Erdgasumstellung

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Daten zum Ereignis


Im August 1969 kündigte der neu ernannte Amtsführende Stadtrat für Öffentliche Unternehmungen Franz Nekula von der SPÖ in einer Pressekonferenz „zum Ausklang der Kohlengasperiode“ die Umstellung aller Wiener Gasgeräte auf den Betrieb mit reinem Erdgas an[1]. Dies erforderte den Umbau aller Endgeräte in den Haushalten, da sich die Gase in Heizwert, Brennverhalten und Druck unterschieden. Nur so konnte ein sicherer und effizienter Betrieb gewährleistet werden. Die Umstellung der rund 1,5 Mio. Gasgeräte wurde in nur acht Jahren (1970 bis 1978) realisiert.

Vorbereitende Arbeitsschritte

Die Vorarbeiten für die Umstellung von Stadt- auf Erdgas wurden bereits unter Maria Schaumayer als Amtsführende Stadträtin von der ÖVP begonnen. Sie kündigte 1968 an, dass die Wiener Gaswerke aufgrund der nun gesicherten und ausreichenden Erdgasversorgung (siehe Erdgasimportvertrag) die Umstellung in Angriff nehmen könnten. Gespräche mit der Installateurinnung, der Gasgeräte-Industrie und den Umstellungsfirmen waren bereits im Gange. Weiters wurde der Neubau einer Versuchsanstalt für Gas- und Feuerungstechnik geplant und budgetiert. Diese war notwendig, um die Umbauwürdigkeit von Gasgeräten zu klassifizieren, Eignungsprüfungen von Dichtungsmaterialien für Erdgas durchzuführen und weitere technische Vorbereitungen für die Umstellung zu treffen[2].

Außerdem wurden Unterlagen von 119 deutschen Gaswerken gesammelt und in einem statistischen Vergleich ausgewertet[3]. In der Öffentlichkeit wurde damit geworben, dass die Umstellung ein „Gebot der technischen und wirtschaftlichen Entwicklung“ sei und dass bereits viele Städte umgestellt hätten. Dabei wurde immer wieder betont, dass die Umstellung in Wien „die bei weitem umfangreichste“ sein werde, da in keiner anderen Stadt vergleichbarer Größe ein so hoher Prozentsatz der Haushalte mit Gas versorgt wurde[4]. Die Gaswerke zählten damals um die 780.000 Gaskund*innen und zum Versorgungsgebiet zählten neben Wien 25 angrenzende niederösterreichische Gemeinden.

Weiters wurden die ersten Umstellungsgebiete abgegrenzt und zwei öffentliche Ausschreibungen durchgeführt[5]. 1970 wurde die Firma Integral Industriebedarf GmbH mit der Umstellung beauftragt[6] und die jeweiligen Zuständigkeiten im Detail zwischen dem Umstellunternehmen und den Wiener Gaswerken vereinbart. In deren Zuständigkeit fiel etwa eine Gasgeräteerhebung direkt in den einzelnen Haushalten. Im Zuge dessen wurden 1.100 verschiedene Modelle erfasst und auf ihre technische Umstellbarkeit auf Erdgas untersucht. In der Folge wurden typangepasste Umbausätze entwickelt[7].

Kochgeräte (Gasherd, Gaskocher, Gasbackrohr) sollten für die Kund*innen kostenlos umgebaut werden. Umbauunwürdige Geräte sollten ausgetauscht und zu einem vergünstigten Preis neu gekauft werden können. „Durch Verhandlungen mit der Gasgeräte-Industrie konnten besonders vorteilhafte Preiskalkulationen erzielt werden“ [8]. Für Sozialfälle wurde zusätzlich die Umstellung von kleinen Warmwasserbereitern und Heizungen bezahlt, für Industrie und Gewerbe übernahmen die Gaswerke 50% der Kosten[9] . Zusätzlich genehmigte der Stadtsenat eine Kreditaktion der Wiener Stadtwerke gemeinsam mit der Zentralsparkasse. Die Gaswerke übernahmen die Haftung für Kredite bis zu 2 Mio. Schilling, damit auch Personen ohne Kreditberechtigung einen Kredit für neue Gasgeräte in Anspruch nehmen konnten[10]. Am 7. September 1970 begann die Umstellung von Stadtgas auf Erdgas[11].

Einigkeit über die Vorteile der Erdgasumstellung

Das zentrale Argument für die Umstellung, das von den Wiener Gaswerke immer wieder vorgebracht wurde, war der doppelte Heizwert des Erdgases verglichen zum Stadtgas. Durch die Umstellung konnte die Kapazität des Gasrohrnetzes „mit einem Schlag“ verdoppelt werden. Die bereits ausgeschöpfte Netzkapazität limitierte nämlich auch die Möglichkeiten neue Gaskund*innen ins Netz zu integrieren. Eine Ausweitung der Netzkapazität wäre auch durch die Verstärkung der Rohrleitungen möglich gewesen. Dies hätte aber aufwändige und bei der Bevölkerung unbeliebte Grabungsarbeiten in der Stadt mit sich gebracht. Durch den Wechsel auf einen Energieträger mit einer höheren Energiedichte entfielen diese Hürden. Auch die Industrie konnte durch die Umstellungsaktion mehr Gas nutzen. Zudem wurden durch die Direktabgabe und den Wegfall der Stadtgasproduktion um 10% geringere Energieverluste erwartet[12].

