Hans Kelsen

Aus Wien Geschichte Wiki
Wechseln zu:Navigation, Suche
Hans Kelsen, 1958
Daten zur Person
Personenname Kelsen, Hans
Abweichende Namensform
Titel Dr. iur., Dr.rer.pol. h.c., Univ.-Prof.
Geschlecht männlich
PageID 3453
GND 118561219
Wikidata Q84165
Geburtsdatum 11. Oktober 1881
Geburtsort Prag 1120740916
Sterbedatum 19. April 1973
Sterbeort Orinda bei Berkeley, USA
Beruf Rechtswissenschaftler, Hochschullehrer
Parteizugehörigkeit
Ereignis
Nachlass/Vorlass Hans Kelsen-Institut
Objektbezug Wien wird Bundesland
Quelle Felix Czeike: Historisches Lexikon Wien, Gedenktage, Gedenktage-GW
Export RDF-Export (Resource Description Framework) RDF
Recherche
Letzte Änderung am 1.02.2024 durch WIEN1.lanm09fri
Begräbnisdatum
Friedhof
Grabstelle
Bildname Hans Kelsen.jpg
Bildunterschrift Hans Kelsen, 1958
  • 17., Winklergasse 6 (Wohnadresse)
  • 8., Wickenburggasse 23/25 (Wohnadresse)
  • 3., Marokkanergasse 20 (Wohnadresse)
  • 4., Belvederegasse 3 (Wohnadresse)
Familiäre Beziehung
Berufliche Beziehung
Beziehung, Bekanntschaft, Freundschaft

  • Dekan der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien (1920, bis: 1921)
  • Mitglied des Verfassungsgerichtshofes (3. Mai 1919, bis: 15. Februar 1930)
  • Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Staatskanzlei (1918, bis: 1921)
  • Ordinarius für Staats- und Verwaltungsrecht an der Universität Wien (19. Juli 1919, bis: 1930)
  • Ordinarius an der Universität Köln (1930, bis: 1933)
  • Lehrtätigkeit am Institut universitaire des hautes études Internationales, Genf (1933, bis: 1935)
  • Lehrtätigkeit am Institut universitaire des hautes études Internationales, Genf (1938, bis: 1938)
  • Lehrtätigkeit an der Deutschen Universität Prag (1936, bis: 1938)
  • Lecturer an der Harvard Law School (1940, bis: 1942)
  • Lecturer am Political Science Department der University of California, Berkeley (1943, bis: 1945)
  • Professor am Political Science Department der University of California, Berkeley (1945, bis: 1952)
  • Dozent für Verfassungs- und Verwaltungslehre an der Exportakademie (1911, bis: 1918)

  • Dr. rer. pol. h. c., Universität Wien (Übernahme: 1961)
  • Dr.-Karl-Renner-Preis (Verleihung: 1953)
  • Ehrenring der Stadt Wien (Verleihung: 16. September 1966)
  • Ehrenzeichen für Wissenschaft und Kunst (Verleihung: 1962)
  • Großes Goldenes Ehrenzeichen mit dem Stern für Verdienste um die Republik Österreich (Verleihung: 1971)
  • Großes Silbernes Ehrenzeichen mit dem Stern für Verdienste um die Republik Österreich (Verleihung: 1967)

Würdigung Kelsens in der "Arbeiter-Zeitung", 08.10.1961

Hans Kelsen, * 11. Oktober 1881 Prag, † 19. April 1973 Orinda bei Berkeley, USA, Rechtswissenschaftler, Rechtstheoretiker, Hochschullehrer.

Biografie

Hans Kelsen kam in Prag als das erste von vier Kindern des deutschsprachigen jüdischen Ehepaares Adolf und Auguste Kelsen auf die Welt. Sein Vater, der Kaufmann Abraham Littmann Kelsen, der den Namen Adolf Kelsen annahm, stammte aus Brody in Galizien, seine Mutter, eine geborene Löwy, aus Neuhaus in Böhmen. Beide waren bereits Mitte der 1860er Jahre nach Wien gekommen und heirateten im August 1880 im Leopoldstädter Gemeindetempel. Kurz nach der Hochzeit zog das Paar nach Prag, wo Adolf Kelsen ein Geschäft mit Installateurbedarf führte. 1884 kehrte die Familie mit mittlerweile zwei kleinen Kindern nach Wien zurück, hier gründete der Vater mit einem Geschäftspartner eine "Bronzewaren und Lusterfabrik". Später machte sich Adolf Kelsen selbstständig und erzeugte unter anderem für den "Josefstädter Tempel" die Beleuchtungskörper.

