Kabarett

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Kulisse, Kleinkunstbühne und Beisl (2023)
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Datum bis
Objektbezug Zwischenkriegszeit
Quelle Felix Czeike: Historisches Lexikon Wien
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Bildunterschrift Kulisse, Kleinkunstbühne und Beisl (2023)

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Ende 19. Jahrhundert entwickelte sich, von Frankreich ausgehend, das im Text oft zeitkritische, meist literarische und oft die Obrigkeit provozierende Chanson zur wichtigsten Form der Unterhaltung, das "Brettl" wurde zum Podium für scharfe Zeitkritik. Die nach der Jahrhundertwende entstehenden Kleinbühnen bildeten eine typisch wienerische Mischform von Kabarett und Theater mit hauptsächlich polemisch-satirischen und kulturkritischen Einaktern, Sketches und literarischen Vortragsstücken. Für die ersten „Brettl"-Gründungen in Wien war die Leopoldstadt mit ihrem hohen jüdischen Bevölkerungsanteil ein guter Nährboden; viele Komödianten fanden in den Kaffeehäusern ein interessiertes Publikum. Die Künstler, unter denen sich viele spätere Größen befanden, spielten auf Anteil an den Einnahmen. Das bekannteste Kabarett war die Budapester Orpheumgesellschaft, die unter anderem im Hotel Stephanie (2., Taborstraße 12) auftrat. Das "Bierkabarett Simplicissimus" ist das einzige der damals gegründeten Kabaretts, das bis in die Gegenwart besteht (Simpl).

Als sich Wien um 1900 zur europäischen Großstadt entwickelte, führte dies neben der zweiten Blüte der Operette ("Silberne Ära") auch zu einem erhöhten Zerstreuungsbedürfnis der Bevölkerung. Insbesondere die Zeitspanne 1900 bis 1914 bot mit ihrem Durchbruch zur Massenkultur günstige Entwicklungsmöglichkeiten für Kaffeehäuser, Orpheen, Tanzpaläste, Varietés und Kabaretts, die zum Treffpunkt des Großstadtpublikums wurden. 1901 gründete Felix Salten im von Wilhelm Karczag betreuten Theater an der Wien (6., Linke Wienzeile 6) das "Jung-Wiener Theater zum Lieben Augustin", das sich im Stil des Berliner "Überbrettls" versuchte, sich jedoch nicht durchsetzen konnte. Es wurden 1903 Ben Tibers "Apollotheater", 1905 das "Moderne Cabaret", 1906 das "Cabaret Nachtlicht" und die "Hölle" (im Souterrain des Theaters an der Wien), 1907 die "Fledermaus" (ab 1913 Kabarett Femina) und 1910 der "Himmel" eröffnet.

Einen ersten Höhepunkt erreichte das Wiener Kabarett in den 1930er Jahren, als zeitweise bis zu 25 Kellerbühnen gleichzeitig in Wien existierten. Das Wiener Theatergesetz 1930 begünstigte Lokale mit weniger als 50 Sitzplätzen, da keine Konzession mehr nötig war, sondern eine Anmeldung genügte. In diese Periode, die 1938 ein gewaltsames Ende fand, fallen bedeutende Neugründungen von (meist in Kellerräumlichkeiten eingerichteten) Theatern, deren Sitzplatzangebot auf maximal 49 Zuschauer begrenzt blieb. Inhaltlich fokussierten sich die Bühnen auf aktuelle, zeitkritische Chansons und andere Darbietungen. Zahlreiche bedeutende Schauspieler traten am Anfang ihrer Karriere auf diesen Kleinkunstbühnen auf (beispielsweise Franz Böheim, Hugo Gottschlich, Heidemarie Hatheyer, Hilde Krahl, Josef Meinrad, Erich Nikowitz und Rudolf Steinboeck). Im "Simpl" waren die Doppelconferencen von Karl Farkas und Fritz Grünbaum ein besonderer Erfolg.

