Volksschule

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Die Volksschule in der Irenäusgasse (1970)
Daten zum Eintrag
Datum von
Datum bis
Objektbezug Wiener Schulen, Trivialschule
Quelle Felix Czeike: Historisches Lexikon Wien
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Letzte Änderung am 17.12.2021 durch WIEN1.lanm08trj
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Bildunterschrift Die Volksschule in der Irenäusgasse (1970)

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Schulform

Schulform, die alle Kinder nach vollendetem sechsten Lebensjahr zu besuchen haben. Als Nachfolgeinstitut der Trivialschule durch das Reichsvolksschulgesetz 1869 geregelt. Die Schulpflicht konnte damals durch den Besuch von acht Jahren Volksschule oder fünf Jahren Volksschule und drei Jahren Bürgerschule erfüllt werden. Durch die Schaffung des Haupt- und Mittelschulgesetzes 1927 wurde die Volksschule zu einer vier- beziehungsweise achtjährigen Schulform. Erst mit dem Schulgesetzwerk von 1962 erhielt die Volksschule ihre heutige Gestalt als vierjährige Schulform, die eine grundlegende Allgemeinbildung vermittelt.

Schulen und Schulbesuch

Im Jahr 1870 bestanden 82 städtische Volksschulen, von denen 35 als reine Knaben- und 36 als reine Mädchenschulen geführt wurden. Aufgrund akuten Lehrermangels wurden 1869/1870 aushilfsweise und ab 1870/1871 regulär Lehrerinnen an städtischen Schulen angestellt.[1] In zahlreichen Schulen bestanden noch erhebliche Mängel in der Ausstattung. Zu Beginn der 1870er Jahre verfügten beispielsweise im Bezirk Wieden von zwölf Schulen nur 2 über ausreichende Lehrmittel, in Mariahilf eine von elf und am Alsergrund war keine der Schulen ausreichend ausgestattet.[2] Im Jahr 1895 bestanden in Wien 229 Volksschulen und 24 weitere mit einer Bürgerschule verbundene Schulen dieser Art. Noch 1890 besuchten rund 60 Prozent der Volksschülerinnen und Volksschüler nach Ende der Schulpflicht Berufsvorbereitungskurse, um den fehlenden Volksschulabschluss nachzuholen. Schüler, die nicht von der Volksschule in die Bürgerschule übertraten, hatten häufig keinen ausreichenden Bildungsstand. Nach der Eingemeindung der Vororte verschärfte sich das Problem noch einige Zeit weiter.[3]

Reformen im "Roten Wien"

Der Bildungsreformer Otto Glöckel, der bis 1920 in der Regierung als Staatssekretär für das Bildungswesen zuständig war, hatte in dieser Funktion eine Reform des Bildungswesens eingeleitet, die jedoch auf erbitterten Widerstand des christlichsozialen Koalitionspartners und der katholischen Kirche stieß. Nach dem Auseinanderbrechen der großen Koalition versuchte Glöckel nun, sein Reformprogramm auf Wiener Ebene zu verwirklichen. Kernprinzip war eine "Pädagogik vom Kinde aus", die sich auf Arbeitsunterricht, Gesamtunterricht und Bodenständigkeit stützte. Glöckel gelang es dabei, dem Grundschulunterricht in Richtung größerer Praxisnähe (Einführung des Heimatkundeunterrichts) zu reformieren. Für wichtige Reformimpulse sorgte auch die Gründung des Pädagogischen Instituts der Stadt Wien als Ausbildungs- und Fortbildungsort der Wiener Pflichtschullehrer.[4]

Im Schuljahr 1925/1926 existierten in Wien 440 Volksschulen mit einer durchschnittlichen Klassenstärke von 29. Bis Mitte der 1930er Jahre sank die Zahl der Volksschulen auf 419, während die Klassenstärke auf 31 stieg.[5]

