Bertha Eckstein

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Bertha Eckstein, 1902
Daten zur Person
Personenname Eckstein, Bertha Helene
Abweichende Namensform Sir Galahad; Diner Helen; Eckstein-Diener, Bertha
Titel
Geschlecht weiblich
PageID 10911
GND 118834851
Wikidata Q827705
Geburtsdatum 18. März 1874
Geburtsort Wien
Sterbedatum 20. Februar 1948
Sterbeort Genf
Beruf Schriftstellerin
Parteizugehörigkeit
Ereignis
Nachlass/Vorlass
Objektbezug Adolf Loos (Portal)
Quelle Felix Czeike: Historisches Lexikon Wien, Gedenktage, Gedenktage-GW
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Letzte Änderung am 10.11.2023 durch WIEN1.lanm09krs
Begräbnisdatum
Friedhof
Grabstelle
Bildname Bertha Eckstein.jpg
Bildunterschrift Bertha Eckstein, 1902
  • 3., Jacquingasse 29
  • 9., Berggasse 21 (Wohnadresse)
  • 3., Marxergasse
Familiäre Beziehung
Berufliche Beziehung
Beziehung, Bekanntschaft, Freundschaft

Bertha Eckstein, * 18. März 1874 Wien, † 20. Februar 1948 Genf, Schriftstellerin.

Biografie

Bertha Helene Eckstein, geborene Diener, war die Tochter des aus Stuttgart stammenden Zink-Ornamenten- und Blechwarenfabrikanten Carl Diener (1833 bis 1909) und dessen Ehefrau Marie (1843–1909), eine gebürtige Wienerin. Sie wuchs im elterlichen "Diery-Schlößl" in der Marxergasse in einem großbürgerlichen Milieu auf. Während ihre älteren Brüder eine fundierte schulische Ausbildung erhielten und auf Studienreisen geschickt wurden, blieb der Tochter des Hauses diese Art von Freiheit verwehrt. Wie für bürgerliche Mädchen ihrer Zeit üblich wurde Bertha Diener von Gouvernanten erzogen und erhielt zu Hause Privatunterricht.

Ihren späteren Ehemann, den exzentrischen jüdischen Fabrikanten und Privatgelehrten Friedrich Eckstein, lernte sie vermutlich über den Freundeskreis ihres Bruders Karl Diener kennen. Eckstein hatte von seinem Vater eine Spezial-Pergamentpapier-Fabrik geerbt, seine eigentlichen Interessen lagen allerdings im Bereich der Kunst, Musik und Literatur. Zudem widmete er sich den Naturwissenschaften und der Theosophie. Er besaß eine in Wien weithin bekannte Bibliothek. Bertha Diener und Friedrich Eckstein heirateten im April 1898. Um seine Frau heiraten zu können, nahm Eckstein ihre Konfession an und konvertierte zum protestantischen Glauben. Im Jahr darauf wurde der gemeinsame Sohn Percy geboren. Die Familie lebte im St.-Genois-Schlössl in Baden bei Wien. Hier führte Bertha Eckstein einen Salon, in dem zahlreiche zeitgenössische Prominente, wie beispielsweise Peter Altenberg, Arthur Schnitzler, Karl Kraus oder Adolf Loos, verkehrten. Das Haus der Familie Eckstein in Baden diente Schnitzler als Inspiration für die "Villa Hofreiter" in seinem Ehedrama "Das weite Land", in dem es auch einen Charakter namens "Percy" gibt.

1900 lernte Bertha Eckstein den jüdischen Arzt Theodor Beer kennen, der sie jahrelang umwarb. Obwohl sie seinem Drängen zunächst nicht nachgab, vereinbarte das Ehepaar Eckstein um 1904 eine Trennung auf Probe. Von 1904 bis 1908 unternahm Bertha Eckstein zahlreiche Reisen, die sie unter anderem nach Ägypten, Griechenland, Kreta und England führten. Während dieser Zeit besuchte sie auch Kurse und Vorlesungen bei angesehenen Gelehrten und ging ihrer Leidenschaft für sportliche Betätigungen wie Skifahren, Eislaufen oder Reiten nach.

Zu Beginn des Jahres 1909 verstarben kurz nacheinander beide Eltern von Bertha Eckstein, was für sie mit einem nicht unbeträchtlichen Erbe verbunden war. Ungefähr zum selben Zeitpunkt flammte die Beziehung zu Theodor Beer wieder auf und im Herbst desselben Jahres kam es zur Scheidung von Friedrich Eckstein, von dem sie schon seit mehreren Jahren de facto getrennt lebte. Aus der Verbindung mit Theodor Beer, die nicht von Dauer war, stammte der Sohn Roger (* 1910). Bertha Eckstein versuchte, seine Existenz weitestgehend geheim zu halten, um das bei der Scheidung vereinbarte Besuchsrecht gegenüber ihrem ersten Sohn Percy, das an einen einwandfreien Lebenswandel gebunden war, nicht zu gefährden. Roger Diener kam in Berlin auf die Welt und wuchs in einer Pflegefamilie auf.

