Elise Richter

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Elise Richter
Daten zur Person
Personenname Richter, Elise
Abweichende Namensform
Titel Dr. phil., ao. Univ. Prof.
Geschlecht weiblich
PageID 26573
GND 118600389
Wikidata Q89233
Geburtsdatum 2. März 1865
Geburtsort Wien 4066009-6
Sterbedatum 21. Juni 1943
Sterbeort Konzentrationslager Theresienstadt 4135801-6
Beruf Romanistin
Parteizugehörigkeit Bürgerlich-demokratische Arbeitspartei
Ereignis
Nachlass/Vorlass Wienbibliothek im Rathaus, Österreichische Nationalbibliothek
Objektbezug Universität Wien
Quelle Felix Czeike: Historisches Lexikon Wien, Gedenktage
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Letzte Änderung am 10.11.2023 durch WIEN1.lanm09krs
Begräbnisdatum
Friedhof
Grabstelle
Bildname Eliserichter.jpg
Bildunterschrift Elise Richter
  • 1., Fleischmarkt 17 (Wohnadresse)
  • 8., Florianigasse 1 (Wohnadresse)
  • 19., Weimarer Straße 83 (Wohnadresse)
  • 9., Seegasse 16 (Wohnadresse)
Familiäre Beziehung
Berufliche Beziehung
Beziehung, Bekanntschaft, Freundschaft

  • ao. Professor für Romanistik an der Universität Wien (1907, bis: 1938)

Elise und Helene Richter

Elise Richter, * 2. März 1865 Wien, † 21. Juni 1943 Konzentrationslager Theresienstadt, Romanistin.

Biografie

Elise Richter kam als Tochter von Maximilian Richter, Chefarzt bei der k.k. Südbahn Wien – Triest, und seiner Ehefrau Emilie, geborene Lakenbacher, in Wien zur Welt. Gemeinsam mit ihrer Schwester Helene wuchs sie in einem großbürgerlichen Umfeld auf, in dem Kultur, Erziehung und Bildung einen wichtigen Stellenwert einnahmen.

Wie für Mädchen ihrer Herkunft nicht unüblich, wurden die beiden Schwestern zunächst von der Mutter, später von einer Hauslehrerin unterrichtet. Nach dem Tod der Eltern (die Mutter starb 1889, der Vater 1890) ermöglichte es die umfangreiche Hinterlassenschaft den Schwestern, zahlreiche Reisen zu unternehmen und sich in private Studien zu vertiefen. Helene und Elise Richter verband eine sehr innige Beziehung. Die beiden Frauen verbrachten ihr gesamtes Leben miteinander und unterstützen sich gegenseitig. Elise Richter erkrankte bereits als Zwanzigjährige an Gelenkrheumatismus und hatte zeitlebens mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen.

Ab 1895 wohnten die beiden Schwestern in einem Haus in Döbling, dessen Pläne Elise Richter selbst entworfen hatte. Dort fanden ab 1906 monatliche Treffen statt, bei denen zahlreiche WissenschaftlerInnen, KünstlerInnen, SchriftstellerInnen und PolitikerInnen zusammenkamen. Aufgrund der Inflation in Folge des Ersten Weltkrieges verloren Helene und Elise Richter fast ihr ganzes Vermögen. Mit dem Einkommen aus Lehrtätigkeit und Mieteinkünften – ein Teil des Hauses war vermietet – führten sie ein bescheidenes Leben. 1923 waren sie gezwungen das Haus zu verkaufen, konnten sich aber eine Leibrente und das lebenslange Wohnrecht sichern.

Karriere

Elise Richter besuchte ab 1891 als Gasthörerin Lehrveranstaltungen an der Universität Wien. 1897 legte sie die Externistenmatura am Akademischen Gymnasium in Wien ab. Im selben Jahr immatrikulierte sie sich an der Universität und zählte damit zu den ersten drei Studentinnen an der Universität Wien. Sie inskribierte sich für die Fächer klassische Philologie, Indogermanistik, Germanistik und Romanistik.

