Marie Jahoda

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Maria Jahoda 1937
Daten zur Person
Personenname Jahoda, Marie
Abweichende Namensform Jahoda-Lazarsfeld, Marie; Lazarsfeld-Jahoda, Marie; M. Mautner; Albu-Jahoda, Marie; Jahoda, Mitzi
Titel Dr. phil., Univ.-Prof., Dr. h. c.
Geschlecht weiblich
PageID 30725
GND 118866451
Wikidata Q88878
Geburtsdatum 26. Jänner 1907
Geburtsort Wien
Sterbedatum 28. April 2001
Sterbeort Keymer, Sussex (Großbritannien)
Beruf Sozialpsychologin
Parteizugehörigkeit Sozialdemokratische Arbeiterpartei, Revolutionäre Sozialisten
Ereignis
Nachlass/Vorlass Archiv für die Geschichte der Soziologie in Österreich
Objektbezug Zwischenkriegszeit, NS-Zeit
Quelle Felix Czeike: Historisches Lexikon Wien, Gedenktage
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Recherche
Letzte Änderung am 3.11.2023 durch WIEN1.lanm09fri
Begräbnisdatum
Friedhof
Grabstelle
Bildname Marie Jahoda.jpg
Bildunterschrift Maria Jahoda 1937
  • 2., Wittelsbachstraße 4 (Geburtsadresse)
  • 3., Seidlgasse 22 (Wohnadresse)
  • 2., Wittelsbachstraße 4 (Wohnadresse)
  • 19., Heiligenstädter Straße 82-92 (Wohnadresse)
  • 19., Döblinger Hauptstraße 60 (Wohnadresse)
Familiäre Beziehung
Berufliche Beziehung
Beziehung, Bekanntschaft, Freundschaft

  • Preis der Stadt Wien für Geisteswissenschaft (Verleihung: 1993)
  • Großes Silbernes Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich (Verleihung: 1993)
  • Bruno-Kreisky-Preis (Verleihung: 1997)
  • Ehrendoktorwürde der Universität Wien (Verleihung: 1998)

Marie Jahoda, * 26. Jänner 1907 Wien, † 28. April 2001 Keymer, West Sussex (Großbritannien), Sozialpsychologin.

Biografie

Kindheit und Jugend

Marie Jahoda kam als drittes von vier Kindern des assimilierten jüdischen Kaufmanns Carl Jahoda (1867–1926) und dessen Ehefrau Betty, geborene Probst (1881–1967), in Wien zur Welt. Sie wuchs in einem liberalen, offenen Elternhaus auf, das den Kindern – Söhnen und Töchtern gleichermaßen – Bildung und Karriere ermöglichte. Persönlichkeiten wie Karl Kraus oder der Sozialethiker Josef Popper-Lynkeus waren in der Familie hoch geachtet, soziale und politische Fragen wurden diskutiert.

Marie Jahoda besuchte das Mädchen-Realgymnasium des Vereins für realgymnasialen Mädchenunterricht in der Albertgasse (Matura 1926) und bildete sich anschließend am Pädagogischen Institut der Stadt Wien zur Volksschullehrerin aus (Diplom 1928). Parallel dazu studierte sie ab 1926 Psychologie an der Universität Wien und besuchte die Lehrveranstaltungen von Karl und Charlotte Bühler. 1932 wurde sie mit ihrer Dissertation über die "Anamnesen im Versorgungshaus" zum Doktor der Philosophie promoviert.

Neben dem Studium war Marie Jahoda 1929/30 einige Monate lang als Mitarbeiterin des Sozialpsychologen Gustav Ichheiser im Berufsberatungsamt der Stadt Wien angestellt. Ab 1931 arbeitete sie an der Österreichischen Wirtschaftspsychologischen Forschungsstelle, deren Leitung sie 1934 gemeinsam mit Gertrude Wagner übernahm. Ab Herbst 1932 war sie ein Jahr lang in dem vom Wirtschaftshistoriker und Nationalökonomen Otto Neurath gegründeten Gesellschafts- und Wirtschaftsmuseum tätig. Von Dezember 1933 bis November 1934, als sie aufgrund ihrer politischen Haltung nicht länger angestellt wurde, unterrichtete sie zudem als Hilfslehrerin an verschiedenen Wiener Volks- und Hauptschulen. Hinzu kam ihr politisches Engagement in der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei sowie ihre Tätigkeit als Bibliothekarin der Arbeiterbücherei im Karl-Marx-Hof, in dem sie von 1930 bis 1934 wohnte.