Nach diesen schwierigen Jahren, die von ihrer Scheidung, der Affäre mit und der Trennung von Beer sowie der Geburt ihres unehelichen Sohns gekennzeichnet waren, ließ sich Bertha Eckstein um 1910/1911 in München nieder. Um 1920 übersiedelte sie in die Schweiz, wo sie 1948 in Genf verstarb. Wenn sie in Wien war, lebte sie in der Wohnung ihres Bruders in der Berggasse 21; diese Adresse diente ihr auch als Postanschrift.

Zu ihrem Sohn Percy Eckstein pflegte Bertha Eckstein zeitlebens regelmäßigen Kontakt. Roger Diener trat erst 1936 wieder in das Leben seiner leiblichen Mutter, als er sie für den Erhalt eines "Ariernachweises" ausfindig machen musste. Bertha Eckstein verweigerte gegenüber den Behörden Angaben zu seinem Vater, bestätigte aber an Eides statt, dass er "Arier" gewesen sei. Percy Eckstein musste 1939 als "Halbjude" im Sinne der Nürnberger Gesetze emigrieren und ging nach Rom.

Schriftstellerische Tätigkeit

Bertha Eckstein publizierte unter dem Pseudonym Sir Galahad. Mit dem Namen bezog sie sich auf den gleichnamigen Ritter der Tafelrunde aus der Artussage. Nur eines ihrer Bücher wurde unter dem Pseudonym "Helen Diner" verlegt.

Ihre ersten Texte veröffentlichte sie während ihrer "Reisejahre" 1907/1908. Dabei handelte es sich unter anderem um Reiseglossen, die in der Zeitschrift "März" erschienen. Ab 1909 war sie als Übersetzerin tätig und übertrug Texte des amerikanischen Journalisten und Schriftstellers Prentice Mulford, Anhänger der "Neugeist-Bewegung", und von Ethan Allen Hitchcock, einem passionierten Alchimisten, ins Deutsche. Auf beide Autoren dürfte sie durch Friedrich Eckstein aufmerksam geworden sein.

Nachdem sich Bertha Eckstein in München niedergelassen hatte, verfasste sie als Sir Galahad ihre ersten eigenen Bücher. Ihre Schwerpunkte lagen im Bereich der Archäologie, Kultur- und Literaturgeschichte, wobei sie sich besonders für vergangene Kulturen (Byzanz, Kelten) und ferne Gesellschaften (China, Indien, Tibet) interessierte. Besondere Bekanntheit erlangten ihr expressionistischer Roman "Die Kegelschnitte Gottes" (1920), der autobiografische Elemente enthielt, sowie der "Idiotenführer durch die Russische Literatur" (1925), eine polemische Abrechnung mit Dostojewski, Tolstoi und der russischen Literatur im Allgemeinen, voller Herabsetzungen und "rassischer" Ressentiments. Ebenfalls viel Aufmerksamkeit erfuhr ihre, laut Selbstbeschreibung, erste weibliche Kulturgeschichte "Mütter und Amazonen" (1932). Bertha Eckstein stand mit anderen Autoren ihrer Zeit, wie beispielsweise Fritz von Herzmanovsky-Orlando oder Gustav Meyrink, im Austausch.

Um 1920, als Bertha Eckstein in die Schweiz übersiedelte, war der Großteil ihres Vermögens aufgrund der Inflation und ihres zeitweise aufwendigen Lebensstils verbraucht. Das Schreiben bildete fortan ihre Lebensgrundlage und neben Büchern erschienen in den frühen 1930er Jahren auch Rezensionen und Essays, die unter anderem im "Neuen Wiener Tagblatt" oder der Zeitschrift "Die Dame" abgedruckt wurden. Zudem referierte sie über ihre Bücher im Rahmen öffentlicher Vorträge.

Rezeption

Bertha Eckstein war zu ihren Lebzeiten eine viel gelesene Autorin, deren Werke sich gut verkauften. Nach ihrem Tod geriet sie allerdings weitestgehend in Vergessenheit und wurde erst von der Neuen Frauenbewegung wiederentdeckt. Grund dafür war vor allem ihr Buch "Mütter und Amazonen", das als einziges ihrer Bücher nach ihrem Tod neu aufgelegt wurde. Obwohl sich Bertha Eckstein in ihrem Schreiben mehrmals mit Themen wie Matriarchat, Ehe und Scheidung beschäftigte, setzte sie sich nie dezidiert für die Anliegen der Frauenbewegung ein, sondern galt als Vertreterin eines elitären Konservatismus.