Das erste zeitkritische Kabarett Wiens war der von Stella Kadmon (mit dem Haupttexter Peter Hammerschlag) am 7. November 1931 eröffnete "Liebe Augustin"). Einen neuen Typus entwickelten Rudolf Weys und F. W. Stein mit der 1933 gegründeten "Literatur am Naschmarkt", mit der das Genre der Kleinkunst "salonfähig" wurde ("Burgtheater der Kleinkunst") und die mit dem 1933 gegründete literarisch-politischen Kabarett "Die Stachelbeere" eng verbunden war. Als politisch schärfstes Kabarett galt das "Kabarett ABC", auch "ABC im Regenbogen"; hier wurden unter anderem Stücke von Jura Soyfer aufgeführt. Daneben etablierten sich auch zahlreiche kleine Kabaretts, wie das "KIK" ("Kleinkunst im Kasino-Theater"), das 1934/1935 vom Pächter der "Schiefen Laterne" (1., Walfischgasse 11) aufgenommen wurde, "Die neuen Scharfrichter" im Café Künstlerheim (2, Praterstraße), die im Dezember 1935 von Renée von Bronneck gegründete "Kleinkunst in den Colonnaden" (für die Hammerschlag und Eckhardt als Autoren fungierten) und andere. Die Blütezeit des Kabaretts, die von zahlreichen jüdischen Künstlern getragen wurde, fand in der nationalsozialistischen Ära ein jähes Ende; zahlreiche Vertreter der Kleinkunst kamen in Konzentrationslagern um (beispielsweise Fritz Grünbaum, Peter Hammerschlag und Jura Soyfer), nur wenigen wie Karl Farkas gelang die Flucht ins Ausland. 1939 begann - unter stillschweigender Duldung seitens der nationalsozialistischen Behörden - das "Wiener Werkel" zu spielen.

Nach 1945 erlebte das Wiener Kabarett eine Wiedergeburt. Von den Bühnen der 1930er Jahre wurde der "Liebe Augustin" bis 1948 weitergeführt (Umwandlung durch Stella Kadmon, die 1947 aus dem Exil heimgekehrt war, ins Theater der Courage). 1951 hatte das Quartett Helmut Qualtinger, Carl Merz, Michael Kehlmann und Gerhard Bronner einen überwältigenden Erfolg mit einer in die damalige Zeit transponierten Neufassung von Schnitzlers "Reigen" im "Kleinen Theater im Konzerthaus" und beschloss daraufhin, beisammenzubleiben. Im Herbst 1952 brachten sie die Kabarettrevue "Brettl vor'm Kopf" heraus, der weitere folgten ("Blattl vor'm Mund", "Glasl vor'm Aug", "Spiegel vor'm G'sicht"); das Team erweiterte sich unter anderem um Louise Martini und Johann Sklenka. Nach den Erfolgen Qualtingers mit "Der Halbwilde", dem "G'schupften Ferdl" und "Der Papa wird's schon richten" kreierten Qualtinger und Merz 1957 den "Travnicek". 1959 übersiedelte das Team mit dem Programm "Dachl über'm Kopf" in das "Neue Theater am Kärntnertor" (1., Walfischgasse 4). Hier beendete Qualtinger mit dem "Hackl im Kreuz" 1961 seine Karriere als Kabarettist und sorgte im selben Jahr mit dem "Herrn Karl" für Begeisterungs- und Entrüstungsstürme.

Im "Simpl" übernahm Karl Farkas 1950 erneut die künstlerische Leitung und formierte dessen Team neu. Enorme Popularität erreichte er mit Doppelconferencen, die sein Co-Autor Hugo Wiener verfasste und die er mit Ernst Waldbrunn als Partner zur Aufführung brachte.

In den 1970er Jahren wurde das Kabarett wieder kritischer; als Vorreiter fungierte das "Kabarett Keif“ mit Erwin Steinhauer, Erich Demmer, Wolfgang Teuschl sowie Lukas Resetarits als Protagonisten. Nach der Auflösung von "Keif" suchte Resetarits allein seinen Weg und wurde einer der ersten Solokabarettisten Österreichs. Topsy Küppers gründete 1976 die "Freie Bühne Wieden". Neu war auch die Verbindung von Kabarett und Rockmusik wie sie etwa von den "Schmetterlingen" praktiziert wurde. Die Geburtsstunde einer neuen Kleinkunst-Epoche schlug um 1980, als unter anderem von Fritz Aumayr die "Kulisse" gegründet wurde (17., Rosensteingasse 39). 1983 folgten das "Spektakel" (5., Hamburgerstraße 14) und das "Kabarett Niedermair" (8., Lenaugasse 1A), 1989 das "Vindobona" (20., Wallensteinplatz 6). (2010 kam der Stadtsaal in der Mariahilfer Straße dazu.) Die 1980er Jahre brachten auch feministisches Kabarett auf die Bühnen. Neben Marie Therese Escribano traten 1984 im "Theater in der Drachengasse" "Die Emmis" auf (gegründet von Emmy Werner), im selben Jahr begannen "Chin & Chilla" ihre Karriere, 1987 "Die Menubeln". Solistinnen wie Dolores Schmidinger folgten.

