Veza Canetti

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Daten zur Person
Personenname Canetti, Veza
Abweichende Namensform Taubner-Calderon, Venetiana; Taubner-Calderon, Veza; Knecht, Veronika; Murner, Martha; Murner, Martina; Magd, Veza
Titel
Geschlecht weiblich
PageID 15242
GND 119074087
Wikidata Q86232
Geburtsdatum 21. November 1897
Geburtsort Wien 4066009-6
Sterbedatum 1. Mai 1963
Sterbeort London 4074335-4
Beruf Schriftstellerin, Übersetzerin
Parteizugehörigkeit
Ereignis
Nachlass/Vorlass
Objektbezug Zwischenkriegszeit, NS-Zeit, Karl Kraus (Portal)
Quelle Felix Czeike: Historisches Lexikon Wien
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Letzte Änderung am 29.03.2024 durch WIEN1.lanm09kka
Begräbnisdatum
Friedhof
Grabstelle
  • 2., Ferdinandstraße 29 (Wohnadresse)
  • 19., Himmelstraße 30 (Wohnadresse)
Familiäre Beziehung
Berufliche Beziehung
Beziehung, Bekanntschaft, Freundschaft

Veza Canetti, geborene Taubner-Calderon, * 21. November 1897 Wien, † 1. Mai 1963 London, Schriftstellerin, Übersetzerin.

Biografie

Veza Canetti, geboren als Venetiana Taubner-Calderon, war die Tochter der aus Belgrad stammenden sephardischen Jüdin Rahel Calderon und des jüdisch-ungarischen Handlungsreisenden Hermann Taubner. Der Vater starb 1904. 1905 heiratete Rahel Calderon den reichen Witwer Menachem Alkaley, spätestens ab 1911 wohnte Veza Canetti mit ihrer Mutter und dem gewalttätigen Stiefvater in einem Haushalt (2., Ferdinandstraße 29).

Über Canettis Schul- und Berufsausbildung ist wenig bekannt. Sie arbeitete als Englischlehrerin und Übersetzerin aus dem Englischen und Französischen, als Lektorin und etwas später auch als Ghostwriter.

Teilweise bereits vor dem Ersten Weltkrieg, jedenfalls danach verkehrte sie in verschiedenen Salons (von Camilla Spitz, Trude Schmidl-Waehner, Alice Schmutzer, Alma Mahler) und anderen Treffpunkten von Künstler*innen und Intellektuellen.

Auch die Vorlesungen von Karl Kraus besuchte sie regelmäßig. Bei Kraus' 300. Vorlesung 1924 traf sie ihren zukünftigen Ehemann Elias Canetti, wie dieser sich in seiner Autobiografie erinnert. Als Schriftstellerin, als die sie sich in den späten 1920er und frühen 1930er Jahren zu etablieren begann, steht sie mit ihren gesellschafts- und sprachkritischen Texten in der Tradition des Satirikers Kraus. Auch wenn dessen Einfluss groß war, bewahrte sie sich (im Gegensatz zu Elias Canetti, wie dieser in seiner Autobiografie betont) ihre Unabhängigkeit auch Kraus gegenüber, indem sie etwa nicht aufhörte, von Kraus vehement abgelehnte Literatur wie jene Heines zu lesen. Wie gut Veza Canetti mit Kraus persönlich bekannt war, ist derzeit nicht bekannt.

Nach einigen früheren Publikationen entstand 1929 ihr erstes Buch, der "Kaspar-Hauser-Roman", der aber unveröffentlicht verschwand. Ihre Erzählung "Geduld bringt Rosen" erschien 1932 in der Anthologie "Dreißig neue Erzähler des neuen Deutschland" im Malik-Verlag. Zwischen 1932 und 1934 veröffentlichte Canetti (unter verschiedenen Pseudonymen, die ihre jüdische Herkunft nicht verrieten) etliche Erzählungen in der Arbeiter-Zeitung und einigen deutschen, ebenfalls sozialistischen Publikationsorganen: "Der Sieger", "Geduld bringt Rosen", "Ein Kind rollt Gold" – diese Erzählung wurde 1933 bei einem Preisausschreiben der Arbeiter-Zeitung ausgezeichnet –, "Der Verbrecher", "Der Kanal", "Der Neue", "Die Große", "Der Dichter", "Der Fund" und "Der Zwinger". 1933 vollendete sie den aus fünf, im zweiten Wiener Gemeindebezirk spielenden Erzählungen zusammengestellten Roman "Die gelbe Straße". Im Zentrum ihrer Texte stehen Figuren, die aufgrund ihrer sozialen, ethnischen oder religiösen Zugehörigkeit marginalisiert werden.