Kelsens Familie assimilierte sich nach ihrer Ankunft in Wien so rasch als möglich, unter anderem durch den Erwerb des Wiener Heimatrechts 1901. Der Vater sowie auch dessen Bruder Samuel Kelsen waren Mitglieder der Freimaurerloge "Humanitas". Für Hans Kelsen selbst ist eine Logenzugehörigkeit nicht belegt und auch eher unwahrscheinlich; ebenso unwahrscheinlich ist es, dass er religiös erzogen wurde. 1905 ließ er sich in der Dominikanerkirche katholisch taufen, 1912 wechselte er zur evangelischen Kirche A. B. Beide Konfessionswechsel erfolgten nicht aus religiösen, sondern höchstwahrscheinlich aus pragmatischen Gründen, über die sich Kelsen selbst allerdings nie geäußert hat.

Hans Kelsen besuchte zunächst die Evangelische Volksschule am Karlsplatz, musste dann allerdings aus Kostengründen in eine öffentliche Volksschule (in der heutigen Argentinierstraße) wechseln. Anschließend absolvierte er das angesehene akademische Gymnasium, an dem er 1900 maturierte. Es folgten der verpflichtende Militärdienst und das Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Wien. Nach der Promotion am 18. Mai 1906 absolvierte er die Gerichtspraxis am Bezirksgericht Leopoldstadt II und dem Landesgericht für Strafsachen Wien. Zu diesem Zeitpunkt strebte Kelsen bereits eine Habilitation an. Studienaufenthalte führten ihn nach Heidelberg (1907/1908 und 1908/1909) und Berlin (1910/1911), wo er Seminare bei führenden Lehrern auf dem Gebiet des Staatsrechts besuchte. Dazwischen war er immer wieder auch für kurze Zeit in juristischen Berufen tätig. So erhielt er im Juli 1908 eine Anstellung im Handelsmuseum in Wien. 1911 habilitierte er sich für Staatsrecht und Rechtsphilosophie an der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien. Im selben Jahr wurde er Dozent für Verfassungs- und Verwaltungslehre an der Exportakademie. Ein Jahr darauf ging er die Ehe mit Margarete Bondi ein. Das Paar hatte zwei gemeinsame Töchter, Anna (1914–2001) und Maria (1915–1994).

Mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914 rückte Hans Kelsen als Reserveoffizier ein und war zunächst im Kriegsfürsorgeamt, ab 1915 im Kriegsministerium tätig. 1917 avancierte er zum persönlichen Berater des k. u. k. Kriegsministers Rudolf Stöger-Steiner und war so auch unmittelbar in die Ereignisse, die zum Zusammenbruch der Monarchie und zur Gründung der Republik führten, involviert.

