Friedl Dicker-Brandeis

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Daten zur Person
Personenname Dicker-Brandeis, Friedl
Abweichende Namensform Dicker, Friedl; Dicker-Brandeis, Friedericke; Brandeisova, Bedriška
Titel
Geschlecht weiblich
PageID 45844
GND 119025337
Wikidata Q85924
Geburtsdatum 30. Juli 1898
Geburtsort Wien 4066009-6
Sterbedatum 9. Oktober 1944
Sterbeort Auschwitz 4640513-6
Beruf Innenarchitektin, Bildende Künstlerin, Kunstpädagogin
Parteizugehörigkeit KPÖ (wahrscheinlich)
Ereignis
Nachlass/Vorlass
Objektbezug
Quelle Gedenktage
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Letzte Änderung am 15.11.2023 durch WIEN1.lanm09krs
Begräbnisdatum
Friedhof
Grabstelle
  • 9., Wasserburgergasse 2 (Wirkungsadresse)
Familiäre Beziehung
Berufliche Beziehung
Beziehung, Bekanntschaft, Freundschaft

Friedl Dicker-Brandeis, * 30. Juli 1898 Wien, † 9. Oktober 1944 Auschwitz, Architektin, Künstlerin, Kunstpädagogin.

Biografie

Friederike Dicker wurde in eine jüdische Familie geboren. Sie war das einziges Kind des Papierwarenhändlers Simon Dicker (1857–1942) und seiner Frau Karolina, geborene Fanta (1865–1902), die starb, als Friedl drei Jahre alt war.

Neben dem Besuch der Graphischen Lehr- und Versuchsanstalt von 1912/13 bis 1916/17 studierte sie ab 1915/16 in der Textilklasse der Kunstgewerbeschule Wien bei Rosalia Rothansl. Auch wenn sie weder die Klasse für Ornamentale Formenlehre noch die Jugendkunstklasse bei Franz Cizek besuchte, so gingen von dessen Lehre doch wichtige Impulse für sie aus. Sie stellte Theaterkostüme und Marionetten her, arbeitete als Requisiteurin und schrieb eigene Stücke. Von 1916/17 bis 1919 setzte sie ihr Studium in der privaten Kunstschule von Johannes Itten in Wien fort. In dieser Zeit war sie in der jüdischen Wiener Jugendbewegung aktiv, die vom späteren Psychologen Siegfried Bernfeld initiiert wurde. 1918/19 nahm Friedl Dicker wie viele ihrer Freundinnen und Freunde auch Kompositionsunterricht bei Arnold Schönberg. 1919 erhielt Itten einen Lehrauftrag im Bauhaus in Weimar, Friedl Dicker und andere seiner Studierenden, darunter Anny Wottitz und Franz Singer, folgten ihm. Dicker wurde in der Weberei, im Fach Druckgrafik und in der Theaterwerkstatt ausgebildet. Sie entwarf Einladungen für Bauhausabende und lehrte selbst. Neben Johannes Itten gehörten Paul Klee, Lyonel Feininger und Oskar Schlemmer zu ihren wichtigsten Einflüssen. Am Bauhaus lernte Dicker außerdem Stefan Wolpe kennen, mit dem sie eine lebenslange Freundschaft verband.

Nach Abschluss des Studiums gingen Dicker und Singer nach Berlin und gründeten dort 1923 die Werkstätten Bildender Kunst. Es entstanden Spielzeug, Schmuck, Textil- und Buchbinderarbeiten sowie Grafiken und Theaterausstattungen, unter anderem für Berthold Viertels Ensemble "Die Truppe". 1925 kehrte Friedl Dicker nach Wien zurück, um mit ihrer Freundin Martha Döberl ein Buchbinderei- und Textilatelier in der Wasserburgergasse 2 im 9. Bezirk zu eröffnen. Die Werkstätten Bildender Kunst wurden 1926 aufgrund finanzieller Schwierigkeiten geschlossen. Franz Singer kam zurück nach Wien und die beiden schlossen sich zu einer Ateliergemeinschaft zusammen. Das mehrfach ausgezeichnete Atelier erhielt Aufträge für eine Fülle von Wohnungsumbauten und -einrichtungen, konnte aber auch einige Neubauten realisieren. Ab 1930 statteten Dicker und Singer den Montessori-Kindergarten im Goethehof aus, der 1932 eröffnet wurde. Friedl Dicker wandte sich verstärkt der Kunstpädagogik zu und hielt ab 1931 Kurse für Kindergärtnerinnen. Im selben Jahr verließ sie die Arbeitsgemeinschaft Singer-Dicker und trat vermutlich der Kommunistischen Partei bei. Am 4. November 1931 wurde Dicker der Passfälschung für die KPD angeklagt und verhaftet. Am 23. März 1932 erfolgte ihre Verurteilung zu drei Monaten Haft. Nach ihrer Freilassung zog sie nach Prag. Das letzte Datum, an dem Friedl Dicker noch in Wien gemeldet war, ist der 24. Juni 1933.

