Ignaz Seipel

Aus Wien Geschichte Wiki
Wechseln zu:Navigation, Suche
Ignaz Seipel, 1922
Daten zur Person
Personenname Seipel, Ignaz
Abweichende Namensform
Titel Prälat, Geheimer Rat, Dr. theol., Univ.Prof.
Geschlecht männlich
PageID 16089
GND 11861293X
Wikidata Q78720
Geburtsdatum 19. Juli 1876
Geburtsort Wien
Sterbedatum 2. August 1932
Sterbeort Pernitz, Niederösterreich
Beruf Priester, Politiker
Parteizugehörigkeit Christlichsoziale Partei
Ereignis
Nachlass/Vorlass
Objektbezug Zwischenkriegszeit
Quelle Felix Czeike: Historisches Lexikon Wien, Gedenktage
Export RDF-Export (Resource Description Framework) RDF
Recherche
Letzte Änderung am 4.04.2024 durch WIEN1.lanm09fri
Begräbnisdatum 5. August 1932
Friedhof Zentralfriedhof
Grabstelle Gruppe 14C, Nummer 7
Ehrengrab Ehrengrab
Bildname Ignaz Seipel.jpg
Bildunterschrift Ignaz Seipel, 1922
  • 15., Märzstraße 42 (Geburtsadresse)
  • 3., Keinergasse 37 (Wohnadresse)
  • 18., Gentzgasse 104 (Wohnadresse)
Familiäre Beziehung
Berufliche Beziehung
Beziehung, Bekanntschaft, Freundschaft
  • Bundeskanzler (31.05.1922 bis 20.11.1924)
  • Bundeskanzler (16.10.1926 bis 03.04.1929)
  • Abgeordneter zum Nationalrat (04.03.1919 bis 01.08.1932)
  • Professor für Moraltheologie, Universität Salzburg (1909 bis 1917)
  • Minister für Justiz (04.07.1928 bis 06.07.1928)
  • Minister für öffentliche Arbeiten und soziale Fürsorge (27.10.1918 bis 11.1918)
  • Professor für Moraltheologie, Universität Wien (1917 bis 1918)
  • Obmann des christlich-sozialen Abgeordnetenklubs (1921 bis 1930)

Ignaz Seipel, * 19. Juli 1876 Wien 15, Märzstraße 42 (Gedenktafel), † 2. August 1932 Pernitz, Niederösterreich (Zentralfriedhof, Ehrengrab, Gruppe 14 C, Nummer 7), Prälat, Bundeskanzler, Politiker.

Studierte Theologie an der Universität Wien (Priesterweihe 23. Juli 1899, Dr. theol. 1903), übte das Priesteramt in Niederösterreich aus und wirkte anschließend als Seelsorger und (ab 1902) als Religionsprofessor an der Wiener Lehrerinnenbildungsanstalt. Er entschied sich für die akademische Laufbahn, war 1902-1904 Kooperator in der Karmeliterkirche (2), habilitierte sich 1908 an der katholisch-theologischen Fakultät der Universität Wien, war 1909-1917 Prof. der Moraltheologie an der katholisch-theologischen Fakultät der Universität Salzburg und ab 1917 an der Universität Wien. 1918 wurde er Geheimer Rat und trat als k. k. Minister für öffentliche Arbeiten und soziale Fürsorge in das "Liquidierungskabinett" Lammasch ein. Anschließend war Seipel 1919/1920 Mitglied der Konstituierenden Nationalversammlung und 1921-1930 Obmann der Christlichsozialen Partei. 1920-1932 war er Mitglied des Nationalrats und 1922-1924 Bundeskanzler; sein Regierungsstil war geprägt durch seinen persönlichen Glauben an die Lebensfähigkeit Österreichs, aber auch durch diplomatische Kontakte mit Prag (Beitritt zur Kleinen Entente) beziehungsweise Rom (Zoll- oder sogar Staatsunion), die die europäischen Staaten alarmierten. Bereits 1922 erwirkte er eine Völkerbundanleihe in Genf ("Genfer Protokolle"), mit deren Hilfe er die Sanierung der österreichischen Staatsfinanzen zustande brachte (Ende der Inflation durch Einführung der Schilling-Währung 1924). Es war Seipels Verdienst, den jungen Staat aus der Existenzkrise von 1922 herauszuwinden, eine Wende einzuleiten und Österreich eine neue (neutrale) Rolle in Europa zu sichern. Am 1. Juni 1924 erlitt Seipel bei einem Attentat im Südbahnhof schwere Verletzungen, im November musste er demissionieren, blieb jedoch Obmann des christlichsozialen Abgeordnetenklubs. 1926-1929 war er nochmals Bundeskanzler. Durch Stärkung der Heimwehr suchte er (namentlich nach dem Juli 1927) die Sozialdemokraten zu bekämpfen, die ihn ihrerseits zum Feindbild stempelten; im "Bürgerblock" schloss er zwar Christlichsoziale, Großdeutsche und Landbund zu einer antimarxistischen Einheitsfront zusammen, geriet damit aber immer stärker ins Kreuzfeuer der Innenpolitik. 1930 übernahm Seipel für kurze Zeit das Ministerium für Äußeres, dann ging seine Rolle im politischen Leben langsam zu Ende. Nach der Krise der Creditanstalt im Mai 1931 wurde Seipel zwar nochmals mit der Regierungsbildung beauftragt, doch blieben seine Versuche, dem Staatsnotstand durch die Zusammenfassung aller politischen Kräfte entgegenwirken, im Juni erfolglos.

