Gauamt für Sippenforschung der NSDAP

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Lichtbildbeglaubigung für das Gauamt für Sippenforschung von Maria Haberl
Daten zur Organisation
Art der Organisation NS-Institution Gauleitung und Gauamt
Datum von 1938
Datum bis 1945
Benannt nach
Prominente Personen
PageID 63612
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Bildunterschrift Lichtbildbeglaubigung für das Gauamt für Sippenforschung von Maria Haberl

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Das Gauamt für Sippenforschung war Teil der Verwaltung der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei im Gau Wien. Der Sitz war 1., Josef-Bürckel-Ring (Dr.-Karl-Renner-Ring) 3, das Parlamentsgebäude. Das Amt hieß auch Gaupersonalamt der NSDAP: Hauptstelle Ahnennachweis, Gauleitung Wien (1941); Gausippenamt; Gauamt für Sippenforschung (1942); Amt für Sippenforschung. Das Amt bestand von 1938 bis 1945 und war im Rahmen der NS-Rassengesetze für die Ausstellung, Genehmigung und Überprüfung von Abstammungsnachweisen zuständig.

Inhalt:
  1. Rechtliche Grundlagen - Die Nürnberger Rassengesetze
  2. Befreiung von den Nürnberger Rassengesetzen
  3. Die Nürnberger Rassengesetze in Österreich
  4. Verwaltungsgeschichte des Gauamtes für Sippenforschung der NSDAP
  5. Der Archivbestand Gauamt für Sippenforschung im Wiener Stadt- und Landesarchiv
  6. Sippenforschung im Wiener Stadt- und Landesarchiv 1938 bis 1943
  7. Die Tätigkeit des Gauamtes für Sippenforschung der NSDAP
  8. Leitendes Personal des Gauamtes für Sippenforschung
  9. Die Tätigkeit der Sippenforscher
  10. Auswirkungen der Tätigkeit des Gauamtes für Sippenforschung auf die betroffenen Menschen
  11. Literatur
  12. Quellen
  13. Weblinks

Rechtliche Grundlagen - Die Nürnberger Rassengesetze

Eidesstaatliche Erklärung von Maria Haberl, geboren am 10. März 1894 über ihre "arische Abkunft"

Für die nationalsozialistische Rassenideologie waren zwei Gesetze, die "Nürnberger Rassengesetze" maßgebend. Sie basierten auf einer antisemitischen und deutschvölkischen Weltanschauung und bestanden aus dem Blutschutzgesetz (Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre, RGBl. I, S. 1146) und dem Reichsbürgergesetz (RGBl. I, S. 1146). Beide Gesetze wurden gemeinsam mit dem Reichsflaggengesetz (RGBl. I, S. 1145) am 15. September 1935 vom Reichstag in Nürnberg angenommen und im Reichsgesetzblatt, Teil I, Nr. 100 am 16. September 1935 erlassen und am 20. September 1945 vom Alliierten Kontrollrat aufgehoben.

Das Blutschutzgesetz verbot die Ehe und den geschlechtlichen Verkehr zwischen Juden und Nichtjuden.[1]

Die rechtlichen Grundlagen für die Einordnung von Personen als "deutschblütig" ("arisch"), "deutschen und artverwandten Blutes", Jude, "Geltungsjude", "Mischling ersten Grades" und "Mischling zweiten Grades" waren in der 1. Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 14. November 1935 (RGBl. I, S. 1333 f.) begründet. Die Zugehörigkeit zu einer dieser Gruppen richtete sich nach der nach NS-Definition rassischen und konfessionellen Einordnung der Großeltern. Großeltern waren dann als "volljüdisch" eingestuft, wenn sie der jüdischen Religionsgemeinschaft angehört hatten, auch wenn deren Eltern beispielsweise gar nicht jüdisch waren. Als "objektives Merkmal" für diese Zugehörigkeit dienten Mitgliedschaften in jüdischen Gemeinden, Zahlungsbestätigungen von Kultussteuern und die Neuaufnahme in die jüdische Religionsgemeinschaft. Die Historikerin Michaela Raggam-Blesch schrieb in ihrer Studie zu "Mischlingen": "Die Tatsache, dass letztendlich auf konfessionelle Kriterien zurückgegriffen werden musste, um rassenideologische Prämissen festmachen zu können, unterstreicht die immanenten Widersprüchlichkeiten nationalsozialistischer Ideologie."[2]

Die Einordnung als "Jude"

Außer der Tatsache, dass man bei drei jüdischen Großeltern automatisch als Jude galt, gab es hier vier Kriterien, um als "Geltungsjuden" eingestuft zu werden. Als Jude galten demnach Personen, die "zwei der Rasse nach volljüdischen Großeltern" hatten und wenn sie:

