Israelitischer Friedhof Währing

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Grab von Joachim Ephrussi (1791-1864), 2017
Daten zum Objekt
Art des Objekts Friedhof
Datum von 1784
Datum bis 1942
Name seit
Andere Bezeichnung Jüdischer Friedhof Währing
Frühere Bezeichnung
Benannt nach
Bezirk 18
Prominente Bewohner
Besondere Bauwerke
PageID 50503
GND
WikidataID Q872769
Objektbezug Jüdische Geschichte, Friedhöfe, Israelitische Friedhöfe, Israelitische Kultusgemeinde
Quelle
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Letzte Änderung am 3.11.2023 durch WIEN1.lanm09fri
Bildname Joachim Ephrussi.JPG
Bildunterschrift Grab von Joachim Ephrussi (1791-1864), 2017

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48° 13' 55.06" N, 16° 21' 3.64" E  zur Karte im Wien Kulturgut

Israelitischer Friedhof Währing am Stadtplan von 1887

Der jüdische Friedhof Währing

Der jüdische Friedhof Währing ist einer von sieben jüdischen Friedhöfen in Wien. Er ist der zweitälteste jüdische Friedhof Wiens und diente den Jüdinnen und Juden von Wien zwischen 1784 und 1879 als Grabstätte. Der älteste erhaltene Friedhof befindet sich in der Seegasse 9 (9. Bezirk) und stammt aus dem 16. Jahrhundert. Nach der Schließung des Währinger Friedhofs erfolgten die meisten Begräbnisse auf dem alten israelitischen Friedhof beim 1. Tor des Zentralfriedhofs in der Simmeringer Hauptstraße 230b, ab 1917 auch auf dem neuen israelitischen Friedhof beim 4. Tor Simmeringer Hauptstraße 244. Außerdem hatte ab 1885 der ((Döblinger Friedhof in der Hartäckerstraße 65 eine israelitische Abteilung, wo auch Theodor Herzl bis zu seiner Überführung nach Israel im Jahr 1949 bestattet war. Seit der Eingemeindung des Bezirks im Jahr 1909, gehörte der jüdische Friedhof in Floridsdorf in der Ruthnergasse 28 ebenfalls zu Wien. Seit 2007 besteht auf dem Zentralfriedhof beim 1. Tor ein Gräberhain der liberalen Gemeinde Or Chadasch.

Errichtung und kulturelle Bedeutung

Sanduhr im Giebelfeld über dem Eingang zum Israelitischen Friedhof in Währing (2020)

Der jüdische Friedhof Währing Schrottenbachgasse 3 wurde im Zuge der Reformgesetzgebung von Joseph II. aus hygienischen Gründen im Jahr 1784 außerhalb des Linienwalls angelegt. Auch christliche Friedhöfe waren von dieser Reform betroffen. Zu diesem Zweck kaufte die jüdische Kultusgemeinde 1784 neben dem katholischen Währinger Allgemeinen Friedhof ein Grundstück. Der am Beginn der heutigen Döblinger Hauptstraße gelegene Friedhof wurde noch im selben Jahr eröffnet und wurde 1835 und 1857 erweitert. Erst nach Gründung des Wiener Zentralfriedhofs, der als kommunale Einrichtung auch eine israelitische Abteilung enthielt, wurde der Währinger Friedhof im Jahr 1879 geschlossen. Einzelne Begräbnisse fanden in größeren Gruftanlagen jedoch bis Anfang des 20. Jahrhunderts statt.

In seiner fast hundertjährigen Bestandszeit bot er Platz für die Gräber der bedeutenden Mitglieder der jüdischen Gemeinde in Wien aber auch für einfache Handwerker, Arbeiter und Dienstbotinnen. Zu den erstgenannten zählen unter anderem Mitglieder der Familien Arnstein, Biedermann, Cohen, Epstein, Eskeles, Ephrussi, Hönigsberg, Hofmannsthal, De Majo, Szantó und Wertheimer, zu den letzteren die Familien Czerwenka, Friedmann, Glück, Heim, Kohn, Plawetz und Saar, um nur einige zu nennen. Der Friedhof spiegelt nicht nur die Geschichte der Jüdinnen und Juden in Wien wider; die Grabsteine mit ihren Inschriften und ihrer künstlerischen Gestaltung lassen auch Rückschlüsse auf die soziale, religiöse und gesellschaftliche Stellung der Bestatteten zu. Es gibt kleine unscheinbare Grabsteine, monumentale Einzelgräber und Gruftanlagen aus der Zeit der Aufklärung bis zum Historismus.

Die Mehrheit der Gräber gehörte aschkenasischen Familien, aber auch die Gräber der seit Beginn des 18. Jahrhunderts in Wien bestehenden sephardischen Gemeinde sind auf dem Währinger Friedhof zu finden. Da die Totenruhe nach dem jüdischen Religionsgesetz heilig ist, bestehen jüdische Gräber auf "ewig" und jüdische Gemeinden sind bemüht, den Bestand ihrer Friedhöfe und aller Gräber zu sichern. Der Währinger jüdische Friedhof umfasste ursprünglich an die 9500 Gräber, von denen heute noch 7000 erhalten sind.[1] Unter der nationalsozialistischen Herrschaft wurde ein Teil des Friedhofs durch Anlage eines Löschteichs zerstört.

