Bärenhöhle

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Daten zur Organisation
Art der Organisation Sonstige Organisation
Datum von 1922
Datum bis
Benannt nach
Prominente Personen Othenio Abel, Richard Meister, Oswald Menghin, Heinrich von Srbik
PageID 42579
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Letzte Änderung am 2.07.2021 durch WIEN1.lanm08pil

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An der Philosophischen Fakultät der Universität Wien agierendes Netzwerk antisemitischer Professoren, deren Interventionen und Absprachen es ab Anfang der 1920er Jahre so gut wie unmöglich machten, dass jüdische oder linke WissenschafterInnen an der Universität Wien habilitiert oder berufen wurden. Benannt wurde das Netzwerk, das nach dem damaligen paläontologischen Seminarraum (zwischen Stiege IX und VII im Hauptgebäude der Universität), wo unter anderem die Sammlung von Höhlenbären-Knochen aus der Drachenhöhle bei Mixnitz/Steiermark untergebracht war. Dort wurden vom antisemitischen Paläontologen Othenio Abel Treffen organisiert, denen bald etliche prominente Geisteswissenschafter angehörten, die sich auch gegenseitig protegierten und zum Teil auch nach 1938 und nach 1945 einflussreich blieben.

Mitglieder

Entstehung 1918

Unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg gab es wiederholt Forderungen nach einem Numerus clausus für jüdische Studierende und Lehrende, deren Anteil auf jeweils zehn Prozent beschränkt werden sollte. Da dies dem in der Verfassung verankerten Gleichheitsgrundsatz widersprach, mussten die Antisemiten ihre Ziele anders durchsetzen. Bei den Lehrenden geschah dies durch entsprechende Netzwerke wie dem Spann-Kreis (an der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät) oder der geheim operierenden "Bärenhöhle" (an der Philosophischen Fakultät). Die Interventionen und Absprachen dieser Cliquen machten es ab Anfang der 1920er-Jahre so gut wie unmöglich, dass jüdische oder linke WissenschafterInnen an der Universität Wien habilitiert oder berufen wurden. Initiiert vom antisemitischen Paläontologen Othenio Abel gehörten der Bärenhöhle (oder kurz B-H.) etwa 18 prominente Geisteswissenschafter an, die sich auch gegenseitig protegierten und zum Teil auch nach 1938 und nach 1945 einflussreich blieben.

Zu den Teilnehmern der Bärenhöhle zählten vor allem einflussreiche Geisteswissenschafter wie Richard Meister, Oswald Menghin oder Heinrich von Srbik, die auch – so wie Abel selbst – zeitweise Dekane und Rektoren waren; Srbik und Menghin fungierten sogar kurz als Unterrichtsminister. Diese Professoren ließen sich unter anderem in Habilitations- und Berufungskommissionen nominieren und mischten sich so und durch die Beeinflussung anderer Professorenkollegen in etliche Personalentscheidungen erfolgreich ein.

Einfluss

Abel und seine Geheimclique dürften bereits 1922 eine wichtige Rolle dabei gespielt haben, dass der deutschnationale und antisemitische Geologe Karl Diener zum Rektor gewählt wurde. Diener war verantwortlich für die Errichtung des "Siegfriedskopfs" und wurde unter anderem mit der Forderung bekannt, dass "der Abbau der Ostjuden heute im Programm jedes Rektors einer deutschen Hochschule einen hervorragenden Platz einnehmen [muss]".

Auch den insgesamt 18 Teilnehmern der "Bärenhöhle" ging es darum, jüdische und/oder linke ForscherInnen daran zu hindern, Karriere zu machen. Das gelang etwa bei den aufstrebenden Physikern Karl Horovitz oder Otto Halpern, die trotz bester fachlicher Qualifikationen nicht habilitiert wurden und bereits vor 1927 Österreich verließen. In der Biologie scheiterten auf Betreiben Abels unter anderem die jüdische Zoologin Leonore Brecher und ihr Kollege Paul Weiss 1926 mit ihren Habilitationsgesuchen. Auch sie emigrierten.