Bertha Eckstein wurde während der Zeit des Nationalsozialismus weder rassisch noch politisch verfolgt. Sie schätzte Jörg Lanz von Liebenfels, mit dem sie persönlich bekannt war, und verwendete in ihren eigenen Werken mitunter antisemitische, in der Rassenideologie verhaftete Äußerungen. Sie war eine Zeit lang Mitglied der "Reichsschrifttumskammer", eventuell um die Auszahlung ihrer Honorare und Tantiemen nicht zu gefährden. Diese Institution finanzierte mittels Stipendium auch ihr Buch "Kulturgeschichte der Seide". Wenngleich sie das Nazi-Regime nicht aktiv unterstützte, nahm sie davon auch nicht offen Abstand; und das, obwohl ihre beiden Söhne "Halbjuden" im Sinne der Nürnberger Gesetze waren.

2008 wurde die Bertha Eckstein-Straße nach ihr benannt. Mit Beschluss des Gemeinderatsausschusses für Kultur und Wissenschaft (7. Dezember 2021) wurde die amtlich benannte Verkehrsfläche Bertha-Eckstein-Straße auf Grund der geänderten Flächenwidmung aufgelassen, da dieser Bereich im Flächenwidmungs- und Bebauungsplan nicht mehr als öffentliche Verkehrsfläche, sondern als Fläche im Bauland ausgewiesen ist. Gleichzeitig wurde die Benennung des Bertha-Eckstein-Weges beschlossen.

Werke (Auswahl)

  • Sir Galahad: Im Palast des Minos. München: Albert Langen 1913
  • Sir Galahad: Die Kegelschnitte Gottes. München: Albert Langen 1920
  • Sir Galahad: Idiotenführer durch die Russische Literatur. München: Albert Langen 1925
  • Sir Galahad: Mütter und Amazonen. Ein Umriß weiblicher Reiche. München: Langen-Müller-Verlag 1932 (Berlin: Non Stop-Bücherei 1962)
  • Helen Diner: Seide. Eine kleine Kulturgeschichte. Leipzig: Goten-Verlag 1940

Quellen

Literatur

  • Ilse Korotin [Hg.]: biografiA. Lexikon österreichischer Frauen. Band 1. Wien / Köln / Weimar: Böhlau Verlag 2016, S. 654 f.
  • Dagmar Buchta: Sir Galahad. Ein Sir auf dem Papier. In: Der Standard, 21.02.2013 [Stand: 25.01.2018]
  • Elke Krasny: Stadt und Frauen. Eine andere Topographie von Wien. Wien: Metroverlag 2008, S. 199
  • Evelyne Polt-Heinzl: Zeitlos. Neun Porträts. Von der ersten Krimiautorin Österreichs bis zur ersten Satirikerin Deutschlands. Wien: Milena Verlag 2005
  • Evelyne Polt-Heinzl: "So eine Spur im Schnee zu ziehen, vernichtet jede Spur im Kopf". Sir Galahad (1874–1948). In: Land der Träumer, hg. von René Freund. Wien: 1996, S. 71 ff.
  • Dietmar Grieser: Verborgener Ruhm. Österreichs heimliche Genies. Wien: Amalthea 2004
  • Hertha Kratzer: Die unschicklichen Töchter. Frauenporträts der Wiener Moderne. Wien: Ueberreuter 2003, S. 73–105
  • Beatrix Schiferer: Vorbilder. Kreative Frauen in Wien. 1750–1950. Wien: Verband Wiener Volksbildung 1994, S. 137 ff.
  • Sibylle Mulot-Déri: Sir Galahad. Porträt einer Verschollenen. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag 1987
  • Die Vertreibung des Geistigen aus Österreich. Zur Kulturpolitik des Nationalsozialismus. [Zusammenstellung der Ausstellung: Hochschule für Angewandte Kunst in Wien. Katalog: Gabriele Koller ... Für den Inhalt verantwortlich: Oswald Oberhuber]. Wien: Zentralsparkasse 1982, S. 84
  • Hans Giebisch / Gustav Gugitz: Bio-Bibliographisches Literaturlexikon Österreichs von den Anfängen bis zur Gegenwart. Wien: Hollinek 1963
  • Vortragsankündigung: Die Herrinnen von Byzanz. In: Neue Freie Presse, 24.04.1936, S. 5
  • Andreas Brunner: Gruppenbild mit Kindern. In: Adolf Loos. Schriften, Briefe, Dokumente aus der Wienbibliothek im Rathaus. Hg. von Markus Kristan, Sylvia Mattl-Wurm und Gerhard Murauer. Wien: Metroverlag 2018, S. 283 ff.

Weblinks