Kindertransporte

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Das "Anschlussprogrom" und seine Folgen

Schon in den Stunden vor der NS-Machtergreifung und unmittelbar nach dem Anschluss sah sich die jüdische Bevölkerung Wiens physischer Bedrohung und Verfolgung ausgesetzt. Daher bemühte sich ein großer Teil rasch zu emigrieren. Auf Grund der restriktiven Haltung potentieller Aufnahmeländer und Schikanen der nationalsozialistischen Führung erwies sich das allerdings als schwierig. Besonders die Aufnahme ganzer Familien wurde von den Aufnahmeländern häufig nicht akzeptiert. In dieser Zwangslage bemühten sich jüdische Familien daher zunächst einmal wenigstens ihre Kinder in das sichere Ausland zu bringen, um dann womöglich auf anderen Wegen ihnen zu folgen.

Erste Initiativen

Schon unmittelbar nach dem Anschluss kam es zu Initiativen zur Verschickung jüdischer Kinder in das Ausland, in Form von Erholungsaufenthalten in Norwegen und der Schweiz. Während die so verschickten Kinder in Norwegen verblieben, wurden jene in der Schweiz nach dem Aufenthalt wieder zurückgeschickt. Am 17. Mai 1938 unterbreitete Alfred Neumann der Reichsstatthalterei einen umfassenden Plan zu Kindertransporten nach dem allein im Sommer 1938 etwa 8.000 10- bis 16-Jährige bei jüdischen Familien in Großbritannien, den Niederlanden, den USA, in skandinavischen Ländern und in einigen anderen Ländern unterkommen sollten. Neumann erhielt den Auftrag mit ausländischen Hilfsorganisationen in Kontakt zu treten und die Finanzierung des Projekts mit der Israelitischen Kultusgemeinde zu verhandeln. Das Projekt erwies sich jedoch als nicht durchführbar.[1]

Organisation durch die Israelitische Kultusgemeinde

In der nach dem Anschluss geschlossenen und im Mai 1938 wiedereröffneten Israelitischen Kultusgemeinde wurde innerhalb der Fürsorgezentrale unter der Leitung von Rosa Rachel Schwarz ein eigenes Büro für "Kinderauswanderung" eingerichtet. Dieses half bei der Beschaffung von Papieren und bei der Recherche von Transportmöglichkeiten.Um ihre Kinder in einen lebensrettenden Kindertransport zu bringen, mussten Eltern Fragebögen ausfüllen, in denen etwa über den Gesundheitszustand der Kinder, die religiöse Ausrichtung und etwaige Ausreisepläne der Familie Auskunft zu geben war. Ziel der Eltern war es zunächst ihre Kinder bei Verwandten im Ausland unterzubringen.[2] Vielfach erwies sich das als nicht möglich. Doch auf Initiative jüdischer Organisationen und der Quäker wurde der britische Premierminister Neville Chamberlain im November 1938 ersucht, jüdische Kinder aus Österreich und Deutschland nach Großbritannien einreisen zu lassen. Großbritannien wurde schließlich auch das Hauptzielland der Kindertransporte. Am 23. November 1938 gestattete das britische Foreign Office die Einreise jüdischer Kinder nach Großbritannien. Am 10. Dezember 1938 verließ der erste und mit 500 Kindern größte Kindertransport Wien. Die folgenden Kindertransporte waren bedeutend kleiner mit zumeist nur rund 100 Kindern. Dies lag auch daran, dass den Hilfsorganisationen in Großbritannien die finanziellen Mittel ausgingen. Nun erhielten vor allem Kinder mit Verwandten in England die Zusage durch die britischen Behörden. Vereinzelt reisten auch Kinder mit gültigen Visa die nicht eigentlich den Kindertransporten zugeordnet waren mit. Die Reiseroute führte meist über Hoek van Holland nach Harwich. Die Reisekosten wurden teilweise aus nach dem Anschluss gesperrten Geldern der Jüdischen Kreditkasse beglichen, teilweise durch die Gildemeester-Hilfsorganisation, für "nichtarische" christliche und konfessionslose Kinder zur Gänze durch die zuletzt genannte Organisation.[3]

Eine weitere Fluchtmöglichkeit bot die Auswanderung über die Jugendalija. Diese war zwar grundsätzlich für zionistische organisierte Jugendliche die in der Landwirtschaft und in handwerklichen Berufen in Palästina tätig sein wollten gedacht, doch konnte auch eine kleinere Zahl von 12- bis 15Jährigen auf diesen Weg emigrieren, zum Teil über den Umweg über England. Die Auswanderung erfolgte mittels Zertifikaten die die britische Mandatsmacht in Palästina vergab. Bis September 1938 gab es 4.000 Anmeldungen. Rund 1.300 Jugendliche und Kinder konnten so vor der NS-Vernichtungspoltik gerettet werden.[4]