Ehe mit Paul Felix Lazarsfeld

Im Oktober 1927 heiratete Marie Jahoda den Gymnasialprofessor und späteren Soziologen Paul Felix Lazarsfeld, den sie bereits 1919 in einem von Eugenie Schwarzwald organisierten Sommerlager kennengelernt hatte. Die Ehe war von Beginn an schwierig. Bereits im Herbst 1928 beschloss das Paar, vorübergehend getrennt zu leben und Marie Jahoda ging für ein Jahr nach Paris, wo sie Sprachkurse absolvierte, als Übersetzerin und Privatlehrerin arbeitete und den Kontakt zu französischen Sozialistinnen und Sozialisten suchte. Kurz nach ihrer Rückkehr nach Wien wurde sie schwanger. Die gemeinsame Tochter Lotte Franziska Lazarsfeld, die später ebenfalls eine wissenschaftliche Laufbahn einschlagen sollte, wurde im Juli 1930 geboren. Ab 1932 lebte Maria Jahoda von ihrem Ehemann getrennt. Die Scheidung erfolgte im Juli 1934 in Zusammenhang mit der Emigration von Paul Felix Lazarsfeld in die USA. Als berufstätige und politisch aktive Alleinerzieherin wurde sie von ihrer Mutter und Schwester bei der Kindererziehung unterstützt.

Wissenschaftliche Karriere und Exil

Marie Jahoda gilt heute als eine Pionierin der empirischen Sozialforschung. Untrennbar ist ihr Name mit der Studie "Die Arbeitslosen von Marienthal" verbunden, der ersten Arbeit über die psycho-sozialen Folgen von Arbeitslosigkeit. An der mit teilweise äußerst innovativen Erhebungsmethoden durchgeführten Studie war ein Projektteam von 15 Personen beteiligt, darunter heute bekannte Persönlichkeiten wie die Psychologin Lotte Schenk-Danzinger. Die Konzeptionierung stammte von Paul Felix Lazarsfeld. Marie Jahoda verfasste den Haupttext der Publikation. Der Anhang stammte von Hans Zeisel. Die im Juni 1933 in Leipzig erschienene Studie wurde positiv aufgenommen, aufgrund der kurz zuvor erfolgten Machtübernahme Hitlers in Deutschland blieb der große Durchbruch aber aus. Umso erfolgreicher waren die ab den 1960er Jahren erschienenen Neuauflagen und Übersetzungen. Marie Jahoda gelang es jedoch, sich mit dieser Arbeit –auch international– als Wissenschaftlerin zu etablieren.

Früh politisch interessiert, trat sie bereits als Gymnasiastin dem Verein Sozialistischer Mittelschüler bei und wurde Mitglied der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP). Während des Dollfuß-Schuschnigg-Regimes war sie im Untergrund für die verbotenen Revolutionären Sozialisten tätig und arbeitete unter anderem mit Joseph Buttinger zusammen. Im November 1936 wurde sie verhaftet und im Juli 1937 zu drei Monaten Kerker verurteilt. Bereits während ihrer Untersuchungshaft kam es zu Interventionen aus dem In- und Ausland. Marie Jahoda wurde wenige Tage nach der Urteilsverkündung unter der Auflage entlassen, aus Österreich auszureisen. Die österreichische Staatsbürgerschaft wurde ihr aberkannt. Sie ging nach London, wo ihr eine Stelle angeboten worden war. Tochter Lotte sollte vorübergehend bei ihrem Vater in New York leben, bis sich Jahoda eine Existenz in Großbritannien aufgebaut hatte. Der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs machte ein Wiedersehen zwischen Mutter und Tochter für Jahre unmöglich.

Im Exil führte Marie Jahoda zunächst als freischaffende Wissenschaftlerin sozialpsychologische Untersuchungen durch. 1938/1939 erhielt sie das Pinsent-Darwin-Studentship der University of Cambridge. Ab 1940 war sie als Soziologin im Wartime Social Survey Team im Informationsministerium der britischen Regierung beschäftigt. Zudem gehörte sie von 1941 bis 1944 dem Londoner Büro der österreichischen Sozialisten in Großbritannien an. Als Redakteurin und Sprecherin arbeitete sie beim Propagandasender "Radio Rotes Wien" mit. Nach Kriegsende reiste sie nach New York zu ihrer Tochter, die sie seit 1937 nicht mehr gesehen hatte. Wieder musste sie sich eine berufliche Existenz aufbauen. Von 1945 bis 1948 war sie Forschungsassistentin von Max Horkheimer am von ihm geleiteten Research Department des "American Jewish Comitee". Danach arbeitete sie ein Jahr lang im "Bureau of Applied Social Research", das an der Columbia University angesiedelt war und von Robert Merton und Paul Felix Lazarsfeld geleitet wurde. Ab 1949 war sie als Associate Professor und ab 1953 als Full Professor für Sozialpsychologie an der New York University tätig. 1950 erhielt sie die US-amerikanische Staatsbürgerschaft.