Elise Richters Interesse für Romanistik wurde möglicherweise durch Adolf Mussafia geweckt bzw. bestärkt. Mit Mussafia, der als Begründer der Romanistik an der Universität Wien gilt, war sie bereits vor ihrer Zeit als Studentin an der Universität befreundet. Gemeinsam mit Wilhelm Meyer-Lübke zählte er zu den wichtigsten Lehrern, die Elise Richters Wissensdrang förderten und sie in ihrem Ansinnen wissenschaftlich zu arbeiten, bestärkten. 1901 promovierte sie als erste Frau zum Doktor der Romanistik an der Universität Wien. Anschließend strebte sie die Habilitation an, was seitens des Dekanats kritisch beurteilt wurde: Dass sich Männer von einer Frau unterrichten lassen sollten, sorgte für Bedenken. 1905 gelang es ihr, alle erforderlichen Schritte zu absolvieren und sich erfolgreich zu habilitieren. Die Bestätigung der "venia legendi", der Lehrbefugnis für romanische Philologie durch das k.k. Ministerium für Kultur und Unterricht erfolgte allerdings erst zwei Jahre später, 1907. Elise Richter war damit die erste Privatdozentin Österreichs, wenngleich es sich dabei um eine unbezahlte Dozentur handelte. Da für ihre Antrittsvorlesung im Herbst 1907 sowohl ein starkes mediales Interesse als auch Störungsversuche seitens klerikaler und nationaler Studenten befürchtet wurden, musste der Termin kurzfristig anberaumt werden. 1921 wurde ihr, trotz zahlreicher Gegenstimmen, als erster Frau Österreichs eine außerordentliche Titularprofessur (ao. Univ.-Prof.) verliehen. Ab 1928 leitete sie das phonetische Institut der Universität Wien. Als Ordinarius durfte sie sich allerdings nie bezeichnen, der Antrag auf die Verleihung einer ordentlichen Professur anlässlich ihres 70. Geburtstages 1935 wurde vom Unterrichtsministerium abgelehnt.

Ihr wissenschaftlicher Schwerpunkt lag im Bereich der romanischen Sprachwissenschaft. Sie beschäftigte sich intensiv mit Semantik, Syntax, Phonetik und Phonologie, wobei sie in ihren Arbeiten auch psychologische Komponenten sowie kulturelle und gesellschaftliche Hintergründe berücksichtigte. Sie veröffentlichte circa 250 Publikationen und korrespondierte mit zahlreichen FachkollegInnen. Dazu kam eine umfassende Lehrtätigkeit, für die sie ab den 1920er Jahren auch monetär entlohnt wurde.

Mitgliedschaften und politisches Engagement

Elise Richter engagierte sich in der 1919 gegründeten "Bürgerlich-freiheitlichen Partei", die wenig später in der "Bürgerlich-demokratischen Arbeitspartei" aufging. Ihr Anliegen galt vor allem Bildungsfragen, insbesondere auch in Hinblick auf Mädchen und Frauen. 1922 war sie Mitbegründerin des Verbands der Akademikerinnen Österreichs, dem sie bis 1930 vorstand.

Elise Richter, die politisch dem bürgerlich-liberalen Lager zugeordnet werden kann, ging zeitlebens auf Distanz zu sozialdemokratischen oder kommunistischen Strömungen. In der Zwischenkriegszeit sympathisierte sie mit der Christlichsozialen Partei; ihre Haltung zum austrofaschistischen Ständestaat ist Gegenstand neuerer Forschungen.