Auch in Prag war Friedl Dicker in kommunistischen Gruppen engagiert. Sie lernte in der linken Buchhandlung Schwarze Rose Hilde Kothny kennen und widmete sich dem Kunstunterricht von Kindern, die unter anderem aus dem seit 1933 von Nationalsozialisten beherrschten Deutschland kamen. Eine ihrer Schülerinnen war die austro-amerikanische Künstlerin und Kunsttherapeutin Edith Kramer, die sie bereits aus Wien kannte. Sie unterzog sich einer Psychoanalyse bei Anny Reich. Mit Grete Bauer-Fröhlich, einer ehemaligen Bauhauskollegin, setzte sie ihre kunstgewerblichen und innenarchitektonischen Arbeiten fort. Trotz erfolgter Auflösung des gemeinsamen Ateliers entstanden aber auch etliche Wohnungseinrichtungen in Zusammenarbeit mit Franz Singer. 1936 heiratete sie ihren Cousin Pavel Brandeis und nahm die tschechische Staatsbürgerschaft an.

Ab 1938 lebte das Paar in Hronov (Mettau) in der Nähe von Prag und arbeitete in der Textilfabrik B. Spiegler & Söhne. Ein Jahr später verloren Jüdinnen und Juden die Arbeitserlaubnis. Obwohl Friedl Dicker-Brandeis noch 1939 die Möglichkeit zur Emigration nach Palästina gehabt hätte, blieb sie bei ihrem Mann. 1940 wurden Arbeiten Friedl Dicker-Brandeis' gemeinsam mit Werken von Gerald Davis in der Royal Arcade Gallery in London gezeigt.

Im Dezember 1942 wurde das Paar ins sogenannte Ghetto Theresienstadt deportiert. Während Pavel als gelernter Zimmermann direkt in die Werkstätten geschickt wurde, verwies man Friedl Dicker-Brandeis in die Technische Abteilung zu anderen Künstlerinnen und Künstlern. In Theresienstadt war ein Schulunterricht verboten, doch als "Freizeitgestaltung" gelang es ihr, Zeichenkurse für Kinder abzuhalten. Sie stattete Theaterstücke aus und hielt im Sommer 1943 einen Vortrag über Kinderzeichnungen. Im Herbst 1944 wurde Pavel Brandeis nach Auschwitz verlegt. Friedl Dicker-Brandeis folgte ihm und wurde am Tag nach ihrer Ankunft, am 9. Oktober 1944, ermordet. Ihr Mann überlebte das Vernichtungslager.

Rund 4.500 der im Unterricht von Friedl Dicker-Brandeis entstandenen Kinderzeichnungen wurden von Willi Groag, dem Leiter eines der Kinderheime in Theresienstadt, auf dem Dachboden versteckt und konnten so gerettet werden. Sie befinden sich in der Sammlung des Jüdischen Museums Prag.


Quellen

Literatur

  • Brigitte Reuter-Doneus / Hemma Schmutz [Hg.]: Friedl Dicker-Brandeis (1898–1944), Ausstellungskat. Lentos Kunstmuseum. Linz / München: Hirmer 2022
  • Stefanie Kitzberger / Cosima Rainer / Linda Schädler [Hg.]: Friedl Dicker-Brandeis. Werke aus der Sammlung der Universität für angewandte Kunst Wien. Basel / Boston: De Gruyter 2022
  • Katharina Hövelmann: Bauhaus in Wien? Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer. Wien / Köln: Böhlau 2021
  • Katharina Hövelmann: Das moderne Wohnprinzip. Kleinwohnungsgestaltungen der Ateliergemeinschaft unter der Leitung von Friedl Dicker und Franz Singer. Dipl.-Arb., Univ. Wien. Wien 2012
  • Linney Wix: Through a Narrow Window. Friedl Dicker-Brandeis and Her Terezin Students. Albuquerque: University of New Mexico Press, 2010
  • Angelika Romauch: Friedl Dicker. Marxistische Fotomontagen 1923/33. Das Verfahren der Montage als sozialkritische Methode. Dipl.-Arb., Univ. Wien. Wien 2003
  • Elena Makarova: Friedl Dicker-Brandeis. Ein Leben für Kunst und Lehre. Wien – Weimar – Prag – Hronov – Theresienstadt – Auschwitz [Ausstellungskatalog]. Wien: Brandstätter 2000
  • Georg Schrom / Stefanie Trauttmansdorff [Hg.]: 2 x Bauhaus in Wien. Franz Singer – Friedl Dicker. Ausstellungskat. Hochschule für angewandte Kunst Wien. Wien 1988
  • Friedl Dicker – Franz Singer. Ausstellungskat. Bauhaus-Archiv Darmstadt, Red. Peter Wilberg-Vignau. Darmstadt 1970


Friedl Dicker-Brandeis im Katalog der Wienbibliothek im Rathaus.


Weblinks