  1. mit Erlass des Reichsbürgergesetzes am 16. September 1935 der jüdischen Religionsgemeinschaft angehörten.
  2. mit Erlass des Reichsbürgergesetzes am 16. September 1935 mit einem Juden / einer Jüdin verheiratet waren oder nach dem 16. September heirateten.
  3. aus einer Ehe mit einem Juden / einer Jüdin stammten, die mit Erlass des Blutschutzgesetz nach dem 17. September 1935 geschlossen wurde.
  4. aufgrund einer außerehelichen Verbindung mit einem Juden / einer Jüdin nach dem 31. Juli 1936 geboren wurden.
    Karteikarte des Gauamtes für Sippenforschung von Wihelmine Kohn

Die Einordnung als "Mischling ersten Grades"

Es waren dies Personen mit zwei jüdischen Großeltern, die laut einem Runderlass des Reichsministers des Inneren vom 26. November 1935 und den Nürnberger Rassengesetzen nicht als Juden galten.

Die Einordnung als "Mischling zweiten Grades"

Es waren dies laut einem Runderlass des Reichsministers des Inneren vom 26. November 1935 Personen mit einem jüdischen Großelternteil.

Die Herkunft der Urgroßeltern und ob die Großeltern des sogenannten "Prüflings" selbst "Mischlinge" waren, wurden bei dieser Gesetzgebung nicht berücksichtigt, daher ist diese Judikatur auch nicht nur nach rassischen Gesichtspunkten angewendet worden, sondern war in pseudowissenschaftlichen Annahmen begründet, die beispielsweise eine Person durch ihre bloße Mitgliedschaft bei einem Synagogenverein als Juden klassifizierten.

Befreiung von den Nürnberger Rassengesetzen

Eine solche Befreiung von der Einordnung "Jude" oder "Mischling" in Richtung "deutschblütig" konnte nur von Adolf Hitler selbst und wenn sich diese Person durch besondere Verdienste als "würdig" erwies, wie etwa im Ersten Weltkrieg, ausgesprochen werden und war durch den Runderlass des Reichsministers des Inneren vom 4. Dezember 1935 geregelt.[3] Demnach mussten erst zahlreiche Hürden bei Regierungspräsidenten und Reichsinnenministerium überwunden werden, bis eine solche Befreiung erfolgte. Von 9636 Anträgen im Zeitraum von 1935 bis 1941 gewährte Hitler nur 260 als positiv.[4] Die Verständigungen von der Befreiung und Einordnung einer Person als "Mischling" ersten oder zweiten Grades wurden für Personen, die in Groß-Wien wohnhaft waren, dem Gaupersonalamt, dem Gausippenamt und der Gauleitung Wien vom Reichsministerium des Inneren zugestellt und lauteten: "Der Führer hat am (…) entschieden, dass (es folgt der Name), geboren am (…), wohnhaft in … als Mischling (…) zu behandeln ist" und es folgt eine Aktenzahl wie zum Beispiel Erlass des RMdI Ie Ne 18111/41.[5]

Die Nürnberger Rassengesetze in Österreich

Mit der rückwirkenden "Verordnung über die Einführung der Nürnberger Rassengesetze im Lande Österreich" vom 20. Mai 1938 (RGBl.I, S. 594 f.)[6] und der "Kundmachung des Reichsstatthalters in Österreich, wodurch die Verordnung über die Einführung der Nürnberger Rassengesetze im Lande Österreich vom 20. Mai 1938 bekannt gemacht wurde" (GBlÖ Nr. 150/1938),[7] ist der Beginn der gesetzmäßigen, rassischen Einordnung und Aburteilung der österreichischen Bevölkerung als "Juden" und "Mischlinge" anzusehen. Die "Einstweilige Anordnung des Reichsstatthalters über die Durchführung des § 6 der Verordnung über die Nürnberger Rassengesetze im Lande Österreich" (GBl. Nr. 298/1938[8] regelte einen Aufschub der strafrechtlichen Konsequenzen für die Beschäftigung von jüdischen Hausangestellten. Die Nürnberger Rassengesetze wurden von der Österreichischen Provisorischen Staatsregierung in der "1. Kundmachung über die Aufhebung von Rechtsvorschriften des Deutschen Reiches" am 13. Mai 1945 für nichtig erklärt.[9]

Verwaltungsgeschichte des Gauamtes für Sippenforschung der NSDAP

Die "Zweigstelle der Reichsstelle für Sippenforschung" wurde für die "Ostmark" mit der Bezeichnung "Amt für Sippenforschung als Dienststelle des Reichskommissars für die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich" bei der Gauleitung Wien bald nach dem "Anschluss" 1938 gegründet.