Der Roman "Die Genießer" ist wie der "Kaspar-Hauser-Roman" verschollen. Er hätte ebenfalls in der Arbeiter-Zeitung erscheinen sollen, die jedoch im Februar 1934 verboten wurde. Am ersten Tag der Februarkämpfe gewährten Veza und Elias Canetti, die eine Woche später, am 19. Februar heirateten, dem Schriftsteller und Redakteur der Arbeiter-Zeitung Ernst Fischer und seiner Frau Ruth Unterschlupf in ihrer Wohnung.

Für die Sozialistin Canetti wurde die Publikation ihrer Arbeiten noch schwieriger, als sie es für sie als Jüdin ohnehin schon war. Unter dem Pseudonym Veronika Knecht konnte sie im selben Jahr in der Prager Exilzeitschrift "Neue deutsche Blätter" die Erzählung "Drei Helden und eine Frau" veröffentlichen, als Veza Magd 1937 die Erzählungen "Hellseher" (Der Wiener Tag), "Geld-Geld-Geld" und "Das Schweigegeld" (Die Stunde). Ihre Dramen "Der Oger" und "Der Tiger" blieben zu Lebzeiten unveröffentlicht.

Im Oktober 1938 flohen die Canettis vorerst nach Paris, im Jänner 1939 erreichten sie London, wo sie bis 1963 lebten. Dort hatten sie unter anderem Kontakt mit Franz Baermann Steiner, Hans Günther Adler und Erich Fried; mit Hermann Broch, der im US-amerikanischen Exil lebte, brieflich.

Die Veröffentlichung des in den ersten Monaten im Exil geschriebenen Romans "Die Schildkröten", der bereits von einem englischen Verlag angenommen worden war, wurde durch den Zweiten Weltkrieg vereitelt. Die 1948 erschienene Übersetzung von Graham Greenes Roman "The Power and the Glory" ("Die Kraft und die Herrlichkeit") blieb die einzige publizierte Arbeit aus der Zeit des Exils – trotz zahlreicher Versuche, Verleger zu finden. Nach der Flucht stellte Veza Canetti (die 1931 aus der Israelitischen Kultusgemeinde aus-, 1934 aber wieder eingetreten war) dezidiert aufgrund ihres Judentums exkludierte Figuren in den Fokus ihres Schreibens.

Neben ihrer eigenen Schreib-, Lektorats- und Übersetzungstätigkeit unterstützte Veza Canetti ihren Mann – auch vor der Heirat schon und besonders nach der Flucht – bei dessen literarischem Schaffen. Sie förderte ihn maßgeblich und trug wesentlich zur Entstehung von dessen "Masse und Macht" (1960) bei.

In den letzten Lebensjahren litt Veza Canetti an schweren Depressionen. Nach der Ablehnung eines ihrer Romane durch einen Verlag zerstörte sie zahlreiche Manuskripte und hörte auf zu schreiben. Am 1. Mai 1963 starb sie an einer Lungenembolie in London, ohne nach ihrer Flucht Wien noch einmal besucht zu haben.

Seit den 1990er Jahren wird Veza Canettis Werk zum großen Teil erstmals verlegt und ihre Bedeutung als sozialkritische Schriftstellerin erkannt. 2003 wurde der Veza-Canetti-Park im 2. Wiener Gemeindebezirk nach ihr benannt. Die Stadt Wien vergibt seit 2014 den mit 10.000 Euro dotierten Veza-Canetti-Preis an Autorinnen mit Wohnsitz in oder Bezug zu Wien.

Literatur

  • Vreni Amsler: Veza Canetti zwischen Leben und Werk. Netzwerk-Biografie. Innsbruck / Wien: StudienVerlag 2020
  • Gerhild Rochus: Canetti, Veza. In: Andreas B. Kilcher [Hg.]: Metzler Lexikon der deutsch-jüdischen Literatur. Jüdische Autorinnen und Autoren deutscher Sprache von der Aufklärung bis zur Gegenwart. 2., aktual. und erw. Aufl. mit 299 Abbildungen. Stuttgart / Wien: J.B. Metzler 2010, S. 100–102
  • Angelika Schedel: "Buch ist von mir keines erschienen…". Veza Canetti verliert ihr Werk und hilft einem Dichter zu überleben. In: Ingrid Spörk / Alexandra Strohmaier [Hg.]: Veza Canetti. Graz: Literaturverlag Droschl 2005 (Dossier 24), S. 191–210
  • Angelika Schedel: Vita Veza Canetti. In: Heinz Ludwig Arnold [Hg.]: Text + Kritik 156. München: edition text + kritik 2002, S. 95–104
  • Angelika Schedel: Sozialismus und Psychoanalyse. Quellen von Veza Canettis literarischen Utopien. Würzburg: Königshausen & Neumann 2002 (Epistemata – Würzburger wissenschaftliche Schriften, Reihe Literaturwissenschaft, Bd. 378)
  • Elias Canetti: Die Fackel im Ohr. Lebensgeschichte 1921–1931. München / Wien: Carl Hanser Verlag 1980


Veza Canetti im Katalog der Wienbibliothek im Rathaus.

Weblinks