Generalsanierung der Natursteinfassaden des Wiener Rathauses
Die Generalsanierung der Natursteinfassaden des Wiener Rathauses begann im September 2012 und dauerte insgesamt 12 Jahre. Das Hauptziel der Renovierung war, das ursprüngliche Erscheinungsbild der Fassaden mit dem optischen Farbenspiel der Natursteine sowie die verlorenen Formen und bildhauerischen Details wiederherzustellen.
Schadensanalyse
Im Rahmen der umfassenden Voruntersuchungen und Analysen für die Restaurierung der Fassaden wurden folgende unterschiedliche Schadensbilder festgestellt:
Krusten- und Schalenbildung
Die an den Außenfassaden vorherrschenden Schadenszustände waren auf die Einwirkung von Wasser zurückzuführen. Die Folgen waren Krusten- und Schalenbildung, Salzkristallisation und Frostsprengung.
Das Hauptproblem der Krusten und Schalen ist ihre abdichtende Wirkung. Das Gestein kann nicht mehr ungehindert austrocknen. In der Stauzone hinter der Kruste kam es zu einer vermehrten Gesteinszersetzung durch chemische Lösungsprozesse. Außerdem waren diese Bereiche dicht von Algen, Bakterien und Pilzen besiedelt. Diese zerstörten die Gesteinssubstanz. Durch die schwarzen Krusten heizte sich der Stein auch deutlich stärker auf. Durch die Hitze dehnte sich die Oberfläche. Die dabei entstandenen Spannungen lockerten den Stein unter der Kruste noch weiter auf.
Verschmutzung und Bewuchs
Die Natursteinfassaden wiesen flächige, meist homogene graue bis schwarze Verschmutzungen mit Neigung zur Krustenbildung auf. Teilweise waren die Steinoberflächen mit Belägen wie zum Beispiel Flugstaub, Flugerde oder Vogelkot verschmutzt. Zudem besiedelten partiell Moose, Algen, Flechten sowie Mikroorganismen die Steinoberflächen.
Mineralische Ablagerungen
Gipssinterbildungen lagen entweder als harter Glassinter, als dicker Zäpfchensinter oder aber auch als dünner heller Belag vor. Sinter nennt man Gestein, das durch mineralische Ablagerungen entsteht. In manchen Bereichen reichte die Vergipsung einige Millimeter tief in den Stein hinein. Insgesamt war der Vergipsungsgrad, mit Ausnahme der Front Rathausplatz, aber nicht sehr ausgeprägt.
Rückwitterung
Partielle tiefgreifende Bindemittelverluste der Kalksandsteine schwächten die Werksteine vor allem in exponierten Bereichen und führten zu massiven Folgeschäden. Stellenweise zeigten die verwitterten Gesteinsoberflächen Absandungen, Abschalungen, Abplatzungen, Aufblähungen sowie Riss- und Haarrissbildungen. Vor allem letztere führten zu größeren Fehlstellen, die sehr oft mit Formverlusten einhergehen (zum Beispiel bei Kapitellen, Säulenbasen, Skulpturen, Reliefs oder Gesimsen).
Musterarbeit für die Sanierung
Bereits bei der Erstellung der Musterarbeit für die Fassadensanierung im Jahr 2010 arbeitete die zuständige Abteilung Bau- und Gebäudemanagement (MA 34) intensiv mit dem Bundesdenkmalamt (BDA) zusammen. Das BDA hat bei der Restaurierung anderer Monumentalbauten in Wien wie der Votivkirche, dem Kunst- und Naturhistorischen Museum oder der Staatsoper viele Erfahrungen gesammelt. Diese konnten bereits in der Vorprojektphase berücksichtigt werden.
Entscheidung für Musterarbeit
Mit dem BDA, seinen Werkstätten und naturwissenschaftlichen Labors wurde einvernehmlich entschieden, als Erstes eine repräsentative Musterfläche zu restaurieren. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse sollten anschließend in das auf den im Vorfeld getätigten Untersuchungen aufbauende Restaurierungskonzept eingearbeitet werden. Dadurch würde ein praxistauglicher Masterplan für die Restaurierung der Natursteinfassaden entstehen. Durch die Musterarbeit konnten die Kenntnisse der vorhandenen Schäden und Schadensbilder vertieft und die Methoden der Reinigung, Restaurierung und Konservierung hinsichtlich Praxistauglichkeit und Wirkungsgrad getestet und verfeinert werden. Diese Erkenntnisse ermöglichten es erst, ein nachhaltiges Restaurierungskonzept (Masterplan) und in weiterer Folge einen möglichst realistischen Budgetkostenrahmen zu erstellen.