Vorbilder waren die Reichsstelle für Sippenforschung bei dem Reichs- und Preußischen Ministerium des Inneren (Runderlass des Reichsministeriums des Inneren vom 26. Juli 1933) und das Amt für Sippenforschung (Verordnungsblatt Nr. 49/34 der Reichsleitung am 15. Oktober 1934). Der Leiter des Amtes für Sippenforschung führte die Reichsstelle für Sippenforschung in Personalunion. Später hieß das Amt Reichssippenamt.

Eine Anordnung des Gauleiters Josef Bürckel vom 14. Juli 1938 stellte klar, dass für die Aktivitäten des "Österreichischen Amtes für Sippenforschung" jede gesetzliche Grundlage fehle und schrieb vor, das bisherige Amt für Sippenforschung in eine "Gauberatungsstelle" umzuwandeln. Es wurde jedoch entgegen dieser Anordnung in der Gauleitung Wien weiterhin die Bezeichnung "Amt für Sippenforschung" geführt und von diesem wurden die sogenannten kleinen Abstammungsnachweise ausgestellt und genehmigt. Im Jahr 1939 findet sich in den Akten die Bezeichnung "Reichsstelle für Sippenforschung, Zweigstelle Wien". Sie wurde am 31. Mai 1940 aufgelöst.[10] In der Folge wurde eine "Hauptstelle Ahnennachweis" als Unterabteilung des Gaupersonalamtes errichtet. Diese Stelle hatte als Amt der Gauleitung Wien ab 1940 ihren Sitz im Gauhaus. Der im Handbuch des Reichsgaues Wien 1941 als "Hauptstelle Ahnennachweis" bezeichneten Behörde oblagen alle Angelegenheiten des "Großen Abstammungsnachweises" und der Abstammungsüberprüfungen von politischen Funktionären. Das Gauamt für Sippenforschung war verantwortlich für die Ausgabe der "Kleinen Abstammungsnachweise". Diese kleinen Abstammungsnachweise mussten von den Anwärtern bis zu den vier Großeltern vollständig ausgefüllt werden. Der sogenannte "Große Abstammungsnachweis" diente als Zeugnis der "rein arischen Abstammung" bis in das Jahr 1800 zurückreichend, bei hohen SS-Anwärtern bis 1750 und musste nur von NSDAP-Funktionären, Beamten, Ärzten, Juristen und Wissenschaftlern erbracht werden.[11]

In den Akten des Wiener Stadt- und Landesarchives finden sich die Bezeichnungen "Gausippenamt" und "Gauamt für Sippenforschung", auf den Vordrucken des kleinen Abstammungsnachweises die Bezeichnung "Amt für Sippenforschung der NSDAP, Gau - Wien". Im Handbuch des Reichsgaues Wien 1944 wird die "Hauptstelle für Ahnennachweise" als Unterabteilung des Gaupersonalamtes unter der Leitung von Wilhelm Schön auch als "Gausippenamt" bezeichnet.[12]

Der Archivbestand Gauamt für Sippenforschung im Wiener Stadt- und Landesarchiv

Im Wiener Stadt- und Landesarchiv wird ein umfangreicher Archivbestand 'Gauamt für Sippenforschung' verwahrt, bestehend aus Akten und Karteien.[13] Die Akten beinhalten die Tätigkeit des Amtes und den umfangreichen Schriftverkehr mit Ämtern und Parteien, die Karteien betreffen einzelne Personen und enthalten zu einem großen Teil Fotos. In der Archivserie A5 sind die kleinen Abstammungsnachweise nach Zahlen archiviert, die Archivserie A6 enthält Abstammungserhebungen zu "Mischlingen".

