Edeltraud Baar
Edeltraud (auch: Edeltrud) Baar, * 9. Dezember 1910 Wien, † 23. Mai 1958 Wien, Kinderpsychologin
Biografie
Die Wienerin studierte Psychologie bei Karl und Charlotte Bühler an der Universität Wien und promovierte im Mai 1938 mit Auszeichnung. Während ihres Studiums arbeitete sie eng mit dem deutschen Psychologen-Ehepaar zusammen. Im November 1938 trat sie als Hauptfürsogerin in den Dienst der Stadt Wien. Sie fand Verwendung als "Erziehungsberaterin" im Jugendamt und führte in den städtischen Kinderanstalten, etwa im Zentralkinderheim Bastiengasse, Entwicklungsüberprüfungen (Tests) an auffälligen Säuglingen und Kindern hinsichtlich körperlicher, geistiger oder "charakterlicher" Entwicklungsstörungen widurch. Auf Basis ihrer über 1.000 psychologischen Gutachten in der NS-Zeit kamen zahlreiche Kinder in die Anstalt "Am Spiegelgrund", von denen etwa die Hälfte ermordet wurde. Im Sommer 1943 wurde sie wegen häufiger Krankenstände gekündigt, nahm ihre Gutachtertätigkeit im Herbst 1943 unter dem neuen Leiter der "Spiegelgrund"-Anstalt Ernst Illing wieder auf.
Im September 1949 veröffentlichte eine Wiener Zeitung unter dem Titel "Lieferantin für Todesfabriken heute städt. Kindergärtnerin" schwere Anschuldigungen gegen Baar, die durch ihre psychologischen Gutachten zum Mord an Kindern beigetragen wurde. Die Stadt Wien wies die Anschuldigungen gegen sie zurück, versprach aber eine Überprüfung der Anschuldigungen. Das gegen sie eingeleitete Disziplinarverfahren kam zu dem Schluss, dass sie keine Verantwortung für die Konsequenzen ihrer Tests trage. Im März 1950 wurde die vorläufig außer Dienst gestellte Psychologin wieder aktiviert und war bis zu ihrem Tod als Erzieherungsberaterin tätig.
Edeltr(a)ud Baar veröffentlichte mehrere Fachpublikationen vor allem zum Thema Schulreife. Als sie 1958 unerwartet starb, hob der Autor ihres Nachrufes ihr "tiefes menschliches Empfinden" hervor, das sie mit den ihr anvertrauten Kindern empfand.
Literatur
- Anschuldigungen gegen eine Kindergärtnerin. In: Rathauskorrespondenz, 23.09.1949, Bl. 1108
- Daniela Pscheiden: Handlungsräume und Täterschaft von Medizinerinnen während der NS-Herrschaft am Beispiel der 'Spiegelgrund'-Ärztin Marianne Türk. Master-Arb. Univ. Wien. Wien 2015 [Stand: 13.02.2025]
- Gerhard Benetka/Clarissa Rudolph: „Selbstverständlich ist vieles damals geschehen“. Igor A. Caruso Am Spiegelgrund. In: Werkblatt. Zeitschrift für Psychoanalyse und Gesellschaftskritik 25 (2008), S. 5-45 [Stand: 13.02.2025]
- Ernst Kothbauer: In memoriam Frau Dr. E. Baar. In: Folia Phoniatrica 10 (1958), Nr. 4, S. 256