Auswahl des Fassadenabschnitts
Als Musterfläche wurde der Eckrisalit (Risalit: ein auf gesamter Fassadenhöhe vorspringender Gebäudeteil) an der Ecke Lichtenfelsgasse/Friedrich-Schmidt-Platz ausgewählt. Der Fassadenabschnitt wurde bewusst so ausgewählt: Die Südseite des Eckrisalits ist großer Hitze ausgesetzt, die Westseite starker Witterung.
Vorbereitende Untersuchungen
In der Projektvorbereitung wurden im Bereich der Musterfläche auf Basis grundsätzlicher Untersuchungen die Gesteinsarten bestimmt und die Schadensbilder sowie der Schadensgrad erhoben. Die Untersuchungen wurden durch labortechnische Analysen und Auswertungen ergänzt. Darauf aufbauend wurden danach in Kooperation mit dem Bundesdenkmalamt und den beigezogenen Fachleuten die entsprechenden Sanierungsmaßnahmen projektiert und planlich dargestellt.
Zusätzlich wurde eine geomikrobiologische Untersuchung an der Universität für Bodenkultur in Auftrag gegeben. Das Ergebnis zeigte, dass nur einzelne Bereiche der Fassade von sichtbaren Organismen wie Moosen, Algen, Flechten oder Mikroorganismen bewachsen sind. Insbesondere sind horizontale Bauelemente wie Gesimse, Balkone oder Balustraden betroffen. Die Empfehlung lautete, die Fassade zusätzlich mit Wirkstoffen gegen diese (Mikro)-Organismen zu behandeln.
Restaurierziele
- Schmutz und Krusten sollten mit den substanzschonendsten Reinigungsmethoden entfernt werden.
- Geschwächte Gesteine und Fugensysteme sollten optimal konserviert werden.
- Formverluste sollten im Einklang mit dem Gesamtbauwerk durch Steinvierungen (Auswechslungen), Steinergänzungen, Abformungen und Kunststeinauftragungen behoben werden.
- Überdachungen aus Blei und Titanzinkblech sowie Schutzüberzüge (Kalkschlemmen, Hydrophobierungen [hydrophob bedeutet wasserabweisend], Imprägnierungen) sollten die Fassade lang anhaltend und vorbeugend vor Umwelteinflüssen schützen.
Durch die Maßnahmen sollte der Charakter der Natursteinfassade von circa 1883 erhalten beziehungsweise der ursprünglichen Gesamterscheinung wieder angeglichen werden.
Wichtige Erkenntnisse für Hauptsanierung
Die Restaurierungsarbeiten an der Musterfläche dauerten von Mai bis Dezember 2010. Bei der Arbeit wurden wichtige Erfahrungen für die Gesamtsanierung gesammelt. Bei der Musterfläche wurde zum Beispiel ein hoher Verwitterungsgrad im Bereich der Wimpergen (giebelartige Bekrönung über Portalen und Fenstern) festgestellt. Weiters stellte sich heraus, dass die Verschmutzung von oben nach unten zunimmt. Es war zu erwarten, dass an den übrigen Flächen des Rathauses dieselben Schadensbilder auftreten. Eine Ausnahme stellte die Hauptfassade des Wiener Rathauses dar. Die Schäden beziehungsweise der Schadensgrad an den Natursteinbauteilen unterschieden sich hier erheblich. Durch die Feingliedrigkeit der Zierteile, die reichhaltige Gliederung und Ausschmückung sowie die exponierte Lage (Türme freistehend circa 75 Meter beziehungsweise 100 Meter hoch) war der Schadensgrad erheblich höher und diffiziler.
