KZ-Überlebende im Nachkriegs-Wien
Unterkunft und Aufnahme
Im Juni 1945 wurde angekündigt, dass arisierte Wohnungen erfasst werden sollten, um eine Restituierung auf den Weg bringen zu können. Das Wohnungsamt der Stadt Wien forderte Anfang Juli 1945 alle Hauseigentümer und -eigentümerinnen auf, in ihren Wohnungen untergekommene Nazifunktionäre und Illegale zu kündigen – die Wohnungen sollten stattdessen Nazi-Opfern zugutekommen. Die Wohnungssituation war aber generell aufgrund der vielen Zerstörungen angespannt, und insbesondere die jüdischen Opfer des Holocaust wurden von der Politik lange ignoriert, die Restitution wurde vertagt oder gänzlich unterlassen.
Viele KZ-Überlebende kamen daher nur in Flüchtlingslagern unter, und waren dort auch alles andere als gut versorgt. Das ehemalige Rothschildspital in der Währinger Straße, das im Krieg schwer beschädigt worden war, beherbergte über die Jahre bis 1952 zigtausende jüdische Flüchtlinge. In 9., Alserbachstraße 23 befand sich ein Flüchtlingslager für ehemalige jüdische KZ-Insassen und -Insassinnen. Dort kam es im April 1946 zu einem Eklat, als sich zwei Lagerbewohner eigenmächtig Kartoffeln beschaffen wollten. Bei der Festnahme fand ein Auflauf statt, wobei sich die Anwesenden mehrheitlich gegen die Festgenommenen aussprachen. Daraufhin zogen etwa 40 Lagerinsassen zum Wachzimmer, demonstrierten dort und versuchten, die beiden Verhafteten mit Gewalt zu befreien. Trotz zertrümmerter Fenster und Schüssen von beiden Seiten wurde niemand verletzt. Schließlich griff die US-amerikanische Militärpolizei ein. Gemeinsam mit der österreichischen Polizei untersuchte sie erfolglos das Lager auf Waffen. Am selben Tag wurde ein Insasse des Lagers von Zivilisten misshandelt, als er mit zwei Kollegen die Polizei konfrontierte. Der Streit hatte sich an einem zerstörten Billardtisch in einem nahen Café entzündet.
Mediale und juristische Aufarbeitung der Verbrechen
Über die Vorgänge in den Konzentrationslagern wurde die breite Öffentlichkeit in Zeitungsartikeln unterrichtet. Im Mai berichtete die "Österreichische Zeitung" über Auschwitz, im Juni wurde die Mittäterschaft Österreichs thematisiert und die Bevölkerung aufgerufen, Nazi-Verbrecher bei den Behörden zu melden. Über den Sommer kamen immer neue Gräueltaten zutage, die Berichterstattung umfasste Massaker, Konzentrationslager und die ab August vor dem Volksgericht Wien stattfindenden Prozesse (der erste Prozess von 15. bis 17. August 1945 endete mit drei Todesurteilen für SA-Männer). Anfang Dezember veröffentlichte das "Neue Österreich" eine Liste mit 86 hochrangigen Nazis unter dem Titel "Erste Kriegsverbrecherliste Österreichs".
Organisationen
Schon Mitte September 1945 gründete sich in Wien ein Verband der ehemaligen KZ-Häftlinge.
Die bei der Verwaltungsgruppe X (Wohlfahrtswesen) angesiedelte Zentralregistrierung der Opfer des Naziterrors in Österreich war nach Kriegsende für die Erfassung und Versorgung der von den Nazis verfolgten Personen zuständig (KZ- und Zuchthaus-Häftlinge sowie zurückkehrende Emigrierte). Parallel dazu bestand – ebenfalls seit Kriegsende – die "Volkssolidarität", die im Februar 1946 den Beschluss fasste, neben ehemaligen Häftlingen von nun an auch alle ihrer Abstammung wegen Verfolgten zu betreuen. Ausgeschlossen blieben Personen, die wegen tatsächlicher krimineller Handlungen im Gefängnis gesessen hatten. Die Volkssolidarität prüfte die Bedürftigkeit der Antragstellenden und vermittelte sie weiter. Damit übernahm sie die Zuständigkeiten der Zentralregistrierung, die somit Ende März 1946 aufgelöst wurde; die Stadt ging davon aus, dass kaum noch ein Bedarf für eine Registrierungsstelle bestand.
Das Sachbeihilfenlager der Gemeinde Wien, das für die Ausgabe von Kleidungsstücken, Haushaltsgegenständen und Mobiliar an Bedürftige zuständig war, hatte zunächst keine Lagerbestände, da diese gegen Kriegsende vernichtet worden war. Ende 1945 begann diese vom Wohlfahrtsamt geführte Stelle – unterstützt vom KZ-Verband, der Volkssolidarität, der Caritas, dem Evangelischen Oberkirchenrat und der Israelitischen Kultusgemeinde – mit der Übernahme und Ausgabe von Gütern, die die US-amerikanische Besatzungsmacht bereitstellte.
Im Juli 1947 erfolgte die Auflösung der Volkssolidarität, deren Kompetenzen übernahm mit 1. August das Wohlfahrtsamt der Stadt Wien. Dieses erklärte sich bereit, allen bedürftigen Nazi-Opfern den Lebensunterhalt zu sichern, die nach dem Opferfürsorgegesetz Anspruch hatten, darüber hinaus aber auch jene Personen einzubeziehen, die zwar bei der Volkssolidarität Unterstützung gefunden hatten, obwohl sie eigentlich nicht unter das Opferfürsorgesetz fielen. Dies betraf in erster Linie Personen, die zur NS-Zeit die deutsche Staatsbürgerschaft abgelehnt hatten, nun aber die österreichische noch nicht erlangt hatten, sowie Frauen, deren Männer vermisst waren. Die Entscheidung über die Bedürftigkeit der Nazi-Opfer und das Ausmaß der Unterstützung fiel einem Beirat zu, der aus den drei politischen Parteien mit je einem Vertreter und einem Stellvertreter beschickt wurde.