"Arisierung" und Zerstörung des Friedhofs

Nach dem "Anschluss" gehörten die jüdischen Friedhöfe zu den wenigen Grünanlagen, wo sich Jüdinnen und Juden aufhalten durften. Bereits ab 1938 kam es auf den Friedhöfen zu umfangreichen Zerstörungen. So brannten Nationalsozialisten im Zuge des Novemberpogroms die aus Holz gebaute Zeremonienhalle auf dem alten israelitischen Friedhof beim 1. Tor des Zentralfriedhofs nieder. Die gemauerte Zeremonienhalle beim 4. Tor wurde durch Sprengladungen schwer beschädigt. Im Auftrag der NS-Behörden wurden die meisten Grabsteine des Friedhofs in der Seegasse zerstört. Die jüdischen Friedhöfe gehörten zu den letzten Liegenschaften, die der Israelitischen Kultusgemeinde Wien während der NS-Zeit geraubt wurden. Ab Mai 1940 betrieben der Stillhaltekommissar, die "Zentralstelle für jüdische Auswanderung" sowie die Stadt Wien die "Arisierung" der jüdischen Friedhöfe Wiens. Nachdem die Stadt Wien am 8. Jänner 1941 die Auflösung der jüdischen Friedhöfe und damit die "Arisierung" dieser Grundstücke beschlossen hatte, begann sie im Sommer deselben Jahres mit der Zerstörung der Gräber. Besonders gefährdet waren der Währinger Friedhof und die Seegasse, weil die alten Gräber nicht mehr der aus hygienischen Gründen bestehenden gesetzlichen Speerfrist unterlagen.

Am 9. Juni 1941 bot die Kultusgemeinde im Jüdischen Nachrichtenblatt an, verstorbene Angehörige vom Währinger Friedhof auf den Zentralfriedhof umzubetten, da ersterer durch behördlichen Auftrag aufgelöst werden sollte, um einen Löschteich zu errichten. Zwischen Juni und Dezember 1941 wurden 127 Exhumierungen prominenter Jüdinnen und Juden durchgeführt und die sterblichen Überreste auf die jüdischen Abteilungen des Zentralfriedhofs umgebettet.[2]

Am 30. September 1941 verfügte der Wiener Bürgermeister, Philipp Wilhelm Jung, dass jüdische Bestattungen nur mehr auf dem neuen israelitischen Teil des Zentralfriedhofs (4. Tor), dem Friedhof in Floridsdorf und dem während der NS-Zeit zu Wien gehörenden Groß-Enzersdorfer Friedhof in der Friedhofsgasse 2 stattfinden dürften.[3] Die Stadt Wien übernahm den alten jüdischen Friedhof beim 1. Tor des Zentralfriedhofs. Aufgrund der Intervention des Leiters der Israelitischen Kultusgemeinde, Josef Löwenherz, konnten hier jedoch bis Ende 1942 weiterhin Begräbnisse in bereits bestehenden Gräbern und Grüften durchgeführt werden. Danach waren Beerdigungen nur mehr am 4. Tor erlaubt. Am 1. Dezember 1942 ordnete das Landwirtschaftsamt der Reichsstatthalterei Wien an, dass Eisengitter und Metallgegenstände von jüdischen Friedhöfen in Wien, Nieder- und Oberdonau für die Schrottsammlung zur Verfügung gestellt werden müssten.[4]

Am 1. Dezember 1942 ordnete das Landwirtschaftsamt der Reichsstatthalterei Wien an, einen Teil der Gräber des Währinger Friedhofes zu exhumieren. An ihre Stelle wurde ein Löschteich errichtet. Die Schändung von jüdischen Gräbern forcierten auch Wissenschaftler. Angeregt von Richard Pittioni, Leiter des Landesmuseums in Eisenstadt, bemühte sich Josef Wastl, Leiter der anthropologischen Abteilung am Naturhistorischen Museum, um Skelette von Jüdinnen und Juden für "anthropologische Untersuchungen".[5] Ende 1942 beziehungsweise Anfang 1943 wurden dem Naturhistorischen Museum Skelette aus Gräbern des Währinger Friedhofs zu Untersuchungen übergeben. Die genaue Zahl lässt sich aufgrund unsicherer Quellenlage nicht feststellen.

Nachkriegszeit

Im Jahr 1947 übergab das Naturhistorische Museum Wien die Skelette der Exhumierten der Israelitischen Kultusgemeinde. Es konnten 223 Personen am 4. Tor des Zentralfriedhofs wiederbestattet werden.[6] Viele der Originalgrabsteine der Wiederbestatteten stehen heute noch auf dem Währinger Friedhof. Die Stadt Wien versuchte bis Mitte der 1950er Jahre, den Friedhof aufzulösen und in einen Park umzuwandeln. Auf jenem Teil, der für den Bau eines Löschteichs zerstört wurde, steht heute ein Gemeindebau, der Arthur-Schnitzler-Hof.