Sippenforschung im Wiener Stadt- und Landesarchiv 1938 bis 1943

Im Zuge der Ausstellung der Großen und Kleinen „Ariernachweise“ war das „Städtische Archiv" (heute: Wiener Stadt- und Landesarchiv) mit seinen personengeschichtlichen Beständen äußerst gefragt. Ab März 1938 erhöhten sich die Zahlen der schriftlichen und mündlichen Anfragen aus dem Ausland und aus dem Inhalt schlagartig. Wurden im Jänner 1938 noch 83 Besuche von Benutzern und Benutzerinnen verzeichnet, waren es im Dezember 1938 schon 673. Die Anzahl schriftlicher Anfragen war von 6.273 im Jahr 1938 bis 30294 im Jahr 1942 angestiegen.[14] Die Arbeitsbelastung schlug sich auch in der Aufnahme von zusätzlichem Personal nieder. 1939 arbeiteten 25 Mitarbeiter im Archiv und standen den Anfragenden zur Verfügung.[15] Angestellte des Gauamtes für Sippenforschung arbeiteten wegen des großen Zeitdrucks oft selbst ihre Fälle in den Depots des Archivs auf.[16] Schriftliche Bestätigungen an Juden und Jüdinnen durften ab März 1938 nicht vom Archiv an diese ausgestellt werden, Juden war es verboten, das Archiv, außer für „familiengeschichtliche Zwecke und zur Erforschung des jüdischen Volkstums“, zu nutzen, sie betreffende Anfragen mussten von Ämtern und Behörden direkt an das Archiv gerichtet werden.[17] Mit dem Jahr 1943 sanken die Zahlen der anfragenden Benutzer und der schriftlichen Anfragen wieder, Personal verließ das Archiv, da es zum Kriegsdienst eingezogen wurde, die Archivbestände wurden wegen der Gefahr der Zerstörung durch Bomben ausgelagert, wodurch ab November 1943 kaum mehr Auskünfte erteilt werden konnten und diese auf ein Mindestmaß und nur für Fragen der jüdischen Herkunft reduziert werden mussten.[18]

Die Tätigkeitsbereiche des Gauamtes für Sippenforschung

Laut einer Eigendarstellung des Gauamtes für Sippenforschung aus dem Jahr 1942 bestanden diese Tätigkeiten in den Jahren 1938-1942 aus folgenden Bereichen:[19]

Sippenforschung in Kooperation mit der Israelitischen Kultusgemeinde

Diese bestand in der Anlage von Karteien aus den jüdischen Matrikenbüchern und Unterlagen aus jüdischen Archiven. Dafür wurde unter Hinzuziehung der Gestapo Archivmaterial, vor allem die Familienlisten des 19. und frühen 20. Jahrhunderts und Matriken aus dem Archiv der Israelitischen Kultusgemeinde entnommen und unter großem Personalaufwand umfangreiche Karteien erstellt.[20] Die meiste Arbeit aber hatten zwei Beamte der Israelitischen Kultusgemeinde selbst zu tun. Der Archivar des Archivs der IKG Leopold Moses und der Matrikenführer der IKG Julius Rosenfeld waren gezwungen, die Befehle und Vorgaben des Gauamtes für Sippenforschung auszuführen, indem sie die Matriken auf hunderte Karteikarten übertrugen und Auskünfte erteilten. Sie waren zwar vor judenfeindlichen Maßnahmen geschützt, durften aber auch nicht ausreisen.[21] Im Jahr 1940 arbeiteten "acht von der IKG bezahlte Schreibkräfte unter Rosenfelds Führung" an der "Verkartung der Matriken".[22]

Kleiner Abstammungsnachweis und Unbedenklichkeitsbescheinigung

Im Zusammenhang damit, dass jede Person, auch Kinder, einen Nachweis über ihre Abstammung bis zu den vier Großeltern erbringen mussten, den sogenannten kleinen Abstammungsnachweis, hatte das Gauamt für Sippenforschung als Haupttätigkeit die Überprüfung und Archivierung aller damit zusammenhängender Geschäftsvorgänge. Die Beschaffung aller Dokumente, die für den kleinen Abstammungsnachweis notwendig waren, erforderten umfangreiche Recherchen: Vorzulegen waren folgende Unterlagen:

  • Passierscheine, um das Amt überhaupt betreten zu dürfen
  • "Dringlichkeitsbescheide" von Seiten der Behörden, die einen Nachweis verlangten
  • Zwei ausgefüllte Formblätter ohne Korrekturen oder Radierungen
  • Urkunden des "Prüflings" und von dessen Eltern und Großeltern: Geburtsurkunden, Taufscheine, Trauscheine, Scheidungsurkunden, Beglaubigungen von nichtdeutschsprachigen Urkunden, Vormundschaftsakten bei unehelichen Kindern

Das Gauamt für Sippenforschung überprüfte all diese eingereichten Unterlagen. Es fand täglich außer Samstag und Sonntag reger Parteien- und Schriftverkehr statt.[23]

Es folgten die Einordnung des "Prüflings" in die Kategorien "deutschblütig", "Mischling" ersten und zweiten Grades oder Jude und schließlich die Bescheide in Form von Abstammungsnachweisen und Unbedenklichkeitsbescheinigungen.