Noch kurz vor dem Ende der Monarchie wurde Kelsen am 8. Juli 1918 außerordentlicher Professor an der Universität Wien. Ein Jahr später, am 19. Juli 1919, wurde er zum ordentlichen Professor ernannt. 1920/1921 stand er der Wiener rechtswissenschaftlichen Fakultät als Dekan vor. Zudem fungierte er als juristischer Berater für die Staatskanzlei beziehungsweise ab 1920 für das Bundeskanzleramt. Als solcher wurde er im Mai 1919 von Staatskanzler Karl Renner beauftragt, den Entwurf einer "Bundesstaatsverfassung" auszuarbeiten. Diesem Auftrag folgend, verfasste er bis September sechs Verfassungsentwürfe, die zur Grundlage der weiteren Beratungen zwischen Staatsregierung und Ländervertretern sowie in der Konstituierenden Nationalversammlung wurden. Kelsen, der sowohl das Vertrauen der Sozialdemokraten als auch der Christlichsozialen genoss, wurde bei vielen dieser Beratungen als parteiunabhängiger Experte hinzugezogen und begleitete so den Prozess der Verfassungswerdung von seinen Anfängen bis zur formellen Beschlussfassung in der Konstituierenden Nationalversammlung am 1. Oktober 1920. Es ist zwar übertrieben, ihn als den (alleinigen) "Vater" des Bundes-Verfassungsgesetzes (B-VG) zu bezeichnen, zumal die politischen Leitlinien nicht von ihm, sondern von den Politikern festgelegt wurden. Doch prägte er Aufbau und Struktur der Verfassung so maßgeblich, dass er als ihr "Architekt" angesehen werden kann. Der Einfluss Kelsens auf den Inhalt der Bundesverfassung ist allerdings auch nicht zu unterschätzen. So ging auf seinen Vorschlag insbesondere jene Regelung in das B-VG ein, mit der Wien und Niederösterreich-Land nicht vollständig voneinander getrennt wurden, sondern vorerst nur weitgehende Autonomie innerhalb des Landes Niederösterreich erhielten. (Die vollständige Trennung erfolgte erst mit den Trennungsgesetzen zum 1. Jänner 1922). Besonders verdient machte sich Kelsen auch um die Schaffung einer umfassenden Verfassungsgerichtsbarkeit, die dann auch international Beachtung fand.

Kelsen war ab 3. Mai 1919 Mitglied des Verfassungsgerichtshofs. In dieser Funktion war er mit einigen "Zankäpfeln" zwischen dem Roten Wien und der christlichsozial dominierten Bundesregierung befasst, beispielsweise beim Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs über die sogenannten "[Eheschließungen|Dispensehen]]". Vor allem aus diesem Grund wurde Kelsen, so wie die meisten anderen Richter, im Zuge der Verfassungsnovelle 1929 mit Wirkung vom 15. Februar 1930 von seiner Position als Verfassungsrichter entfernt. Da in der Zwischenzeit auch die (vor allem antisemitisch motivierten) Anfeindungen an der rechtswissenschaftlichen Fakultät ein unerträgliches Ausmaß angenommen hatten, verließ Kelsen im Herbst 1930 Wien und nahm eine Professur in Köln an.

1933 von den Nationalsozialisten aufgrund seiner jüdischen Abstammung in den vorzeitigen Ruhestand versetzt, lehrte er 1933 bis 1936 und 1938 bis 1940 am Institut universitaire de hautes études internationales in Genf. Dazwischen, 1936 bis 1938, unterrichtete er an der Deutschen Universität zu Prag, wo seine Lehrveranstaltungen aufgrund von Drohungen und Störaktionen durch Nationalsozialisten kaum geordnet abgehalten werden konnten. Im Alter von fast 60 Jahren emigrierte er 1940 mit seiner Ehefrau in die USA. Die beiden erwachsenen Töchter hatten bereits zuvor Genf verlassen und waren ins Exil gegangen. Hans Kelsen lehrte 1940 bis 1942 an der Harvard University und ab 1942 an der University of California in Berkeley, zunächst jedoch auf Basis von jeweils auf ein Jahr befristeten Verträgen. Daneben war er 1944 bis 1945 beratend in Washington tätig, unter anderem bei der Vorbereitung der Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse. Erst 1945 gelang es Kelsen, zum Professor in Berkeley ernannt zu werden, wo er bis zu seiner Pensionierung 1952 weiter unterrichtete. 1952/1953 lehrte Kelsen erneut in Genf, 1953 bis1954 am Naval War College in Rhode Island. Von den materiellen Sorgen, die ihn seit 1933 quälten, wurde er erst 1960 mit der Zuerkennung des hochdotierten Feltrinelli-Preises durch die italienische Nationalakademie (Accademia dei Lincei) entbunden.

