Kohlengasphase
Die Kohlengasphase war durch die Nutzung von Steinkohle zur Produktion von Stadtgas in den Gaswerken Wiens charakterisiert. Diese begann in den 1840er-Jahren und endete 1969 mit der Einstellung der Kohlengasproduktion im letzten verbleibenden Gaswerk in Wien Leopoldau. Während dieser Zeit wurde eine umfangreiche Gasinfrastruktur aufgebaut, die unter städtischer Verwaltung stetig erweitert wurde. Besonders in den 1920er- und 1930er-Jahren förderten die Wiener Gaswerke gezielt den Einsatz von Gas und Koks durch Werbemaßnahmen, Finanzierungsmodelle und Kooperationen mit der Installateurinnung. Ursprünglich als Leuchtmittel genutzt, setzte sich Gas zunehmend als Brennstoff durch und verdrängte die Kohlenutzung in Haushalten, Industrie und Gewerbe.
Aufbau der Gasinfrastruktur
Den Anfang machten private Gasgesellschaften, die ab den 1840er-Jahren die Gasproduktion von Öl und Harz auf Steinkohle umstellten und neue Gaswerke bauten.[1] Das von den Wiener Gaswerken abgegebene Stadtgas war bis 1954 überwiegend kohlebasiert. In den 1950er-Jahren begann dieser Anteil stark zu sinken. Die größte Ausdehnung erreichte die Produktion von kohlebasiertem Stadtgas unter der NS-Herrschaft 1943 mit der Erzeugung der Rekordmenge von rund 420 Mio. m3 (ca. 7.515 TJ) Gas, das über die 576.322 gezählten Gasmesser im Versorgungsgebiet abgegeben wurde.[2] Die Zahl der Gasmesser entsprach rund 80% der 1995 installierten Gasmesser. Die im Gasnetz der Wiener Stadtwerke transportierte Energie entsprach hingegen dem Zehnfachen des Werts von 1943. Am Peak der Kohlengasphase 1954 betrug die Gasleitungslänge 65% des Wertes von 1995.
Die Kohlengasphase war seit 1899 von den Städtischen Gaswerken und seit 1949 den Wiener Stadtwerken geprägt. Zwar entwickelte sich die anfängliche Leuchtgasproduktion und -verwendung unter privatwirtschaftlichen Bedingungen, die Expansion des Gasversorgungssystems wurde aber innerhalb der (unternehmens-)politischen Strukturen der Wiener Stadtverwaltung vorangetrieben. Die seit 1870 im Wiener Gemeinderat diskutierte Kommunalisierung des Gasgeschäftes konnte erst durchgesetzt werden, als die Christlichsoziale Partei unter Karl Lueger die Liberale Partei als stärkste Kraft im Gemeinderat abgelöst hatte. Ende 1899 ging sogleich das erste städtische Gaswerk in Simmering in Betrieb, und 1911 folgte das Gaswerk in Leopoldau.
In der Kohlengasphase wurden grundlegende Teile der Produktions- und Verteilungsinfrastruktur aufgebaut und ein stabiler Gasmarkt inklusive Absatzmöglichkeiten für Nebenprodukte gefördert. Damit wurde der Grundstein für die bis heute andauernde Gasnutzung in Wien gelegt.