Eine der umfangreichsten Tätigkeiten des Amtes waren die Prüfungen solcher Antragsteller, die nicht alle notwendigen Urkunden der vier Großeltern und zuweilen auch der Eltern selbst, zu beschaffen imstande waren. Es gab zahlreiche Personen, denen es nicht möglich war, die notwendigen Dokumente zu besorgen. Das konnte vielerlei Gründe haben, wie beispielsweise fehlende oder unauffindbare Unterlagen, langsame Matrikenführer, bürokratische Hürden oder die Tatsache einer unehelichen Geburt oder eines Status als Pflege- oder Adoptivkindes. Als letztes Mittel, um zu einer Entscheidung zu kommen, war eine von der Gemeindeverwaltung des Reichsgaues Wien, Hauptabteilung V - Volksgesundheit und Volkswohlfahrt, Abteilung V/2 Erb- und Rassenpflege erstellte "rassenkundliche Untersuchung". Diese basierte auf abstrusen und pseudowissenschaftlichen Theorien und wurde in vielen Fällen nur anhand von Fotos der Eltern des "Prüflings", auf denen man allfällige Ähnlichkeiten sah, getroffen.[24]

Unbedenklichkeitsbescheinigungen oder auch nur "vorläufige Unbedenklichkeitsbescheinigungen" wurden statt der kleinen Abstammungsnachweise per Bescheid erstellt, wenn nachgewiesen werden konnte, dass Urkunden nicht mehr beschaffbar waren. Sie dienten zur Vorlage bei Ämtern, Behörden, Parteistellen, der Wehrmacht, Gerichten und Bildungseinrichtungen. Die Bescheide haben die Signatur AfS (= Amt für Sippenforschung) III, Zahl, Jahr. Die Bescheinigungen haben oft Beilagen in Form von Fotos ("Lichtbildbeglaubigungen"), Korrespondenzen, Ahnentafeln oder Ergebnissen rassenkundlicher Untersuchungen.[25]

Ergebnis der rassenkundlichen Untersuchung von Leopold Huber

Verwaltung, Beantwortung schriftlicher Anfragen und Finanzgebahrung

Das Gauamt für Sippenforschung machte auch selbst umfangreiche familiengeschichtliche Forschungen in Archiven und Matrikenämtern der Kirchen und Religionsgemeinschaften und beantwortete Anfragen und verlangte für jede Überprüfung 1,50 Reichsmark.[26]

Die Hauptstelle für Ahnennachweise

Diese Abteilung war für die Ausstellung und Überprüfung von Ahnennachweisen der höheren NS-Funktionäre, sowie deren Ehepartnerinnen und Ehepartnern, der Gauleitung, der Kreisleitungen und Ortsgruppenleitungen zuständig. Die Ahnennachweise mussten vor der Vorlage beim "Hauptpersonalamt" von der Hauptstelle Ahnennachweis bearbeitet werden. Auch hier gab es Personen, die nicht alle erforderlichen Urkunden bis zum 1. Jänner 1800 zurück beschaffen konnten, diese Fälle wurden vom Reichssippenamt Berlin entschieden. Personen in höheren Parteifunktionen benötigten, wenn sie nicht alle Urkunden bereitstellen konnten oder unehelich geboren wurden, ebenfalls eine "Unbedenklichkeitserklärung seitens des Amtes für Sippenforschung beim Reichskommissar für die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich". Diese Abteilung kümmerte sich aber auch um Schulungen und die "Pflege des Sippenbewusstseins und der Stammeskunde innerhalb des Gaues".[27] Die Hauptstelle für Ahnennachweise bestand 1941 aus zwei Stellen, der Stelle Forschung und der Stelle Abstammungsprüfung.[28]

Das Personal des Gauamtes für Sippenforschung

Leitendes Personal

  • Erich Rothe wurde am 25. März 1900 in Tetschen an der Elbe geboren, war von Beruf Chemiker, ab 1930 Mitglied der NSDAP, Blutordensträger und von 1938 bis 1945 Gauinspektor und Gauamtsleiter und beschäftigte sich dabei hauptsächlich als "Gnadenreferent" mit der Beantwortung von Anfragen und "Bittgesuchen" wegen Diskriminierungen von "Mischlingen" und Mischehen. Er wurde am 12. Juni 1947 nach § 10 und § 11 Verbotsgesetz zu drei Jahren schweren Kerker verurteilt, aber bereits im März 1948 bedingt entlassen.[29]
  • Wolfgang Scholz war von 1939 bis 1940 in leitender Stellung im Gauamt für Sippenforschung tätig.
  • Emil Volkmer wurde am 24. April 1903 in Wien geboren, war von Beruf Beamter, ab 1932 Mitglied der NSDAP, 1938 Kreispersonalamtsleiter, Gaupersonalamtsleiter, Ortsgruppenleiter und Blockleiter, er wurde am 12. Juni 1947 nach § 10 und § 11 Verbotsgesetz angeklagt, war ab diesem Jahr in Haft und wurde am 29. März Juni 1949 nach § 10 und § 11 Verbotsgesetz und § 7 Kriegsverbrechergesetz "zu Recht" zu eineinhalb Jahren schweren Kerker verurteilt.[30] Er war ab Sommer 1941 leitend im Gauamt für Sippenforschung tätig.
  • Hans Konrad Puhrer wurde am 27. November 1913 in Wien geboren und verstarb am 14. September 1941 an der Ostfront. Er war seit 1931 Mitglied der SA, seit 1935 Mitglied der NSDAP und von 1938 bis 1941 Leiter des Gauamtes für Sippenforschung. In dieser Funktion nahm er laut Volksgerichtsakt auch an "Judenaktionen" teil. Er war Gauamtsleiter und hatte die Leitung der Hauptstelle Ahnennachweis inne.[31]
  • Wilhelm Schön war 1941 Leiter der Stelle Abstammungsprüfung.