Am 25. Februar 1948 konstituierte sich auf Grundlage des Opferfürsorgegesetzes eine von den politischen Parteien und den zuständigen Ämtern beschickte Kommission bei der Wiener Landesregierung, die für die Prüfung und Festsetzung von Rentenansprüchen der Opfer des Faschismus zuständig war. Bis Ende 1950 fanden 100 Sitzungen dieser Kommission statt, in der von 30.000 behandelten Fällen nur etwas mehr als die Hälfte positiv beschieden wurden; 30% davon entfielen auf Hinterbliebene. Die Entscheidungsfindung wurde dabei sehr rigoros gehandhabt, was viele Menschen aufgrund von Formalfehlern oder Fristversäumnissen um ihre berechtigten Ansprüche brachte.
Unterstützung
Unmittelbar nach Kriegsende erhielten in Wien einlangende ehemalige KZ-Häftlinge ein Lebensmittelpaket auf Kosten der Stadt. Ende 1945 stellte das Amerikanische Rote Kreuz in der US-Zone über 18.400 Lebensmittelpakete für fast 16.000 von den Nazis verfolgte, inhaftierte oder verschickte Personen zur Verfügung, die Ausgabe erfolgte über das Sachbeihilfenlager der Gemeinde. Bis Juli 1946 wurden so insgesamt 53.643 Lebensmittelpakete in 13 Ausgaben verteilt. Ein Normalpaket, wie sie zu Weihnachten 1945 ausgegeben wurden, bestand aus Fleisch, Zucker, Schokolade, Fettkonserven, Käse, Zigaretten, getrockneten Früchten, Leberpastete und Fischkonserven.
Im April 1946 übersendete der tschechische KZ-Verband drei Waggons Kartoffeln für Wiener KZ-Opfer. 60 Kinder von ermordeten Nazi-Opfern erhielten im Sommer 1947 auf Kosten der "Freien Österreichischen Bewegung in Norwegen" einen Auslandsaufenthalt in Norwegen; diese Bewegung hatte zuvor Lebensmittel gesammelt und nach Österreich geschickt, um dort insbesondere ehemalige KZ-Insassen und politisch Verfolgte zu unterstützen. Im Frühjahr 1948 erhielten politisch und rassisch Verfolgte einen Aufenthalt im Erholungsheim Grimmenstein für einen Unkostenbeitrag.
Politische Aktivitäten
Einige ehemalige KZ-Häftlinge, vor allem politisch Verfolgte, wurden bald nach dem Krieg wieder öffentlich aktiv. Im Juni kam es anlässlich des "Tags der Volkssolidarität" zu einer Großdemonstration der politisch Verfolgten; ihr Beitrag wurde von Vertretern der drei Parteien in Reden vor dem Parlament hervorgehoben. Ein KZ-Überlebender organisierte Anfang August eine Demonstration gegen die Weiterbeschäftigung von Nationalsozialisten in Ämtern, zu der etwa 150 Personen kamen. 1948 kam es wiederholt zu Demonstrationen von ehemaligen KZ-Insassen gegen den Verband der Rückstellungsverpflichteten, die auch in tätlichen Angriffen und Polizeieinsätzen resultierten.
Einige ehemalige politisch Verfolgte fanden rasch in ihr Tätigkeitsfeld zurück. [Franz Koci], der in Buchenwald inhaftiert gewesen war, wurde 1951 zum Stadtrat gewählt. Der Autor und Chefredakteur der Zeitschrift "Neues Österreich", Rudolf Kalmar, war ebenso ein ehemaliger KZ-Insasse – er veröffentlichte auch ein Buch über seine Zeit im KZ. Felix Hurdes stieg schon 1945 zum Unterrichtsminister auf.
Gedenken
Eine öffentliche Gedenkveranstaltung der jüdischen Gemeinde fand am 9. November 1945 anlässlich des Jahrestags des Novemberpogroms im Musikvereinssaal statt, etwa 900 Personen, darunter der ehemalige KZ-Insasse und jetzige Minister Felix Hurdes, nahmen teil. Zum Schutz standen 40 Polizisten bereit, die allerdings nicht eingreifen mussten.
Mitte Juni 1945 veröffentlichte die Zeitung "Neues Österreich" eine Liste von 206 Nazi-Opfern und gab bekannt, wo sich die Grabstellen befanden, eine zweite Liste mit 141 Namen folgte im August. Beide Beiträge beschränkten sich auf Grabstätten auf dem Zentralfriedhof. Ebendort legte am 1. November 1947 Bürgermeister Körner den Grundstein für ein Denkmal für die Opfer des Faschismus (betitelt "Mahnmal für die Opfer für ein freies Österreich 1934-1945", Bildhauer: Fritz Cremer), das genau ein Jahr später im Beisein der KZ- und Freiheitskämpferverbände enthüllt werden konnte.
Quellen
- Wiener Stadt- und Landesarchiv, Nachlass Körner, A1.4.1.71 – Bericht über die amerikanische Lebensmittelpaketaktion
- Wiener Stadt- und Landesarchiv, Nachlass Körner, A1.4.21 – Polizei Tagesberichte
- Rathauskorrespondenz vom Juni 1945, Juli 1945, August 1945, September 1945, Dezember 1945, Februar 1946, März 1946, April 1946, Juli 1946, Juli 1947, Oktober 1947, April 1948, November 1948, September 1950, Dezember 1950, Juni 1951