Förderung der Gasnutzung während der Kohlengasphase
Seit den 1920er Jahren führten die Gaswerke gezielte Werbemaßnahmen durch, um die Nutzung von Gas durch private und gewerbliche Kunden zu fördern und den Absatz von Koks, einem Nebenprodukt der Gasproduktion, zu steigern. Ab 1925 verkauften die Gaswerke Füll- und Dauerbrandöfen gegen Bar- oder Teilzahlung. Seit 1927 wurden Koksöfen in den neu errichteten Wohnungen der Gemeindebauten unentgeltlich aufgestellt[3] und 1928 der kostenlose Hausdienst zur Überprüfung der Gasanlagen eingeführt.[4] Überdies wurde 1934 wurde die Gasgemeinschaft als Zusammenschluss der Gaswerke, der Wiener Installateurinnung und den Gasgeräteherstellern gegründet. Diese erhielt vom damaligen Bürgermeister Richard Schmitz ein zinsfreies Darlehen, um die Wiener Bevölkerung beim Kauf von Gasgeräten durch Ratenzahlung zu unterstützen, den Absatz der Gaswerke nach der Weltwirtschaftskrise wieder anzukurbeln und den Fachkräften im Installationsgewerbe neue Aufträge zu sichern.[5]
Vom Leuchtmittel zum Brennstoff: Gas macht Kohle Konkurrenz
Die Kohlengasphase war durch vielfältige Anwendungsmöglichkeiten der lokalen Gasproduktion gekennzeichnet. Ursprünglich nur als Leuchtmittel genutzt, stellten sich die Gaswerke schon früh auf die Abgabe von Stadtgas als Brennstoff ein. Dies führte zu einer starken Ausweitung der Gasverbrauchsstellen. Während 1900 in Wien 58.000 Gasmesser in Verwendung waren und 78 Mio. m3 Gas abgegeben wurden, waren es Ende 1933 bereits 520.000 Gasmesser und eine Jahresproduktion von 520 Mio. m3.[6]
In den Haushalten wurde Stadtgas zunächst vor allem zum Kochen verwendet. Im Jahr 1936 sollen laut Gaswerke-Direktor Johann Güntner bereits 80% der Wiener Haushalte mit Gas gekocht haben.[7] Neben dem Koks, das als Heizmittel verkauft wurde, produzierten die Gaswerke eine ganze Palette an Nebenerzeugnissen als Grundstoffe für die Chemie-Industrie. Gas etablierte sich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts als der wirtschaftlichere und leichter zu handhabende Brennstoff gegenüber der Kohle und verdrängte diese in Haushalten, aber auch in Industrie und Gewerbe immer mehr.[8] Begründet wurde die Beliebtheit des Gases mit seiner Vielseitigkeit, Sauberkeit, stufenlosen Regulierbarkeit des Verbrennungsvorgangs und den im Vergleich zur Kohle besseren Brenneigenschaften. Außerdem sei die Erzeugung von Gas äußerst wirtschaftlich, auch wenn die dazu benötigte Steinkohle seit dem Ende der Österreichisch-Ungarischen Monarchie 1918 aus dem Ausland importiert werden müsse.[9]
Quellen
- Magistrat der Stadt Wien. Statistisches Jahrbuch der Stadt Wien. 1883–1914, 1929–1935, 1937–1951, 1970–2003.
- Wien. Die Gemeinde-Verwaltung des Reichsgaues Wien. 1867/70(1872)-1880/82(1884); 1889/93(1895)-1940/45(1945), 1872–1945.
- Wien. Presse- und Informationsdienst. Rathaus-Korrespondenz der Stadt Wien. 1922–1941, 1945–1992, 1922–1992.
Literatur
- Robert Groß: Region und Energietransition. Erdgas in Österreich im 20. Jahrhundert. In: TG Technikgeschichte 91.2 (2024), S. 89-114
- Helmut Ruck & Christian Fell: Gas: Energie für Wien im Wandel der Zeit. Bd. 1–3. Wien. Wien-Energie-Gasnetz-GmbH. 2009
Referenzen
- ↑ Helmut Ruck & Christian Fell: Gas: Energie für Wien im Wandel der Zeit. Bd. 1. Wien. Wien-Energie-Gasnetz-GmbH. 2009. S. 109 & 111.
- ↑ Wienbibliothek Digital: Statistisches Jahrbuch der Stadt Wien, 1943-1945, S. 141
- ↑ Wienbibliothek Digital: Die Gemeinde-Verwaltung des Reichsgaues Wien, 1923-1928, S. 1975
- ↑ Wienbibliothek Digital: Die Gemeinde-Verwaltung des Reichsgaues Wien,1929 bis 1931, S. 1095
- ↑ Wienbibliothek Digital: Rathaus-Korrespondenz, 4. September 1937, S. 217
- ↑ Wienbibliothek Digital: Rathaus-Korrespondenz, 31. Oktober 1934, S. 235f.
- ↑ Wienbibliothek Digital: Rathaus-Korrespondenz, 11. Dezember 1936, S. 338 Blatt II
- ↑ Helmut Ruck & Christian Fell: Gas: Energie für Wien im Wandel der Zeit. Bd. 2. Wien. Wien-Energie-Gasnetz-GmbH. 2009. S. 460.
- ↑ Wienbibliothek Digital: Rathaus-Korrespondenz, 31. Oktober 1934, S. 235f.