Sachbearbeiter, freiwillige Mitarbeiter und Sippenforscher

Daneben gab es auch eine Reihe von Sachbearbeitern und freiwilligen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.[32]

  • Anton Ristel wurde am 1. August 1912 in Wien geboren, war in den Jahren 1943/1944 Sachbearbeiter des Gausippenamtes und wurde 1946 wegen § 10 und § 11 Verbotsgesetz vom Volksgericht angeklagt. Er soll Abstammungsnachweise gefälscht haben, indem er "Juden zu Mischlingen und Mischlinge zu Deutschblütigen" erklärt habe.[33]

Mit Beginn der Deportationen von Jüdinnen und Juden ab 1941 stiegen die Anträge von Personen, die akut gefährdet waren, enorm an. Am 12. September 1942 schrieb der kommissarische Leiter des Gauamtes für Sippenforschung N. Koller: "Infolge der sofort schlagartig einsetzenden unerhörten Inanspruchnahme des Amtes seitens aller Behörden konnte das Personal natürlich nicht auf die wenigen Fachleute, die das Amt schufen, beschränkt bleiben". Auch wegen der Einziehung von Beamten zum Kriegsdienst war das Amt personell stark unterbesetzt und man suchte dringend Leute, die notdürftig ausgebildet wurden. Auch beklagte Koller, dass das Personal, bestehend aus vier politischen Leitern und 33 Angestellten, von denen sieben im Kriegseinsatz waren, zu wenig sei und dass diese für die "Volkstumsarbeit" so wichtige allgemeine Sippenforschung auf der Strecke blieb. Anfang 1943 wurden 50 Prozent der Mitarbeiter abgebaut und in einem diesbezüglichen Schreiben Wilhelm Schoens an das Gauschatzamt vom 5. Februar 1943 war die Rede von einer "Stilllegung des Gauamtes für Sippenforschung in Wien". Zuletzt bestand das Amt nur mehr aus fünf Angestellten.[34]

Die Tätigkeit der Sippenforscher

Die verzweifelten Anwärter auf einen Abstammungsnachweis waren oft bereit, hohe Summen bei privaten Sippenforschern zu bezahlen, damit sie beim Reichssippenamt in Berlin intervenierten. Diese Praxis war für diese ein sehr einträgliches Geschäft. Derartige, in den Akten des Gausippenamtes vorkommende "behördlich bestellte Sippenforscher" waren Demeter Mudretzkyj, "Notar, Sippenforscher, Heraldiker", das Unternehmen "Sippenforschung Plattensteiner Wien" (geleitet von Roderich Plattensteiner) und Othmar Seidlinger, der mit dem deutschen Sippenforscher Karl Unger, Sippenforscher R.S.H. korrespondierte.[35]

Auswirkungen der Tätigkeit des Gauamtes für Sippenforschung auf die betroffenen Menschen

Juden und "Geltungsjuden" hatten die schlimmsten Auswirkungen zu befürchten. Wenn ihnen die Flucht oder ein illegales Dasein als "U-Boot" nicht gelungen war, so wurden sie hauptsächlich in den Jahren 1941/1942 aus Wien deportiert und in Ghettos, Konzentrations- und Vernichtungslagern ermordet. Manche von ihnen, die ihren Mischlingsstatus verloren hatten, wurden auch noch 1943 deportiert. Nur wenige von ihnen überlebten. "Mischlinge" hatten schwere Nachteile bei Ausbildung und Beruf, Misshandlungen durch Nationalsozialisten und Einberufung zur Zwangsarbeit zu erleiden. Manche "Mischlinge", die eine Nähe zur NS-Ideologie beweisen konnten, wenn Männer als "Mischlinge" sogar Angehörige der Wehrmacht wurden, waren sie oft von Diskriminierungen ausgenommen.[36]