Konzept für die Generalsanierung der Natursteinfassaden
11 Bauabschnitte 2012 bis 2024
Projektschritte | Fassadenteile | Dauer |
---|---|---|
Bauabschnitt 1 | Westfassade Friedrich-Schmidt-Platz, Teil der Südfassade (Lichtenfelsgasse) | September 2012 bis November 2013 |
Bauabschnitt 2 | Westfassade Friedrich-Schmidt-Platz, Risalit Eingang Lichtenfelsgasse, Hof 3 | September 2013 bis Dezember 2014 |
Bauabschnitt 3 | Nordfassade Felderstraße links und rechts | November 2014 bis November 2015 |
Bauabschnitt 4 | Risalit Eingang Felderstraße (Nordfassade), Hof 4, Teil der Südfassade (Lichtenfelsgasse) | November 2015 bis Oktober 2016 |
Bauabschnitt 5 | Arkadenhof Ost | Oktober 2017 bis September 2018 |
Bauabschnitt 6 | Hauptturm, Arkadenhof West | Arkadenhof: Oktober 2018 bis August 2019, Hauptturm: Jänner 2019 bis Oktober 2020 |
Bauabschnitt 7 | Nebentürme 1 und 2 | Oktober 2020 bis Oktober 2021 |
Bauabschnitt 8 | Nebentürme 3 und 4 | Oktober 2021 bis Oktober 2022 |
Bauabschnitt 9 | Linker Flügel der Fassade am Rathausplatz | November 2021 bis Oktober 2022 |
Bauabschnitt 10 | Rechter Flügel der Fassade am Rathausplatz | November 2022 bis Oktober 2023 |
Bauabschnitt 11 | Freitreppe | November 2023 bis Oktober 2024 |
Fertigstellung und Abrechnung | - | November 2024 bis Oktober 2025 |
Arbeitsschritte bei der Sanierung der Rathausfassade
Sichern, lösen und vorfestigen
In den ersten Arbeitsgängen wurden lose Teile gesichert. Schadhafte Stellen und Ergänzungen, wie zum Beispiel Vierungen (Steinauswechslungen) sowie die Fugen, wurden ausgelöst. Poröse (löchrige) Fassadenteile wurden mit Kieselsäureester vorgefestigt. Kieselsäureester verwandelt sich bei Luftfeuchtigkeit zu Kieselgel, das feinste Risse und Spalten im Stein auskleidet.
Reinigen
Anschließend wurde mit der Reinigung der Steinelemente begonnen. Zur Anwendung kam ein Niederdruck-Rotationsstrahlverfahren. Bei diesem Verfahren wird ein kreisender Strahl aus Glaspudermehl mit niedrigem Druck auf den Stein geblasen. Stellen mit sehr weichem und porösem Stein wurden mit einem Mikrosand-Strahlgerät mit einem deutlich geringeren Druck von 0,2 Bar gereinigt. Derartige Geräte werden im Allgemeinen nur bei Laboruntersuchungen verwendet. Sie bedeuten einen erhöhten Arbeits- und Zeitaufwand. Beide Strahlverfahren sind besonders materialschonend.
Erneuerung kleiner Schäden
Nach der Reinigung wurden beschädigte Fassadenteile mit einer Fläche ab circa 10 mal 10 Zentimetern geviert, das heißt ausgewechselt beziehungsweise erneuert. Davon waren vor allem exponierte Zierteile im Bereich der Wimpergen (giebelartige Bekrönungen über Portalen und Fenstern) oberhalb der Balustrade betroffen. Wenn erforderlich, wurden diese Teile zusätzlich mit Zapfen und Klammern aus rostfreiem Stahl gesichert. Kittungen und ergänzende Auftragungen in Kunststein wurden nur wenn unbedingt notwendig ausgeführt. Die einzelnen spezifischen Maßnahmen wurden bei regelmäßigen Begehungen vor Ort festgelegt.
Fugen sanieren
Danach folgte die Steinfugensanierung, bei der die Fugen in Körnung, Farbe, Dichte (Porosität), Härte und Oberflächenstruktur dem Originalstein angepasst werden. Um die Steinfassade nachhaltig vor Schädigung durch Niederschläge zu schützen, wurde der alte Mörtel aus allen offenen, lockeren und unsauberen Steinfugen bis in ausreichende Tiefe entfernt und mit einem neuen Mörtel verschlossen. Verfugungen der waagrechten Fassadenteile (Gesimse, Balkon et cetera) und Anschlussfugen an andere Materialien wie Fensterrahmen oder Blechteile wurden mit einer dauerelastischen Dichtmasse verschlossen.
Kalkschlämme auftragen
In Bereichen mit stark verwitterter Oberfläche wurden zur optischen Beruhigung beziehungsweise zur Glättung Kalkschlämme aufgetragen. Der Grobkorn- und Feinkornanteil der Schlämme muss sich in seiner Oberflächengestalt dem umgebenden Gestein anpassen. So können ausreichende porenfüllende und oberflächenreduzierende Eigenschaften gewährleistet werden.
Gesimse und Balustraden verblechen
Die Balustrade und das oberste Gesims des Rathauses sind der Witterung besonders ausgesetzt. Ein entsprechend hoher Zerstörungsgrad wurde festgestellt. Nach der Renovierung sind diese exponierten Stellen durch Bleche geschützt. Als Material wurde nicht-glänzender Edelstahl verwendet. Das Blech ist vom Gehsteig aus nicht sichtbar.
Restaurierung der Figuren
Die Figuren spielten bei der Sanierung eine besondere Rolle. Die vielen Fehlstellen und Verluste erforderten ein hohes Maß an bildhauerischer Ergänzung. Zudem wurden die Figuren aus dem hochsensiblen Material Savonnières-Kalkstein geschaffen.