Ella Lingens

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Daten zur Person
Personenname Lingens, Ella
Abweichende Namensform Reiner, Ella; Lingens-Reiner, Ella
Titel Dr. iur., Dr. med., Ministerialrätin
Geschlecht weiblich
PageID 30272
GND 11703228X
Wikidata Q94547
Geburtsdatum 18. November 1908
Geburtsort Wien
Sterbedatum 30. Dezember 2002
Sterbeort Wien
Beruf Ärztin, Beamtin
Parteizugehörigkeit
Ereignis Zweiter Weltkrieg, Februarkämpfe
Nachlass/Vorlass
Objektbezug
Quelle Felix Czeike: Historisches Lexikon Wien, Gedenktage
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Letzte Änderung am 19.10.2023 durch WIEN1.lanm09fri
Begräbnisdatum 9. Jänner 2003
Friedhof Zentralfriedhof
Grabstelle Gruppe 40, Nummer 90
Ehrengrab ehrenhalber gewidmetes Grab

Es wurden noch keine Adressen zu dieser Person erfasst!

Familiäre Beziehung
Berufliche Beziehung
Beziehung, Bekanntschaft, Freundschaft

  • Ehrenmedaille "Gerechte unter den Völker (Verleihung: 1980)

Ella Lingens, * 18. November 1908 Wien, † 30. Dezember 2002 Wien, Juristin, Ärztin, Widerstandskämpferin.

Biografie

Ella Reiner wurde am 18. November 1908 als fünftes Kind der Wiener bildungsbürgerlichen Familie Reiner geboren. Ihre Mutter Elsa war die Tochter des Schweizer Bahnbauingenieurs Achilles Thommsen. Ihr Vater, Friedrich Reiner, ursprünglich ein Bahnbeamter und Mitarbeiter seines späteren Schwiegervaters, besaß ein großes Landstück in Slawonien, welches er nach seinem Ausscheiden aus dem Bahndienst in ein prosperierendes Landgut verwandelte.

Sie studierte zunächst Jus und promovierte 1931. Da sich ihr Berufswunsch, Richterin zu werden, nicht realisieren ließ, nahm sie ein Medizinstudium auf, um als Psychoanalytikerin zu arbeiten.

Bereits früh engagierte sich Ella Reiner für den Sozialismus − auch als Akt der Auflehnung gegen ihr konservatives Elternhaus. Während der Februarkämpfe 1934 stellte sie ihre Wohnung der Redaktion der Arbeiterzeitung zur Verfügung, versteckte Literatur der Revolutionären Sozialisten und organisierte deren Verteilung.

Nach Beziehungen mit dem Soziologen Paul Felix Lazarsfeld und dem Schriftsteller und KPÖ-Politiker Ernst Fischer heiratete Ella Reiner am 7. März 1938 ihren Studienkollegen Kurt Lingens. Im August 1939 kam Sohn Peter Michael Lingens zur Welt, der später Journalist wurde.

Um Ella und Kurt Lingens und den befreundeten Psychoanalytiker Karl Motesiczky entwickelte sich eine antifaschistische Widerstandsgruppe. 1941/42 versteckte die Familie Lingens mehrere Monate die junge Jüdin Erika Felden in ihrer Wohnung. Gemeinsam mit Motesiczky organisierte das Ehepaar Lingens die Flucht polnischer Juden in die Schweiz und verwahrte Wertsachen von jüdischen Freunden. Von dem Gestapo-Spitzel Rudolf Klinger verraten, wurden alle drei am 13. Oktober 1942 wegen versuchter Fluchthilfe verhaftet. Kurt Lingens, damals Unterarzt bei der Wehrmacht, wurde aufgrund einer Intervention entlassen, degradiert und nach Russland abkommandiert, wo er schwere Verwundungen erlitt. Ella Lingens und Karl Motesiczky deportierte man nach Auschwitz. Hier starb Motesiczky nach kurzer Zeit, am 25. Juni 1943, an Typhus. Als "deutscharische" Ärztin im Krankenrevier wurde Ella Lingens dem berüchtigten Lagerarzt Josef Mengele zugeteilt. In dieser Position gelang es ihr, durch Fehldiagnosen einige Jüdinnen und Juden vor dem Tod in der Gaskammer zu retten. Im Dezember 1944 wurde sie ins Konzentrationslager Dachau überstellt. In Dachau erlebte sie das Ende des Krieges und die Befreiung durch die amerikanische Armee.

In Kärnten, wo ihr Sohn während ihrer Inhaftierung bei einer Pflegemutter untergebracht war, fand Ella Lingens eine Anstellung als Sekundarärztin in der Lungenheilstätte Laas (Kötschach, Kärnten), danach in Alland. Nach Abschluss ihres Medizinstudiums absolvierte sie eine Ausbildung zur Lungenfachärztin. 1947 erfolgte die Scheidung von Kurt Lingens.

In den folgenden Jahrzehnten bis zu ihrer Pensionierung 1973 war Ella Lingens im Ministerium für soziale Verwaltung tätig, unter anderem als Leiterin des Tuberkulosereferats, und wesentlich am Aufbau des österreichischen Gesundheits- und Sozialwesens beteiligt. Sie wandte sich auch wieder der Psychoanalyse zu, ohne diese selbst beruflich auszuüben. So gehörte sie unter anderem dem Vorstand der 1968 gegründeten Sigmund-Freud-Gesellschaft an und publizierte in wissenschaftlichen Zeitschriften.

Ella Lingens widmete sich unermüdlich der antifaschistischen Erinnerungsarbeit. Bereits 1947 begann sie, ihre Erfahrungen in den Konzentrationslagern niederzuschreiben. Der Erlebnisbericht erschien 1948 unter dem Titel "Prisoners of Fear" in London. Als Zeitzeugin besuchte Ella Lingens Schulen und Lehrerseminare. Ab 1960 war sie Präsidentin der Österreichischen Lagergemeinschaft. 1964/65 sagte sie im Auschwitz-Prozess in insgesamt 22 Fällen aus. 1966 publizierte Ella Lingens den Bericht "Die Frau im Konzentrationslager", 2003 besorgte Peter Michael Lingens die posthume Neuausgabe von "Gefangene der Angst".

1980 wurden Ella und Kurt Lingens von der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem mit dem Titel "Gerechte unter den Völkern" ausgezeichnet.

Ella Lingens starb am 30. Dezember 2002 in Wien, sie wurde in einem Ehrengrab auf dem Wiener Zentralfriedhof beigesetzt.

Nach der Widerstandskämpferin wurden die Ella-Lingens-Straße, der Ella-Lingens-Hof und das Ella-Lingens-Gymnasium (21., Gerasdorferstraße 103) benannt.

Werke

  • Ella Lingens: Gefangene der Furcht. London: Eigenverlag 1947 (Typoskript)
  • Ella Lingens: Prisoners of fear. London: Gollancz 1948
  • Ella Lingens: Eine Frau im Konzentrationslager. Wien: Europa-Verlag 1966 (Monographien zur Zeitgeschichte)
  • Ella Lingens: Gefangene der Angst. Ein Leben im Zeichen des Widerstandes. Wien: Deuticke 2003 (mehrere Auflagen)
  • Ella Lingens: Gefangene der Angst. Ein Leben im Zeichen des Widerstandes. Berlin: Berliner Taschenbuch-Verlag 2005

Quelle

  • Wienbibliothek im Rathaus, Tagblattarchiv

Literatur

Weblinks