Schulreformen ab den 1960er Jahren

In der Zweiten Republik machten sich starke Schwankungen bei der Zahl der Schülerinnen und Schüler infolge der Geburtenbewegung bemerkbar. So besuchten im Schuljahr 1947/1948 28.600 Kinder Wiener Volksschulen, 1961/1962 jedoch nur 11.900, 1971/1972 im Zuge des Babybooms jedoch wieder 19.700. Der Anteil jener Kinder, die in der fünften Schulstufe in eine AHS-Unterstufe wechselten, stieg ab Mitte der 1950er Jahre kontinuierlich an. Hatte er 1950/1951 noch 23 Prozent betragen, lag er 1960/1961 bereits bei 29 Prozent, 1970/1971 bei 41 Prozent und 1990/1991 bei 53 Prozent.[6] Noch zu Beginn der 1950er Jahre herrschte Raummangel, was zu einer durchschnittlichen Klassenstärke von 33 Schülerinnen und Schülern führte. Diese konnte erst um 1960 langsam auf 30 gesenkt werden, ehe im Zuge des Babybooms neuerlich ein Anstieg bis zu Beginn der 1970er Jahre festzustellen war. Erst danach kam es, auch begünstigt durch den Geburtenrückgang, zu einem Rückgang auf etwa 20 bis Ende der 1980er Jahre.[7]

Pädagogische Strömungen (beispielsweise Reformpädagogik, Arbeitsschule) wurden besonders in der Volksschule wirksam. Durch das Auslaufen der sogenannten Volksschuloberstufe (fünfte bis achte Klasse) nach dem Schulgesetzwerk von 1962 erhielt die Volksschule ihre heutige Gestalt als vierjährige Schulform, die eine grundlegende Allgemeinbildung vermittelt. Im Schuljahr 1962/1963 wurden erstmals Vorschulklassen eingerichtet, in denen sechsjährige Kinder aufgenommen wurden, die wegen einer Lernbenachteiligung trotz weitgehend normaler Begabung sonst in der ersten Klasse zurückgestellt worden wären. Ebenso wurde die fremdsprachliche Vorschulung in den dritten und vierten Volksschulklassen eingerichtet. Die erste und zweite Klasse wurden zu einer Primarstufe zusammengefasst und müssen nicht mehr getrennt unterrichtet werden. Ende der 1960er Jahre erhielten in Wien Schülerinnen und Schüler mit nichtdeutscher Muttersprache in bereits 133 Kursgruppen einen ihnen entsprechenden Sprachunterricht im Ausmaß von wöchentlich zwei Stunden. Der Schulversuch "Sprachliche Förderkurse für Schüler mit nichtdeutscher Muttersprache" verfolgte den Zweck, die Integration der ausländischen Schülerinnen und Schüler, vor allem der Kinder von Gastarbeiterinnen und Gastarbeitern, in den Schulen sicherzustellen. Im Schuljahr 1971/1972 gab es in Wien Schulversuche an 206 von 344 öffentlichen allgemeinbildenden Pflichtschulen.[8] Ab 2010 wurde im Zusammenhang mit der steigenden Zahl von Kindern mit nichtdeutscher Muttersprache ein verpflichtendes Kindergartenjahr als Vorbereitung auf den Besuch der Volksschule eingeführt. Ab 1993 gab es die Möglichkeit Schülerinnen und Schüler mit besonderen Bedürfnissen im Primarbereich zu unterrichten.

Im Sinne der Internationalisierung des Schulwesens in Österreich wurden ab dem Schuljahr 1962/1963 in der dritten und vierten Volksschulklasse eine fremdsprachige Vorschulung (primär in der englischen Sprache) eingeführt. Nach und nach weitete sich das Angebot an fremdsprachigen Unterricht für Kinder aus und griff auch auf den Kindergartenbetrieb über. Auch wurden und werden in den Volksschulen zahlreiche pädagogische Innovationen (unter anderem, [auch in Schulpartnerschaften der Europäischen Union], offene Lernformen, Montessori-Pädagogik, verbale Leistungsbeurteilung, Einsatz neuer Informationstechnologien) erprobt.