Jüdische Ehepartner waren dann akut gefährdet, wenn der nichtjüdische Ehepartner die Scheidung verlangte. Bei Ehen unterschieden die NS-Behörden in "privilegierte Mischehe" (Mann "Arier", Frau jüdisch) und "nichtprivilegierte Mischehe" (Frau "Arierin", Mann jüdisch). Privilegiert wurde eine solche Ehe nur, wenn die Kinder nicht jüdisch erzogen wurden. Eine an sich privilegierte Mischehe wurde dann nichtprivilegiert, wenn die Kinder Mitglieder der Israelitischen Kultusgemeinde waren.[37]

Quellen

Literatur

  • Paulus Ebner / Juliane Mikoletzky /Alexandra Wieser: "Abgelehnt"..."Nicht tragbar". Verfolgte Studierende und Angehörige der TH in Wien nach dem Anschluß (Veröffentlichungen des Universitätsarchivs der technischen Universität Wien 11). Wien 2016.
  • Katharine Kniefacz / Herbert Posch: "… unter Vorbehalt des Widerrufs" – Jüdische ˈˈMischlingeˈˈ an der Universität Wien 1938-1945. In: Zeitgeschichte 43 (2016), Heft 5, S. 275-291
  • Michaela Raggam-Blesch: Alltag unter prekärem Schutz. ˈˈMischlingeˈˈ und ˈˈGeltungsjudenˈˈ im NS-Regime in Wien. In: Zeitgeschichte 43 (2016), Heft 5, S. 292-307
  • Brigitte Rigele: Das Wiener Stadt- und Landesarchiv in den Jahren 1938-1945. In: Österreichs Archive unter dem Hakenkreuz (Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 54. Hg. von der Generaldirektion). Wien: Studienverlag 2010, S. 387-424.
  • Horst Seidler / Andreas Rett: Das Reichssippenamt entscheidet. Rassenbiologie im Nationalsozialismus. Wien / München: Jugend und Volk 1982
  • John M. Steiner / Jobst F. von Cornberg: Willkür in der Willkür. Befreiung von den antisemitischen Nürnberger Gesetzen. München: Oldenbourg 1998 (Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, 46), S. 143-187
  • James F. Tent: Im Schatten des Holocaust. Schicksale deutsch-jüdischer "Mischlinge" im Dritten Reich. Aus dem Englischen übersetzt von Karl Heinz Silber. Köln / Weimar / Wien: Böhlau Verlag 2007