Vor allem nach 1945 wurde Kelsen weltweit mit zahlreichen Ehrungen ausgezeichnet. Die Universität Wien ernannte ihn 1947 zum Honorarprofessor und promovierte ihn 1961 zum Doktor der Staatswissenschaften (Dr. rer. pol.). 1947 wählte ihn die Österreichische Akademie der Wissenschaften zu ihrem auswärtigen Mitglied. Die Stadt Wien verlieh Kelsen 1966 den Ehrenring der Stadt Wien.

Hans Kelsen zählt zu den wichtigsten Rechtswissenschaftlern des 20. Jahrhunderts. In Österreich ist sein Name untrennbar mit dem österreichischen Bundes-Verfassungsgesetz verbunden, seine weltweite Bekanntheit verdankt er jedoch vor allem seinen rechtstheoretischen Arbeiten: Mit der von ihm entwickelten "Reinen Rechtslehre" prägte er die Rechtstheorie des 20. Jahrhunderts wie nur wenig andere und wurde auch zum Begründer der sogenannten Wiener rechtstheoretischen Schule, in deren Tradition etwa Adolf Merkl, Alfred Verdroß, in weiterer Folge Robert Walter, Clemens Jabloner und andere stehen. Auch auf den Gebieten des Staatsrechts, der allgemeinen Staatslehre, des Völkerrechts, der Soziologie und der Politikwissenschaften erbrachte er international anerkannte Leistungen. Seine Bücher wurden in insgesamt mehr als 30 Sprachen übersetzt.

Aus Anlass seines 90. Geburtstages richtete die Republik Österreich 1971 mit dem Hans Kelsen-Institut eine Stiftung zur Pflege seines wissenschaftlichen Werkes ein. Das Institut verwaltet nicht nur seinen Nachlass, sondern publiziert in einer eigenen Schriftenreihe regelmäßig Texte von und über Hans Kelsen und sein Wirken.

Werke

  • Hans Kelsen: Werke. Hg. von Matthias Jestaedt. Tübingen: Mohr Siebeck 2007 ff.

Literatur

  • Thomas Olechowski: Hans Kelsen. Biographie eines Rechtswissenschaftlers. Tübingen: Mohr Siebeck 2020
  • Pia Plankensteiner: Gezeichnet, Hans Kelsen. Graphic Novel. Wien: Manz 2020
  • Clemens Jabloner / Thomas Olechowski / Klaus Zeleny [Hg.]: Hans Kelsen in seiner Zeit. Wien: Manz 2019
  • Thomas Olechowski / Tamara Ehs / Kamila Staudigl-Ciechowicz: Die Wiener Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät 1918–1938. Göttingen: Vienna University Press 2014
  • Thomas Olechowski: Biographische Untersuchungen zu Hans Kelsen. In: Rechtsgeschichtliche Vorträge 64 (2011), S. 3–19
  • Axel-Johannes Korb: Kelsens Kritiker. Ein Beitrag zur Geschichte der Rechts- und Staatstheorie. Tübingen: Mohr Siebeck 2010
  • Clemens Jabloner: Kelsen and his Circle: The Viennese Years. In: European Journal of International Law 9 (1998), S. 368-385
  • Kurt Stimmer [Hg.]: Die Arbeiter von Wien. Ein sozialdemokratischer Stadtführer. Wien [u. a.]: Jugend & Volk 1988, S. 176 f.
  • Wilhelm Deutschmann: 200 Jahre Rechtsleben in Wien. Advokaten, Richter, Rechtsgelehrte. 21. November 1985 bis 9. Februar 1986. Wien: Eigenverlag der Museen der Stadt Wien 1985 (Sonderausstellung des Historischen Museums der Stadt Wien, 96), S. 23
  • Robert Walter: Hans Kelsen – Ein Leben im Dienste der Wissenschaft. Wien: Manz 1985
  • Neue österreichische Biographie. 1815–1918. Band 20. Wien: Amalthea-Verlag 1979, S. 29–39
  • Schriftenreihe des Hans Kelsen-Instituts. Wien: Manz 1974 ff.
  • Österreichische Akademie der Wissenschaften: Almanach. Band 123. Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 1973, S. 410 ff.
  • Rudolf Aladár Metáll: Hans Kelsen. Leben und Werk. Wien: Deuticke 1969

Weblinks