Bilanz

Insgesamt konnten bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges im Rahmen von 43 Kindertransporten 3.253 jüdische Kinder mit Hilfe der Israelitischen Kultusgemeinde, 384 davon in Zusammenarbeit mit dem Vienna International Center der Society of Friends der Quäker Österreich über Wien verlassen[5], davon 2.315 nach Großbritannien, 164 nach Belgien, 109 nach Frankreich, 98 in die Niederlande, 80 nach Schweden, 50 in die USA und 5 in die Schweiz. Bemühungen um Kindertransporte in lateinamerikanische Länder und nach Australien und Neuseeland scheiterten. Nach Kriegsbeginn fanden sechs weitere Kindertransporte in die USA statt.[6]

Psychische Situation der Kinder

Die Auswahl der Kinder erfolgte durch die Abteilung für Kinderauswanderung der Israelitischen Kultusgemeinde nach gesundheitlichen, seelischen und materiellen Gründen. Vorrangig sollten die bedürftigsten und geeignetsten Kinder ausgewählt werden, doch bestand die Schwierigkeit, dass wohlhabende Eltern über die Kindertransporte besser informiert waren als ärmere Familien. Die verängstigten Kinder konnten sich meist nur von ihren Müttern verabschieden, da viele jüdische Väter durch das NS-Regime bereits in Konzentrationslager verbracht worden waren oder sich in GESTAPO-Haft befanden. Für die Kinder war die Fahrt in das Ausland mit der Hoffnung verbunden ihre Eltern nachholen zu können, was nur vereinzelt gelang. Sie erlebten die Überquerung der niederländischen Grenze daher als Befreiung vor Schikanen und übler Behandlung. Insbesondere die ersten Monate und Jahre waren für die Kinder jedoch durch Sehnsucht nach den Eltern, Heimweh und Schwierigkeiten sich in einer neuen Umwelt zurecht zu finden geprägt. Jene Kinder deren Eltern den Holocaust überlebten sahen diese häufig erst nach Ende des Zweiten Weltkriegs wieder.

Prominente Flüchtlinge

Zu den über Kindertransporte Geretteten zählten unter anderem der Schauspieler Otto Tausig, Helga Aichinger (die Zwillingsschwester der Schriftstellerin Ilse Aichinger), Ari Rath, Publizist, Paul Peter Porges, später erfolgreicher US-Cartoonist, und Margaret Weidenfeld, später erfolgreiche Kochbuchautorin.[7]

Literatur

  • Wolfgang Benz (Hg.): Die Kindertransporte 1938/1939. Rettung und Integration. Frankfurt am Main: Fischer, 2003
  • Christiane Berth: Die Kindertransporte nach Großbritannien 1938/39. Hamburg: Döling&Galitz 2005
  • Claudia Curio: Verfolgung, Flucht, Rettung. Die Kindertransporte 1938/39 nach Großbritannien (Dokumente - Texte - Materialien 59), Berlin: Metropol Verlag 2006
  • Gerda Hofreiter: Allein in der Fremde: Kindertransporte von Österreich nach Frankreich, Großbritannien und in die USA 1938-1941. Innsbruck: Studienverlag 2010
  • Martin Krist, Albert Lichtblau: Nationalsozialismus in Wien. Opfer - Täter - Gegner (Nationalsozialismus in den österreichischen Bundesländern 8), Innsbruck, Wien, Bozen: Studienverlag 2017, S. 253-255.
  • Otto Tausig: Kasperl, Kummerl, Jud. Eine Lebensgeschichte. Wien: Mandelbaum 2003
  • Anna Wexberg-Kubesch: Vergiss nie, dass du ein jüdisches Kind bist. Der Kindertransport nach England 1938/39. Wien: Mandelbaum 2013

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Claudia Curio: Verfolgung, Flucht, Rettung. Die Kindertransporte 1938/39 nach Großbritannien (Dokumente - Texte - Materialien 59), Berlin: Metropol Verlag 2006, S. 64 f.
  2. Gerda Hofreiter: Allein in der Fremde: Kindertransporte von Österreich nach Frankreich, Großbritannien und in die USA 1938-1941. Innsbruck: Studienverlag 2010, S. 39 f.
  3. Claudia Curio: Verfolgung, Flucht, Rettung. Die Kindertransporte 1938/39 nach Großbritannien (Dokumente - Texte - Materialien 59), Berlin: Metropol Verlag 2006, S. 66-69.
  4. Gerda Hofreiter: Allein in der Fremde: Kindertransporte von Österreich nach Frankreich, Großbritannien und in die USA 1938-1941. Innsbruck: Studienverlag 2010, S. 33
  5. Claudia Curio: Verfolgung, Flucht, Rettung. Die Kindertransporte 1938/39 nach Großbritannien (Dokumente - Texte - Materialien 59), Berlin: Metropol Verlag 2006, S. 64
  6. Gerda Hofreiter: Allein in der Fremde: Kindertransporte von Österreich nach Frankreich, Großbritannien und in die USA 1938-1941. Innsbruck: Studienverlag 2010, S. 40
  7. Wikipedia: Gretel Beer, vormals Margaret Weidenfeld