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Wikipedia: Nürnberger Gesetze [Stand: 07.08.2019].
  2. Michaela Raggam-Blesch: Alltag unter prekärem Schutz. ˈˈMischlingeˈˈ und ˈˈGeltungsjudenˈˈ im NS-Regime in Wien. In: Zeitgeschichte 43 (2016), Heft 5, S. 292.
  3. Horst Seidler / Andreas Rett: Das Reichssippenamt entscheidet. Rassenbiologie im Nationalsozialismus. Wien / München: Jugend und Volk 1982, S. 112-116, und John M. Steiner / Jobst F. von Cornberg: Willkür in der Willkür. Befreiung von den antisemitischen Nürnberger Gesetzen. München: Oldenbourg 1998 (Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, 46), S. 143.
  4. John M. Steiner / Jobst F. von Cornberg: Willkür in der Willkür. Befreiung von den antisemitischen Nürnberger Gesetzen. München: Oldenbourg 1998 (Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, 46), S. 147-149.
  5. Wiener Stadt- und Landesarchiv, NSDAP, Gauamt für Sippenforschung, A 1/39.
  6. NS-Quellen [Stand: 08.08.2019].
  7. NS-Quellen [Stand: 08.08.2019].
  8. NS-Quellen [Stand: 08.08.2019].
  9. NS-Quellen [Stand: 08.08.2019]
  10. Wiener Stadt- und Landesarchiv, Gauamt für Sippenforschung, A2/1: Mappe A2.2.8.
  11. Wikipedia: Ariernachweis [Stand: 12.08.2019].
  12. Österreichisches Staatsarchiv, Archiv der Republik, NS-Zivilakten, Reichskommissar für die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich, Karton 183, Mappe 2755, und Gerhard Botz: Nationalsozialismus in Wien: Machtübernahme und Herrschaftssicherung, Radikalisierung, Kriegsvorbereitung 1938/39. Wien: mandelbaum Verlag 2018, Handbuch Reichsgau Wien. Band 63/64. Wien: Deutscher Verlag für Jugend und Volk 1941 und Handbuch Reichsgau Wien. Band 65/66. Wien: Deutscher Verlag für Jugend und Volk 1944.
  13. Wiener Stadt- und Landesarchiv, Gauamt für Sippenforschung.
  14. Brigitte Rigele: Das Wiener Stadt- und Landesarchiv in den Jahren 1938-1945. In: Österreichs Archive unter dem Hakenkreuz (Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 54. Hg. von der Generaldirektion). Wien: Studienverlag 2010, S. 397 f und S. 402.
  15. Brigitte Rigele: Das Wiener Stadt- und Landesarchiv in den Jahren 1938-1945. In: Österreichs Archive unter dem Hakenkreuz (Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 54. Hg. von der Generaldirektion). Wien: Studienverlag 2010, S. 398.
  16. Brigitte Rigele: Das Wiener Stadt- und Landesarchiv in den Jahren 1938-1945. In: Österreichs Archive unter dem Hakenkreuz (Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 54. Hg. von der Generaldirektion). Wien: Studienverlag 2010, S. 397 f und S. 402.
  17. Brigitte Rigele: Das Wiener Stadt- und Landesarchiv in den Jahren 1938-1945. In: Österreichs Archive unter dem Hakenkreuz (Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 54. Hg. von der Generaldirektion). Wien: Studienverlag 2010, S. 399 f.
  18. Brigitte Rigele: Das Wiener Stadt- und Landesarchiv in den Jahren 1938-1945. In: Österreichs Archive unter dem Hakenkreuz (Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 54. Hg. von der Generaldirektion). Wien: Studienverlag 2010, S. 397 f und S. 404.
  19. Wiener Stadt- und Landesarchiv, Gauamt für Sippenforschung, A2/3: Mappe AMT 1
  20. Central Archives for the History of the Jewish people (CAHP) A/W 272. Brief Leopold Moses an die Amtsdirektion der IKG Wien vom 18. Februar 1940.
  21. Wiener Stadt- und Landesarchiv, Gauamt für Sippenforschung, A2/3: Mappe AMT 12.
  22. Stadt- und Landesarchiv, Volksgericht, A1: Vg 8e Vr 2992/1948.
  23. Stadt- und Landesarchiv, Gauamt für Sippenforschung, A2/4: Mappe AMT/29.
  24. Wiener Stadt- und Landesarchiv, Gauamt für Sippenforschung, A1 und Wiener Stadt- und Landesarchiv, Gauamt für Sippenforschung, A2.
  25. Wiener Stadt- und Landesarchiv, Gauamt für Sippenforschung, A1.
  26. Wiener Stadt- und Landesarchiv, Gauamt für Sippenforschung, A2/3: Mappe AMT 1
  27. Wiener Stadt- und Landesarchiv, Gauamt für Sippenforschung, A2/3: Mappe AMT 1.
  28. Wiener Stadt- und Landesarchiv, Gauamt für Sippenforschung, A 2/1
  29. Wiener Stadt- und Landesarchiv, Volksgericht, A1: Vg 1 Vr 6440/1946, S. 116, S. 137, S. 142 und Urteil.
  30. Wiener Stadt- und Landesarchiv, Volksgericht, A1: Vg 1 Vr 4890/1947, Urteil.
  31. Wiener Stadt- und Landesarchiv, Volksgericht, A1: Vg 8e Vr 2992/1948.
  32. Wiener Stadt- und Landesarchiv, Gauamt für Sippenforschung, A 2/1.
  33. Wiener Stadt- und Landesarchiv, Volksgericht, A1: Vg 639/1945, S. 4.
  34. Stadt- und Landesarchiv, Gauamt für Sippenforschung, A2/3: Mappe AMT 1.
  35. Wiener Stadt- und Landesarchiv, Gauamt für Sippenforschung, A1/38.
  36. Katharine Kniefacz / Herbert Posch: "… unter Vorbehalt des Widerrufs" – Jüdische ˈˈMischlingeˈˈ an der Universität Wien 1938-1945. In: Zeitgeschichte 43 (2016), Heft 5, S. 275-291, und James F. Tent: Im Schatten des Holocaust. Schicksale deutsch-jüdischer "Mischlinge" im Dritten Reich. Aus dem Englischen übersetzt von Karl Heinz Silber. Köln / Weimar / Wien: Böhlau Verlag 2007.
  37. Michaela Raggam-Blesch: Alltag unter prekärem Schutz. ˈˈMischlingeˈˈ und ˈˈGeltungsjudenˈˈ im NS-Regime in Wien. In: Zeitgeschichte 43 (2016), Heft 5, S. 296 f.