Siehe auch

Literatur

  • Oskar Achs / Peter Pokay: Schulen in Wien - Entwicklungs- und Strukturdaten. In: Statistische Mitteilungen der Stadt Wien (1989), Heft 2, S. 3-18
  • Oskar Achs / Peter Pokay: Schulentwicklung und Bildungsbeteiligung in der Zweiten Republik im Spiegel der Zahlen. In: Statistische Mitteilungen der Stadt Wien NF 1 (1999), Heft 1, S. 23-55
  • Ernst Gerhard Eder: Schüler/innen, Schulen und Bildungspolitiken seit 1770. In: Andreas Weigl / Peter Eigner / Ernst Gerhard Eder [Hg.]: Sozialgeschichte Wiens 1740-2010. Soziale und ökonomische Ungleichheiten, Wanderungsbewegungen, Hof, Bürokratie, Schule, Theater. Innsbruck / Wien / Bozen: StudienVerlag 2015 (Geschichte der Stadt Wien, 8), S. 585-780.
  • Die Gemeinde-Verwaltung der Reichshaupt- und Residenzstadt Wien in den Jahren 1867-1870. Wien: Gemeinderath der Stadt Wien 1871
  • Anton Mayer: Geschichte der geistigen Cultur in Niederösterreich von der ältesten Zeit bis in die Gegenwart. Ein Beitrag zu einer Geschichte der geistigen Cultur im Südosten Deutschlands. Band 1. Wien: W. Seidel & Sohn 1878
  • Rudolf Piffl / Anton Herget / Anton Weiß: Geschichte der Erziehung und des Unterrichts. Bearbeitet und erweitert von Rudolf Piffl und Anton Simonic. Wien: Österreichischer Bundesverlag 31930 (Lehrpläne der Volksschule)

Einzelnachweise

  1. Die Gemeinde-Verwaltung der Reichshaupt- und Residenzstadt Wien in den Jahren 1867-1870. Wien: Gemeinderath der Stadt Wien 1871, S. 189.
  2. Anton Mayer: Geschichte der geistigen Cultur in Niederösterreich von der ältesten Zeit bis in die Gegenwart. Ein Beitrag zu einer Geschichte der geistigen Cultur im Südosten Deutschlands. Band 1. Wien: W. Seidel & Sohn 1878, S. 150.
  3. Ernst Gerhard Eder: Schüler/innen, Schulen und Bildungspolitiken seit 1770. In: Andreas Weigl / Peter Eigner / Ernst Gerhard Eder [Hg.]: Sozialgeschichte Wiens 1740-2010. Soziale und ökonomische Ungleichheiten, Wanderungsbewegungen, Hof, Bürokratie, Schule, Theater. Innsbruck / Wien / Bozen: StudienVerlag 2015 (Geschichte der Stadt Wien, 8), S. 622.
  4. Wilfried Göttlicher: Das Rote Wien - eine "Musterschulstadt". In: Werner Michael Schwarz / Georg Spitaler / Elke Wikidal [Hg.]: Das Rote Wien 1919-1934. Ideen, Debatten, Praxis. Basel: Birkhäuser 2019, S. 99.
  5. Oskar Achs / Peter Pokay: Schulen in Wien - Entwicklungs- und Strukturdaten. In: Statistische Mitteilungen der Stadt Wien (1989), Heft 2, S. 14.
  6. Oskar Achs / Peter Pokay: Schulentwicklung und Bildungsbeteiligung in der Zweiten Republik im Spiegel der Zahlen. In: Statistische Mitteilungen der Stadt Wien NF 1 (1999), Heft 1, S. 29, S. 32 f.
  7. Oskar Achs / Peter Pokay: Schulen in Wien - Entwicklungs- und Strukturdaten. In: Statistische Mitteilungen der Stadt Wien (1989), Heft 2, S. 14.
  8. Ernst Gerhard Eder: Schüler/innen, Schulen und Bildungspolitiken seit 1770. In: Andreas Weigl / Peter Eigner / Ernst Gerhard Eder [Hg.]: Sozialgeschichte Wiens 1740-2010. Soziale und ökonomische Ungleichheiten, Wanderungsbewegungen, Hof, Bürokratie, Schule, Theater. Innsbruck / Wien / Bozen: StudienVerlag 2015 (Geschichte der Stadt Wien, 8), S. 733.