Über mehrere Jahrzehnte war der Friedhof dem Verfall preisgegeben. Vor allem der Baumbestand und Vandalismus zerstörten viele Gräber. Die Israelitische Kultusgemeinde konnte sich die Renovierung und den Erhalt des Friedhofes nicht leisten, weshalb die Stadt Wien und die österreichische Bundesregierung entsprechende Zusagen machten. Die Sanierung hat 2019 mit ersten archäologischen Arbeiten an zwei Testflächen begonnen und schreitet seit 2020 kontinuierlich voran.

Der jüdische Friedhof Währing besitzt noch immer viele kulturhistorisch wertvolle Grabmonumente und ist somit ein bedeutendes Denkmal der Wiener Stadtgeschichte. Der Friedhof ist nicht öffentlich zugänglich, kann aber einmal im Monat nach Unterzeichnung eines Haftungsverzichts besucht werden (Infos und Anmeldung siehe unten "Links"). Außerdem finden regelmäßig Freiwilligeneinsätze statt.

Siehe auch: Israelitische Friedhöfe

Israelitischer Friedhof Währing: Liste der hier bestatteten Personen

Im Wien Geschichte Wiki gibt es 2 Einträge von Personen, die auf diesem Friedhof bestattet sind.

BildPersonennameBerufGeburtsdatumSterbedatumGrabstelle
Franz Serafin von BlumfeldBeamter18 September 18089 März 1866
Jonas Königswarter.jpgJonas von KönigswarterBankier10 August 180723 Dezember 1871

Weblinks

Quellen

Literatur

  • Wolf-Erich Eckstein: Historische Recherche zur Vorbereitung der Restaurierung von Gräbern der 1941/42 aus dem Währinger Israelitischen Friedhof Exhumierten und am Zentralfriedhof, 4. Tor, Gruppe 14a 1941/42 und 1947 Wiederbestatteten. Wien 2015 [Stand: 05.12.2017]
  • Dieter J. Hecht / Eleonore Lappin-Eppel / Michaela Raggam-Blesch: Topographie der Shoah. Gedächtnisorte des zerstörten jüdischen Wien. Wien: Mandelbaum 2015, S. 79-81
  • Martha Keil: Von Baronen und Branntweinern. Ein jüdischer Friedhof erzählt. Fotos von Daniel Kaldori. Wien: Mandelbaum 2007
  • Bernhard Purim [Hg.]: Beschlagnahmt. Die Sammlung des Wiener Jüdischen Museums nach 1938. Wien: Jüdisches Museum Wien 1995
  • Patricia Steines: Hunderttausend Steine. Grabstellen großer Österreicher jüdischer Konfession auf dem Wiener Zentralfriedhof Tor I und Tor IV. Wien: Falter Verlag 1993, S. 27-30, 304-319
  • Tina Walzer: Die jüdischen Gründungsmitglieder der Österreichischen Nationalbank 1816 und ihre Grabmäler am jüdischen Friedhof Währing in Wien. In: David. Jüdische Kulturzeitschrift, Teil 1-5, Heft 111-115 (2016/2017)
  • Tina Walzer: Der jüdische Friedhof Währing in Wien. Historische Entwicklung. Zerstörungen der NS-Zeit. Status quo. Wien: Böhlau 2011

Einzelnachweise

  1. Institut für jüdische Geschichte Österreichs: Projekt: Martha Keil: Der Jüdische Friedhof Währing als Quelle zur Sozialgeschichte der Juden Wiens 1784–1874 [Stand: 05.12.2017].
  2. Wolf-Erich Eckstein: Historische Recherche zur Vorbereitung der Restaurierung von Gräbern der 1941/42 aus dem Währinger Israelitischen Friedhof Exhumierten und am Zentralfriedhof, 4. Tor, Gruppe 14a 1941/42 und 1947 Wiederbestatteten. Wien 2015, S. 2-8 [Stand: 05.12.2017].
  3. Völkischer Beobachter, 09.01.1942, S. 5; Herbert Exenberger: "Gleich dem kleinen Häuflein der Makkabäer …". Die jüdische Gemeinde in Simmering 1848-1945. Wien: Mandelbaum 2009, S. 302.
  4. Wiener Stadt- und Landesarchiv, Volksgericht, A1: Vg 11 Vr 1866/1946: Bienenfeldbericht, S. 52, 66].
  5. Naturhistorisches Museum Wien, Archiv der Anthropologischen Abteilung, Korrespondenz 1939. Maria Teschler-Nicola / Margit Berner, Die Anthropologische Abteilung des Naturhistorischen Museums in der NS-Zeit. In: Untersuchungen zur Anatomischen Wissenschaft in Wien 1938-1945. Senatsprojekt der Universität Wien, Wien ²1998, S. 337.
  6. Wolf-Erich Eckstein: Historische Recherche zur Vorbereitung der Restaurierung von Gräbern der 1941/42 aus dem Währinger Israelitischen Friedhof Exhumierten und am Zentralfriedhof, 4. Tor, Gruppe 14a 1941/42 und 1947 Wiederbestatteten. Wien 2015, S. 20 [Stand: 05.12.2017].