In der Gemeinderatsdebatte zur Umstellung 1970 erläuterte Stadtrat Nekula die wirtschaftlichen Vorteile einer Umstellung: Bei Beibehaltung der Spaltgaserzeugung wären große Investitionen in Produktionsanlagen und in die Verstärkung des Rohrnetzes notwendig, um den jährlichen Bedarfszuwachs von 30 bis 40 Mio. m3 Gas zu decken. Die Umstellung auf Erdgas ersparte den Konsument*innen auf absehbare Zeit eine Erhöhung des Gaspreises, vorausgesetzt die Kostensituation bliebe gleich[13]. Die Umstellung wurde im Gemeinderat einstimmig beschlossen[14]. Vertreter*innen der ÖVP äußerten jedoch Bedenken gegen die von Nekula vorgelegten Umstellungsbedingungen[15].

Ablauf und Abschluss der Geräteumstellung

Um die Gasversorgung bis zum Ende der Umstellungszeit sicherstellen zu können, wurde noch 1971 eine neue Spaltanlage im Gaswerk Leopoldau in Betrieb genommen[16]. Auch der Einsatz von Flüssiggas durch die Errichtung einer mobilen „Reichgasanlage“ (Flüssiggas wird verdampft und mit Luft gemischt) war eine kurzfristige Maßnahme zur Absicherung der Versorgung während der Erdgasumstellung[17].

Im September 1978 war die Umstellungsaktion abgeschlossen. Die Gaswerke Simmering und Leopoldau stellten die Gasproduktion endgültig ein und übernahmen fortan die Aufgaben der Übernahme, Messung, Regelung und Verteilung des Erdgases.

Die Bilanz wies rund 1,5 Mio. umgestellte Gasgeräte in 764.000 Haushalten und Betrieben aus. Durch die Gasgeräte-Umtauschaktion wurden 443.000 neue Geräte neu angeschlossen, davon 251.000 Gasherde, 158.000 Warmwassergeräte und 34.000 Heizgeräte. Die Kosten für die Wiener Gaswerke beliefen sich auf rund 900 Mio. Schilling. Über 99% der gestellten Heizgasanträge konnten in den acht Jahren bewilligt werden. Das bedeutete 210.542 Neuanschlüsse[18].

Quellen

Literatur

  • Helmut Ruck & Christian Fell: Gas: Energie für Wien im Wandel der Zeit. Bd. 1–3. Wien. Wien-Energie-Gasnetz-GmbH. 2009

Referenzen

  1. Wienbibliothek Digital: Rathaus-Korrespondenz, 28. August 1969, B. 2340f.
  2. Wienbibliothek Digital: Rathaus-Korrespondenz, 20. Dezember 1968, B. 3917
  3. Wienbibliothek Digital: Rathaus-Korrespondenz, 7. September 1970, B. 2622f.
  4. Wienbibliothek Digital: Rathaus-Korrespondenz, 16. April 1970, B. 1002
  5. Wienbibliothek Digital: Jahrbuch der Stadt Wien 1969, S. 315
  6. Wienbibliothek Digital: Rathaus-Korrespondenz, 20. Mai 1970, B. 1393
  7. Wienbibliothek Digital: Rathaus-Korrespondenz, 26. August 1970, B. 2485
  8. Wienbibliothek Digital: Die Verwaltung der Stadt Wien 1970, S. 194
  9. Wienbibliothek Digital: Rathaus-Korrespondenz, 24. April 1970, B. 1126
  10. Wienbibliothek Digital: Rathaus-Korrespondenz, 19. August 1970, B. 2423
  11. Wienbibliothek Digital: Rathaus-Korrespondenz, 13. April 1971, B. 1031
  12. Wienbibliothek Digital: Rathaus-Korrespondenz, 20. Dezember 1968, B. 3916f.
  13. Wienbibliothek Digital: Rathaus-Korrespondenz, 24. April 1970, B. 1125
  14. Wienbibliothek Digital: Rathaus-Korrespondenz, 20. April 1970, B. 1049
  15. Wienbibliothek Digital: Rathaus-Korrespondenz, 24. April 1970, B. 1129
  16. Wienbibliothek Digital: Rathaus-Korrespondenz, 27. Dezember 1971, B. 3838
  17. Wienbibliothek Digital: Rathaus-Korrespondenz, 11. Oktober 1976, B. 2331
  18. Wienbibliothek Digital: Die Verwaltung der Stadt Wien 1978, S. 232