Im Frühjahr 1932 kehrte er krank aus Palästina nach Österreich zurück und starb wenige Monate später in Pernitz. Anfangs großösterreichisch eingestellt, vertrat er später außenpolitisch die Devise "Keine Politik ohne Deutschland"; innenpolitisch wandte er sich im Lauf der Zeit einer berufsständischen Ordnung zu. Als Politiker und Wissenschaftler war Seipel eine markant profilierte Persönlichkeit und zweifellos der stärkste Exponent seiner Partei seit Karl Lueger; mit dem politischen Gegner (insbesondere Otto Bauer) vermochte er eine Gesprächsebene aufrechtzuerhalten. Prälat (1921). Er veröffentlichte "Nation und Staat" (1916), "Soziale Frage und soziale Arbeit" (1917) und "Der Kampf um die österreichische Verfassung" (1930).

Im Auftrag der Stadt Wien hat eine HistorikerInnen-Kommission die historische Bedeutung jener Persönlichkeiten, nach denen Wiener Straßen benannt sind, von 2011 bis 2013 untersucht sowie eine zeithistorische Kontextualisierung vorgenommen. Laut Abschlussbericht dieser Forschungsgruppe vertrat Ignaz Seipel eine antidemokratische Grundhaltung (vgl. "Tübinger Rede" 1930, wo er sich gegen das "Übel der Parteienherrschaft" aussprach) und unterstützte den Aufbau militanter und rechtsradikaler Gruppierungen in Wien. Seipel, so die Kommission weiter, setzte diesen Kurs in der Zeit seiner neuerlichen Kanzlerschaft (ab 1926) fort und zielte – bewusst auch mittels Gewaltanwendung in Form eines Bürgerkrieges zwischen rechten Wehrverbänden und republikanischem Schutzbund – auf die Etablierung eines Präsidialregimes. Auch nach seiner Demission 1929 blieb Seipel innerhalb des bürgerlichen Lagers der einflussreichste Befürworter der Heimwehr.

Gedenktafel 3, Keinergasse 37 (Wohnung; Bereich des Herz-Jesu-Spitals beziehungsweise -Klosters). Dr.-Ignaz-Seipel-Hof, Dr.-Ignaz-Seipel-Platz, Seipel-Dollfuß-Gedächtniskirche (in der Krypta stand 1934-1938 der Sarkophag Seipels), Seipeldenkmal

