Eugen Steinach

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Eugen Steinach
Daten zur Person
Personenname Steinach, Eugen
Abweichende Namensform
Titel Dr. med., Univ.-Prof.
Geschlecht männlich
PageID 38313
GND 117657662
Wikidata Q85850
Geburtsdatum 27. Jänner 1861
Geburtsort Hohenems 4095508-4
Sterbedatum 14. Mai 1944
Sterbeort Territet bei Montreux (Schweiz)
Beruf Physiologe
Parteizugehörigkeit
Ereignis
Nachlass/Vorlass
Objektbezug
Quelle Gedenktage
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Recherche
Letzte Änderung am 30.11.2023 durch DYN.susannekrejsa
Begräbnisdatum
Friedhof
Grabstelle
Bildname EugenSteinach.jpg
Bildunterschrift Eugen Steinach
  • 2., Böcklinstraße 94 (Wohnadresse)
  • 2., Böcklinstraße 53 (Wirkungsadresse)
Familiäre Beziehung
Berufliche Beziehung

Beziehung, Bekanntschaft, Freundschaft

Eugen Steinach, * 27. Jänner 1861 Hohenems, † 14. Mai 1944 Territet bei Montreux (Schweiz), Physiologe.

Biografie

Herkunft und Werdegang

Eugen Steinach stammte aus einer alteingesessenen jüdischen Arztfamilie. Sein Großvater war der 1796 in Hohenems zur Welt gekommene Wilhelm Steinach, der als eines der ersten Gemeindemitglieder studieren konnte und 1832 zum Gemeindearzt bestellt wurde. Dessen Sohn Simon (* 1834) folgte seinem Vater ab 1867 als Gemeindearzt. Sein wissenschaftliches Interesse galt der antiseptischen Wundbehandlung. 1869 und 1870 fungiert er als Bürgermeister der Israelitengemeinde. Eugen Steinachs jüngerer Bruder Josef (* 1864) wurde Fabriksdirektor der Rosenthal-Spinnerei in Rankweil.

Nach der Matura in Feldkirch begann Eugen Steinach ein Studium der Chemie und Zoologie in Genf und wechselte 1880 für sein Medizinstudium nach Wien und Innsbruck. Nach seiner Promotion (1886 in Innsbruck) setzte er seine Universitätslaufbahn in Prag fort, habilitierte sich 1890 und erhielt eine ordentliche Professur. 1912 übersiedelte er nach Wien. Hier leitete er an der Akademie der Wissenschaften die physiologische Abteilung der biologischen Versuchsanstalt. 1915 heiratete er die aus Schlesien stammende Antonie Thumim. Sie wohnten im 2. Wiener Gemeindebezirk, Böcklinstraße 94; er hatte seit 1919 seine Praxis an der Adresse Böcklinstraße 53. Für die Benennung der Steinachgasse in Wien-Eßling im Jahr 1955 liegt kein konkreter räumlicher Bezug vor.

Wirken

In breiten Kreisen wurde Steinach durch seine "Reaktivierungsmethoden" bekannt, durch die er bei älteren Männern die körpereigene Produktion des Geschlechtshormons Testosteron anregen wollte, um einen Verjüngungseffekt zu erzielen. Nach anfänglichen Versuchen mit Hodenverpflanzungen entschied er sich für die Durchtrennung der Samenleiter; bei diesem "Steinachschen Verfahren" handelte es sich also um eine Vasektomie, die Sterilisation des Mannes. In zeitgenössischen Medizinbüchern konnte man lesen: "Vor kurzem ging durch alle Zeitungen eine Kunde, die aus dem stillen Laboratorium eines berühmten Mediziners hervordrang, und die ganze Kulturwelt dazu brachte, mit gespannter Erwartung aufzuhorchen. Diese Kunde bestand in nichts geringerem als der Mitteilung, es sei dem Professor der Biologie an der Wiener Universität, Eugen Steinach, gelungen, greisen Menschen durch eine ungefährliche Operation ihre längst entschwundene Jugendkraft wiederzugeben. Kein Wunder, daß eine solche Nachricht in aller Welt eine tiefgehende Erregung hervorrief. Denn ein sicheres Mittel zur Verjüngung des altersschwach gewordenen Körpers gehört zu den Sehnsuchtsträumen und zu den heißesten Wünschen der Menschheit."

Rezeption

Anlässlich des "Steinach-Hypes" veröffentlichte die New York Times ein Interview mit Frida Strindberg, der zweiten Frau des Dramatikers: "Er ist ein Mann um die Fünfzig, groß, meisterhaft und ausgestattet mit einer seltenen Eigenschaft: mit Persönlichkeit. Eine Kombination von intellektuellen und menschlichen Qualitäten. Ein Idealist mit einem wissenschaftlichen Geist. Wer ihn kennt, weiss sofort, dass er jener Mensch ist, der dir das Leben zurückgeben kann, und der auch jeden Preis dafür bezahlen würde. Man ist außerdem überzeugt, dass er zu sorgfältig arbeitet, um falsch zu liegen, und zu wahrheitsliebend ist, um jemals sich selbst oder andere zu betrügen."