1958 kehrte Marie Jahoda aus privaten Gründen nach Großbritannien zurück. Im selben Jahr ging sie die Ehe mit dem Labour-Abgeordneten Austen Albu ein, den sie während ihrer ersten Jahre in London kennengelernt hatte und mit dem sie bis zu seinem Tod 1994 verheiratet war. Beruflich war sie als freie Wissenschaftlerin, Universitätslektorin und Research Fellow tätig. 1962 nahm sie die britische Staatsbürgerschaft an. 1965 wurde sie Gründungsprofessorin für Sozialpsychologie an der neu gegründeten University of Sussex, wo sie bis zu ihrer Emeritierung 1973 lehrte.

Marie Jahoda forschte und publizierte unter anderem zu den Themenbereichen Arbeit und Arbeitslosigkeit, Antisemitismus, Autorität und Familie sowie Nationalismus. Gegenstand ihrer Studien waren lebensnahe Forschungsfragen und Arbeitsweisen, die sich an realen Problemen ihrer Gegenwart orientierten, wobei sie sich für die Zusammenhänge zwischen individuellem Handeln und sozialem Kontext interessierte. Darüber hinaus beschäftigte sie sich aber auch mit methodischen Aspekten der Sozialpsychologie. 1997 erschienen ihre Lebenserinnerungen "Ich habe die Welt nicht verändert".

Sie erhielt zahlreiche Preise und Ehrungen im In- und Ausland. Seit Herbst 2021 ist der Gemeindebau an der Ecke Kegelgasse/Seidlgasse im 3. Bezirk nach ihr benannt.

Literatur

  • Gaál/Hohenberger: Wiener Gemeindebau nach Marie Jahoda benannt. In: Rathauskorrespondenz, 15.10.2021
  • Ilse Korotin [Hg.]: biografiA. Lexikon österreichischer Frauen. Band 2. Wien / Köln / Weimar: Böhlau 2016, S. 1464–1466
  • Marie Jahoda: Lebensgeschichtliche Protokolle der arbeitenden Klassen 1850–1930. Dissertation 1932. Mit Beiträgen von Helga Nowotny, Georg Hubmann, Meinrad Ziegler, Josef Ehmer, Rainer Bartel, Christian Fleck und Reinhard Müller. Herausgegeben von Johann Bacher, Waltraud Kannonier-Finster und Meinrad Ziegler. Innsbruck / Wien / Bozen: Studienverlag 2017
  • Friedrich Stadler [Hg.]: Vertriebene Vernunft II. Emigration und Exil österreichischer Wissenschaft 1930–1940. Münster: LIT Verlag 2004, S. 345–359
  • Archiv für die Geschichte der Soziologie in Österreich: Marie Jahoda. Pionierin der Sozialforschung [Stand: 09.10.2020]
  • Ernst Bruckmüller [Hg.]: Personenlexikon Österreich. Wien: Verlagsgemeinschaft des Österreich-Lexikon 2001
  • Werner Röder [Hg.]: Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933. International biographical dictionary of Central European émigrés 1933–1945. München: Saur 1980
  • Alisa Douer: Frauen aus Wien. Ein Fotoband. Wien: Frauenbüro, Magistrat der Stadt Wien 1999, S. 56
  • Wiener Zeitung, 01.07.1985
  • Profil 40 (1993), S. 82 f.
  • Salzburger Nachrichten, 25.11.1998, S. 3
  • Die Universität. Zeitung der Universität Wien. Wien: Zentrum für Forschungsförderung 12 (1998), S. 1
  • Die Presse, 03.05. 2001, S. 25
  • Standard, 01./02.02.1992, 25./26.01.1997, 02.05.2001, 12.02.2003
  • Marie Jahoda: "Ich habe die Welt nicht verändert". Lebenserinnerungen einer Pionierin der Sozialforschung. Hg. von Steffani Engler / Brigitte Hasenjürgen. Frankfurt am Main: Campus-Verlag 1997
  • Reinhard Müller [Hg.]: Marie Jahoda. 1907–2001. Pionierin der Sozialforschung. Katalog zur Ausstellung des Archivs für die Geschichte der Soziologie in Österreich an der Universitätsbibliothek Graz vom 3. Juni bis 2. August 2002. Graz: Selbstverlag 2002
  • Das gesellschaftlich Unsichtbare sichtbar machen. In. Der Standard, 24.12.2014, S. 15

Weblinks