Renate Heinzl eröffnete im Herbst 1984 im ehemaligen Premierenkino "Wienzeile" das "K & K-Theater am Naschmarkt" (6., Linke Wienzeile 4), in dem anfangs ihr Mann Hans Peter Heinzl, später die "Hektiker" (Mini Bydlinski, Wolfgang Pissecker, Florian Scheuba, Werner Sobotka) und Alexander Goebel erfolgreich auftraten. Ebenfalls in den 1980er Jahren begannen die Karrieren von Andreas Vitásek oder Josef Hader und die Gruppe "Schlabarett" brachte mit "Atompilz von links" nachhaltig das so genannte Kabarett-Stück auf die Bühne. Aus dieser Gruppe gingen in den 1990er Jahren die Solisten Alfred Dorfer, Roland Düringer bzw. die Solistin Andrea Händler. Die Leitung des "Simpl", den ab 1974 Martin Flossmann und sein Team bespielten, übernahm 1993 der damals erst 25-jährige Michael Niavarani, der es seither leitet.

Der Kabarett-Boom ist bis in die Gegenwart ungebrochen, formal gibt es eine Abkehr vom Nummernkabarett und das Auftreten von "Comedy". Erfolgreich waren und sind so genannte Kabarettfilme wie "Muttertag", "Indien" oder "Hinterholz 8", aber auch eigene Sendungen in Rundfunk und Fernsehen.

Literatur

  • Iris Fink: „… und das Lachen höret nimmer auf“. Von politischer Kleinkunst zum Kabarettboom. Kleinkunst in Österreich 1970 bis 2000. Graz: Österr. Kabarettarchiv 2022
  • Iris Fink/Hans Veigl: … und Lachen hat seine Zeit. Kabarett zwischen Wiederaufbau und Wirtschaftswunder. Kleinkunst in Österreich 1945 bis 1970. Graz: Österr. Kabarettarchiv 2016
  • Hans Veigl/Iris Fink: Galgenhumor. Kleine Kunst im Großen Krieg. Ein Beitrag zur k.k. Unterhaltungskultur 1914 bis 1918. Graz: Österr. Kabarettarchiv 2014
  • Hans Veigl: Lachen im Keller. Kabarett und Kleinkunst in Wien 1900 bis 1945. Graz: Österr. Kabarettarchiv 2013
  • Hans Veigl (Hg.): Gscheite & Blöde. Doppelconferencen. Wien: Kremayr & Scheriau 1993
  • Hans Veigl (Hg.): Nachtlichter. Sezessionistisches Kabarett. Wien: Kremayr & Scheriau 1993
  • A. Maximilian Bernardyn: Vom Cabaret zum Kabarett. Ein Blick in die Anfänge des Kabaretts. In: Lesezirkel, Literaturmagazin der Wiener Zeitung 56 (1992), S. 6 f.
  • Hans Veigl (Hg.): Luftmenschen spielen Theater. Jüdisches Kabarett in Wien. 1890-1938. Wien: Kremayr & Scheriau 1992
  • Hans Veigl (Hg.): Fritz Grünbaum. Gedichte und Monologe aus dem Repertoire. Wien: Kremayr & Scheriau 1992
  • Rösler Walter (Hg.): Gehn ma halt a bisserl unter. Kabarett in Wien von den Anfängen bis heute. Berlin: Henschel 1991
  • Hans Veigl (Hg.): Karl Farkas. Ins eigene Nest. Sketches, Bilanzen, Doppelconferencen. Wien: Kremayr & Scheriau 1991
  • Hans Veigl (Hg.): Armin Berg. Der Mann mit dem Überzieher. Couplets, Conferencen und Parodien aus dem Repertoire. Wien: Kremayr & Scheriau, 1990
  • Klaus Budzinski: Das Kabarett: 100 Jahre literarische Zeitkritik -gesprochen - gesungen - gespielt. Düsseldorf/Wien: Econ-Taschenbuch-Verl. 1985
  • Friedrich Scheu: Humor als Waffe. Politisches Kabarett in der ersten Republik. Wien [u.a.]: Europaverl. 1977
  • Gottfried Heindl: Wien. Brevier einer Stadt. Wien: Neff 1972, S. 84 f.
  • Rudolf Weys: Cabaret und Kabarett in Wien. Wien [u.a.]: Jugend und Volk 1970
  • Manfred Lang: Kleinkunst im Widerstand. Das „Wiener Werkel". Das Kabarett im 3. Reich. Diss. Univ. Wien. Wien 1967
  • Hermann Hakel: Wigl Wogl. Kabarett und Variete in Wien. Wien [u.a.]: Forum 1962
  • Ingeborg Reisner: Kabarett als Werkstätte des Theaters. Literarische Kleinkunst in Wien vor dem zweiten Weltkrieg. Diss. Univ. Wien. Wien 1961


Weblinks