Steinachs Schüler, der deutschamerikanische Endokrinologe und Sexualreformer Harry Benjamin (1885–1986), schilderte ihn folgendermassen: "Steinach war ein kleiner Mann mit einem eindrucksvollen Kopf und einem eindrucksvollen rötlichgrauen Bart. Er war ein brillanter Wissenschaftler, aber gelegentlich erwies er sich als eine widerliche Person. Er konnte arrogant sein, überempfindlich, ein wenig paranoid. Zu Zeiten aber war er ein wunderbarer Freund, Gastgeber und Lehrer, immer voller geistreicher Ideen zur sexualwissenschaftlichen Forschung."

1922 erschien ein Lehrfilm für Fachpublikum über Steinachs Forschungen, kurz danach veröffentlichte ebenfalls die UFA eine unterhaltsame Fassung für die breite Öffentlichkeit. Aufgrund der Inflation fiel Steinachs Einkommen aus der Zusammenarbeit allerdings sehr gering aus.

Die Liste der enthusiastischen PatientInnen, die sich "steinachen" liessen, ist lang und umfasst unter anderem den irischen Literaturnobelpreisträger W. B. Yeats, den reichen, in britischen Finanzkreisen bekannten Alfred Wilson und die US-Autorin Gertrude Atherton, Gründungsmitglied der Writer’s League of America. Auch der an Krebs erkrankte Sigmund Freud hatte sich im November 1923 dieser Operation unterzogen (sie habe allerdings nichts bewirkt, klagte er im August 1924). Auch Arthur Schnitzler zeigte sich an den Steinach’schen Forschungen interessiert. Karl Kraus erwähnte ihn mehrfach in der "Fackel". Steinachs Forschungen fanden auch ausführliche Erwähnung in der Literatur, etwa bei Alfred Döblin in "Berlin, Alexanderplatz" sowie im Roman "Black Oxen" der erwähnten Gertrude Atherton, der in der Regie von Frank Lloyd verfilmt wurde.

Auch in die Musik hielt Steinachs Forschung Einzug: Der Refrain "Jung, jung kann ich wieder werden, Jung, jung kann ich wieder sein!" aus dem Foxtrott "Steinach-Rummel" von Willy Kaufmann-Ernst aus dem Jahre 1920. Und weiter: "Das ganze Blut in meinen Adern tanzt / und eine innre Stimme ruft: 'Du kannst'! / Du kannst wie andre fröhlich sein / Kannst wieder Schampus trinken / Und laufen kannst du hinterdrein / Wenn die die süßen Mädels winken!"

Wir wissen heute, dass das "Steinachen" bei Männern erfolglos war, bei Frauen waren die Folgen hingegen katastrophal: Im Gegensatz zur (chirurgischen) Sterilisation der Männer handelte es sich um eine Kastration durch Röntgenstrahlen: Dadurch werden die Eierstöcke in ihrer Funktion gestört, was zu einem plötzlichen Abfall der Hormonproduktion führt.

Obwohl sich die Verjüngungstheorien von Steinach und anderen Wissenschaftern seiner Zeit als Fehlschlag erwiesen, waren seine Arbeiten für die Hormonforschung wichtig. Ab 1923 arbeitete er mit der deutschen Pharmafirma Schering zusammen, die im Bereich der Hormonpräparate zu den führenden Konzernen zählte. 1928 kam der Ovarienextrakt Progynon in Form von Dragées auf den Markt – das in den Laboratorien von Schering entwickelte Präparat wurde bis vor wenigen Jahren hergestellt und war gegen Wechseljahrbeschwerden sowie bei Geschlechtskorrekturen in Verwendung. Gemeinsam mit anderen Forschern gelang Steinach bis 1935 die chemische Strukturanalyse der Sexualhormone als Basis zur Synthese, wodurch 1938 das erste synthetische Hormonpräparat hergestellt werden konnte. Durch seine Forschungen lieferte er wesentliche Grundlagen für die spätere Entwicklung der Antibabypille.

Er verfasste mehr als 60 wissenschaftliche Aufsätze und Bücher; 1909 und 1918 erhielt er den Ignaz-Lieben-Preis, zwischen 1921 und 1938 wurde er elfmal für den Nobelpreis vorgeschlagen – allerdings erfolglos.

Als die Nazis im März 1938 in Österreich einmarschierten, befand sich Eugen Steinach mit seiner Frau auf einer Vortragsreise in Italien. Sie kehrten nicht mehr nach Österreich zurück, sondern versuchten aus der Schweiz in die USA zu emigrieren. Im Sommer 1938 nahm sich seine Frau Antonie das Leben. Er selbst starb 1944 in in Territet bei Montreux.

Literatur


Eugen Steinach im Katalog der Wienbibliothek im Rathaus.