Quellen

Literatur

  • Biographisches Wörterbuch zur deutschen Geschichte. Begründet von Hellmuth Rössler und Günther Franz, bearbeitet von Karl Bosl [u.a.]. Band 3: S-Z. Register. München: A. Francke 1975
  • Das Jahrbuch der Wiener Gesellschaft. Biographische Beiträge zur Wiener Zeitgeschichte. Hg. von Franz Planer. Wien: F. Planer 1929
  • Neue österreichische Biographie ab 1815. Große Österreicher. Wien [u.a.]: Amalthea-Verlag 1957-1987. Band 9, 1956, S. 113 ff.
  • Österreichisches biographisches Lexikon 1815–1950. Hg. von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften / Wien/Graz: Böhlau 1954-lfd.
  • Isabella Ackerl / Friedrich Weissensteiner: Österreichisches Personenlexikon [der Ersten und Zweiten Republik]. Wien: Ueberreuter 1992
  • Heinrich Drimmel: Ignaz Seipel. In: Walter Pollak [Hg.]: Tausend Jahre Österreich. Eine biographische Chronik. Band 3: Der Parlamentarismus und die modernen Republiken. Wien [u.a.]: Jugend & Volk 1974, S. 299-303
  • Friedrich Rennhofer: Ignaz Seipel, Mensch und Staatsmann. Eine biographische Dokumentation. Wien [u.a.]: Böhlau 1978
  • Klemens von Klemperer: Ignaz Seipel. Staatsmann einer Krisenzeit. Graz [u.a.]: Styria 1976
  • Viktor Reimann: Zu groß für Österreich. Seipel und Otto Bauer im Kampf um die 1. Republik. Wien [u.a.]: Molden 1968
  • Ernst Karl Winter: Gesammelte Werke. Band 7: Ignaz Seipel als dialektisches Problem. Ein Beitrag zur Scholastikforschung. Wien [u.a.]: Europa Verl. 1966
  • Richard Schmitz: Ignaz Seipel. Gedenkblätter. Wien: Wiener Kirchenblatt-Verl. 1946 (Schriftenreihe der Katholischen Aktion, 2)
  • Franz Riedl: Kanzler Seipel. Ein Vorkämpfer volksdeutschen Denkens. Saarbrücken: Saarbrücker Druckerei u. Verl. 1935
  • Rudolf Blüml: Ignaz Seipel. Mensch, Christ, Priester in seinem Tagebuch. Wien: Hilfswerk für Schulsiedlungen 1933
  • Gottlieb Ladner: Seipel als Überwinder der Staatskrise vom Sommer 1922. Zur Geschichte der Entstehung der Genfer Protokolle vom 4. Oktober 1922. Wien [u.a.]: Stiasny 1964 (Publikationen des Österreichischen Instituts für Zeitgeschichte, 1)
  • Erika Weinzierl: Seipel und die Konkordatsfrage. In: Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs. Innsbruck [u.a]: Studienverlag / Wien: Österreichische Staatsdruckerei / Bozen: Studienverlag Band 12 (1959)
  • Johann Auer: Seipels Verhältnis zu Demokratie und autoritärer Staatsführung. Diss. Univ. Wien. Wien 1963
  • Werner Dallamaszl: Seipls Rücktritt und die Regierung Streeruwitz. Diss. Univ. Wien. Wien 1964
  • Briefmarkenabhandlung der Postdirektion anläßlich des Erscheinens von österreichischen Briefmarken, 15.07.1982
  • Robert S. Budig / Gertrude Enderle-Burcel / Peter Enderle: Ehrengräber am Wiener Zentralfriedhof. Wien: Compress Verlag 1995, S. 43
  • Peter Autengruber: Lexikon der Wiener Straßennamen. Bedeutung, Herkunft, frühere Bezeichnungen. Wien: Pichler Verlag 2014, 9. Auflage, S. 71
  • Peter Autengruber / Birgit Nemec / Oliver Rathkolb / Florian Wenninger: Umstrittene Wiener Straßennamen. Ein kritisches Lesebuch. Wien: Pichler Verlag 2014, S. 138–141
  • Peter Autengruber / Birgit Nemec / Oliver Rathkolb / Florian Wenninger: Forschungsprojektendbericht "Straßennamen Wiens seit 1860 als 'Politische Erinnerungsorte'". Wien 2013

Weblinks