Mindestens so aussichtslos wie in der Physik und der Biologie war die Lage für jüdische ForscherInnen in den Geisteswissenschaften, wie etwa das Beispiel des Philosophen Edgar Zilsel zeigt, der bereits 1924 seine Bemühungen um die Venia legendi in Philosophie einstellte, nachdem zwei Teilnehmer der Bärenhöhle seine eingereichten Arbeiten negativ beurteilt hatten. Wegen der Aussichtslosigkeit ihrer Lage versuchten viele Nachwuchsforscher (wie etwa der Philosoph Karl Raimund Popper oder die Physikerin Marietta Blau) ab Ende der 1920er-Jahre erst gar nicht mehr, einen Antrag auf Erteilung der Lehrbefugnis zu stellen.

Damit sorgte Abel mit seinen Kollegen dafür, dass zumindest eine halbe Generation jüdischer und linker WissenschafterInnen an der Philosophische Fakultät lange vor 1938 kaum Chancen auf wissenschaftliche Karrieren an der Universität hatte. Umgekehrt wurden einige der Professoren, die ihre Berufung dem "Bärenhöhle"-Netzwerk verdankten, in diese Clique aufgenommen wie etwa Wilhelm Czermak (Ordinariat 1925) oder Robert Lach (Ordinariat 1927) und auch noch weiter protegiert.

So wurden bis 1939 bis auf den früh verstorbenen Historiker Gustav Turba sämtliche Teilnehmer der Bärenhöhle korrespondierende oder wirkliche Mitglieder der Akademie der Wissenschaften, 16 von 17 in der philosophischen-historischen Klasse. Zum Vergleich: Ab 1919 wurde dagegen kein einziger in Österreich tätiger Geistes- oder Sozialwissenschafter in diese Klasse zugewählt, der jüdischer Herkunft gewesen wäre.

1934 verloren einige der exponierten Nationalsozialisten dieser Kamarilla – wie Othenio Abel, Hans Uebersberger oder Viktor Christian – aus politischen Gründen ihre Professur. So manche der übrig Gebliebenen machten hingegen nach dem "Anschluss" Karriere wie Heinrich von Srbik (als Präsident der Akademie der Wissenschaften 1938 bis 1945), Oswald Menghin (als Kurzzeit-Unterrichtsminister 1938) oder Viktor Christian (als Dekan und Prorektor).

Nachwirkungen nach 1945

Nach 1945 schlug dann für andere ehemalige Teilnehmer dieses Kartells die große Stunde: Insbesondere Richard Meister trug unmittelbar nach Kriegsende als Prorektor, Rektor (1948/1949), Vizepräsident und ab 1951 als Präsident der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) zu einer glimpflichen Entnazifizierung bei. Wenn seine ehemaligen Netzwerkkollegen zum Teil auch ihre Professur verloren, so wurden doch zumindest alle wieder in die ÖAW aufgenommen, die in den 1950er-Jahren unter Meisters Präsidentschaft zu einem Sammelbecken der akademischen "Ehemaligen“ avancierte.

Meister & Co. hatten naturgemäß wenig Interesse daran, dass nach 1945 jene emigrierten WissenschafterInnen nach Österreich zurückgeholt wurden, die sie zum Teil selbst weggeekelt hatten. Dass diese Remigration scheiterte, lag wohl auch an Verbindungen, die bis in die 1930er-Jahre zurückreichten. So etwa war der von 1954 bis 1964 amtierende Unterrichtsminister Heinrich Drimmel (ÖVP), der etliche ehemalige Nationalsozialisten wie Taras Borodajkewycz, Otto Höfler, Heinz Kindermann und Richard Wolfram berief, ein erklärter Schüler Richard Meisters und ließ sich von diesem in allen wichtigen (hoch-)schulpolitischen Fragen beraten.

Literatur