Verfolgung und Deportation

Nach dem "Anschluss" im März 1938 wurde Elise Richter als Jüdin im Sinne der Nürnberger Gesetze die Lehrbefugnis entzogen und der Zutritt zur Bibliothek wurde ihr verweigert. Durch das de facto Berufsverbot wurde ihr die Lebensgrundlage entzogen und die ohnehin bereits prekäre finanzielle Situation der Schwestern verschärfte sich zunehmend. Eine Pension oder Abfindung für ihre jahrelange Tätigkeit wurde Elise Richter vom Ministerium verweigert. Finanziell unterstützt wurde sie in unregelmäßigen Abständen von der "International Federation of University Women", die den Schwestern im Falle einer Emigration auch Hilfe in England in Aussicht stellte. Für die betagten Frauen kam eine Flucht allerdings nicht in Betracht. Elise Richter versuchte bis zuletzt ihre Arbeit fortzuführen. Noch 1941 tauschte sie sich beispielsweise mit ihrer ehemaligen Schülerin Helene Adolf, die in die USA geflüchtet war, in Briefen über Fachliches aus. Bis 1942 gelang es noch, ihre Texte in Italien und den Niederlanden zu publizieren. Im März 1942 mussten Elise und Helene Richter die Wohnung in ihrem ehemaligen Haus in Döbling verlassen und in das Jüdische Altersheim in der Seegasse übersiedeln. Im Oktober wurden beide in das Konzentrationslager Theresienstadt deportiert, wo Helene Richter am 8. November 1942 und Elise Richter am 21. Juni 1943 verstarb.

Nachlass

Die Handschriftensammlung der Wienbibliothek im Rathaus besitzt einen umfangreichen Nachlass von Helene und Elise Richter, der rund 1.900 Inventarnummern umfasst. Darunter befinden sich zahlreiche Briefe, unter anderem von Helene Adolf oder Marianne Hainisch, Lebensdokumente wie Ausweise, Legitimationen oder Schreiben an die Universität Wien sowie Materialien, die Elise Richters politisches Engagement dokumentieren. Nicht zuletzt befinden sich im Nachlass auch persönliche Notizbücher, Tagebücher, Taschenkalender sowie das Typoskript für Elise Richters 1940 verfasste Autobiographie "Summe des Lebens", die erst 1997 in Druck erschien.

Quellen

Literatur

  • Ilse Korotin [Hg.]: biografiA. Lexikon österreichischer Frauen. Band 3. Wien / Köln / Weimar: Böhlau Verlag 2016, S. 2702–2704
  • Christiane Hoffrath: Bücherspuren. Das Schicksal von Elise und Helene Richter und ihrer Bibliothek im "Dritten Reich". 2., durchges. und erg. Aufl. Wien / Köln / Weimar: Böhlau Verlag 2010 (Schriften der Universitäts- und Stadtbibliothek Köln, 19)
  • Elke Krasny: Stadt und Frauen. Eine andere Topographie von Wien. Wien: Metroverlag 2008, S. 76, 173 f.
  • Renate Seebauer: Frauen, die Schule machten. Wien: LIT 2007, S. 96–111
  • Brigitta Keintzel / Ilse Korotin [Hg.]: Wissenschafterinnen in und aus Österreich. Leben – Werk – Wirken. Wien / Köln / Weimar: Böhlau Verlag 2002, S. 616–619
  • Elise Richter: Summe des Lebens. Hg. vom Verband der Akademikerinnen Österreichs. Wien: WUV-Univ.-Verl. 1997
  • Gerhard Renner: Die Nachlässe in der Wiener Stadt- und Landesbibliothek. Wien 1993
  • Isabella Ackerl / Friedrich Weissensteiner: Österreichisches Personenlexikon [der Ersten und Zweiten Republik]. Wien: Ueberreuter 1992
  • Mary Steinhauser [Hg.]: Totenbuch Theresienstadt. Damit Sie nicht vergessen werden. Wien: Junius 1987, S. 36
  • Hans Helmut Christmann: Frau und "Jüdin" an der Universität. Die Romanistin Elise Richter (Wien 1865–Theresienstadt 1943). Mainz: Akademie der Wissenschaften und der Literatur 1980
  • Das Jahrbuch der Wiener Gesellschaft. Biographische Beiträge zur Wiener Zeitgeschichte. Hg. von Franz Planer. Wien: F. Planer 1929
  • Katharina Kniefacz / Herbert Posch: Elise Richter, tit. ao. Prof. Dr. In: 650 Plus – Geschichte der Universität Wien [Stand: 30.01.2018]
  • Katharina Kniefacz / Herbert Posch: Elise Richter. In: Gedenkbuch für die Opfer des Nationalsozialismus an der Universität Wien 1938 [Stand: 30.01.2018]


Elise Richter im Katalog der Wienbibliothek im Rathaus.

Weblinks