischen Roten Kreuzes, das an 220.000 Personen zusätzliche Lebensmittel ausgab, auf 15%. Dann jedoch führte der Mangel an Heizmaterial über den Winter zu einem erneuten Anstieg der Zahlen. Anfang 1946 bewilligten die Vereinigten Staaten 100.000 Dosen Säuglingsnährmittel, da die Herstellung solcher Präparate in Wien erst anlief. Im Spätsommer wurde damit begonnen, in der amerikanischen Zone Säuglingswäschepakete an Schwangere und Mütter auszugeben. Gegen Jahresende wurde die Ausgabe auch auf andere Bezirke ausgeweitet. Die Ausgabe von Säuglingswäsche setzte später die Stadt Wien fort, bis 1950 wurden insgesamt 25.000 dieser Pakete abgegeben, das 50.000 überreichte Bürgermeister Jonas im Jänner 1953.
Entwicklung ab 1946
In den Jahren 1946 und 1947 lag die Säuglingssterblichkeit im Jahresdurchschnitt bei 7%, im Frühjahr 1946 noch bei 10% und mit einem kurzfristigen Anstieg im April 1947 auf 8,7%. Gleichzeitig sanken die Geburtenzahlen. Erst 1949 setzte ein langsamer Abwärtstrend auf 6% ein, was noch immer doppelt so hoch war wie in den meisten europäischen Ländern mit Ausnahme Italiens war. Neben der sich nur langsam bessernden Versorgungslage spielte auch die unzureichende Ausbildung der Allgemeinärzte eine Rolle. Außerdem gab es in Wien zwar Neugeborenenstationen, doch fehlte eine "nachgehende Neugeborenenfürsorge".[1] Außerhalb Wiens war die Lage jedoch noch schlimmer, nicht nur gab es dort kaum Neugeborenenstationen, auch der Mangel an Fachkinderärzten und das Fehlen von spezialisierten Kinderstationen in Krankenhäusern trugen zu Säuglingssterblichkeitsraten von bis zu 10% (Burgenland) bei.
Quellen
- Wiener Stadt- und Landesarchiv, Nachlass Körner, A1.2.2 – Die Fürsorge der Stadt Wien
- Wiener Stadt- und Landesarchiv, Nachlass Körner, A1.4.2
- Wiener Stadt- und Landesarchiv, Nachlass Körner, A1.4.22 – Die Sterblichkeit der Wiener Bevölkerung im Jahre 1945
- Wiener Stadt- und Landesarchiv, Nachlass Körner, A1.4.8 – Statistiken 1945/46
- Rathauskorrespondenz vom November 1945, Februar 1946, Juni 1946, August 1946, April 1947, Juni 1947, Juni 1952, Jänner 1953
Literatur
- Josef Kytir: Regionale Unterschiede der Säuglingssterblichkeit in Österreich. In: Mitteilungen der Österreichischen Geographischen Gesellschaft 131 (1989), S. 47-76.
- Karl Pospischil: Die Sterblichkeit der Wiener Bevölkerung im Jahre 1945. SD aus "Amtsblatt der Stadt Wien 19/1946"
- Statistisches Amt der Stadt Wien (Hg.): Statistisches Jahrbuch der Stadt Wien 1950. Wien: Carl Ueberreutersche Buchdruckerei 1952
Einzelnachweise
- ↑ August Reuß: Die Aufgaben der Gesundheitsvorsorge für das Kind in Österreich. In: Mitteilungen der Österreichischen Sanitätsverwaltung 1 (1950).