Urologie

Aus Wien Geschichte Wiki
Wechseln zu:Navigation, Suche
Daten zum Eintrag
Datum von
Datum bis
Objektbezug
Quelle Felix Czeike: Historisches Lexikon Wien
Export RDF-Export (Resource Description Framework) RDF
Recherche
Letzte Änderung am 19.11.2020 durch WIEN1.lanm08wei

Es wurden noch keine Bezeichnungen erfasst!


Anfänge: Steinschnitt und Steinzertrümmerung

Auf den Wurzeln der medizinischen Chemie (Laboratoriumsdiagnostik), der inneren Medizin und der Chirurgie begann sich in der Wiener medizinischen Schule ab Anfang des 19. Jahrhunderts das neue Spezialfach Urologie zu entwickeln.

Der Vorstand der ersten Chirurgischen Universitäts-Klinik, Vinzenz von Kern, war als Steinoperateur anerkannt (Hauptwerk "Die Steinbeschwerden der Harnblase, ihre verwandten Übel und der Blasenschnitt bei beiden Geschlechtern",1828). Sein Schüler und Nachfolger Joseph von Wattmann nahm im Gegensatz zu Kern 1835 in einer vielbeachteten Schrift über die Steinzerbohrung und deren Verhältnis zum Blasenschnitt eindeutig Partei für das Verfahren der instrumentellen Zertrümmerung der Steine in der Harnblase (Lithotripsie).

Urologie als spezielle Chirurgie

Als Begründer der wissenschaftlichen Urologie auf dem Boden der pathologischen Anatomie gilt im deutschsprachigen Raum der aus der Schule von Carl von Rokitansky stammende Leopold von Dittel (ab 1853 Assistent unter Johann von Dumreicher), von Dittel verfasste ab 1859 Arbeiten zur Pathologie der männlichen Geschlechtsorgane. Besonders wertvoll ist seine Monographie "Die Strukturen der Harnröhre" (in: "Handbuch der allgemeinen und speziellen Chirurgie." von Franz Pitha und Theodor Billroth 3/2, 1871 ff.).

Die Urologie dieser Zeit stand für eine physikalisch-mechanistische Betrachtungsweise. Unter Salomon Stricker kam es 1872 zu tierexperimentellen Studien über die Funktion des Schließmuskels der Harnblase; an Dittels dritter Chirurgischer Abteilung wurde auch pionierhaft Endoskopie betrieben. Der Syphilidologe Josef Grünfeld konstruierte ein taugliches Zystoskop (mit sondenförmigen Metalltubus), projizierte über einen Stirnreflektor (Sonnen-)Licht ins Innere der Harnblase und konnte 1876 erstmals (bei Frauen) mit seinem Ureteroskop die Mündung der Harnleiter darstellen und sondieren. Am 9. Mai 1879 demonstrierten der Dresdner Arzt Max Nitze und der Wiener Instrumentenmacher Josef Leiter in der Gesellschaft der Ärzte ihr neues Zystoskop (Sonde, Reflektor und Lichtquelle in einem Instrument vereint, Beleuchtung durch Platindraht mit Wasserkühlung). Zu Dittels Schülern zählen Moriz Schustler und Robert Ultzmann. Nach der Einführung der Edisonschen Lampe in Europa (1880) machte Leiter diese auch für die Zystoskopie nutzbar und konstruierte 1886 das Zystoskop mit dem Mignonlämpchen (keine Kühlung erforderlich). Ein Jahr später entwickelte der Billroth-Schüler Alexander Brenner mit Dittel das erste Ureterenzystoskop.

An der Klinik Billroth wurde Karl Pawlik zum Pionier des Ureterkatheterismus (von Billroth bereits 1882 angewendet), womit auch der Weg zur funktionellen Nierendiagnostik gewiesen wurde; 1891 gelang ihm die erste Totalexstirpation der Harnblase bei Karzinom (bereits 1884 hatte Billroth über von ihm durchgeführte Nierenexstirpationen berichtet). Dittels Schüler Robert Ultzmann (auch Schüler des Chemikers Johann Florian Heller und ab 1872 Leiter der "Abteilung für chirurgische Krankheiten, besonders der Harnorgane" an der neugegründeten Wiener Allgemeinen Poliklinik [erste urologische Spezialabteilung der Welt]) war ein Wegbereiter der urologischen Labordiagnostik). Ultzmann gelang in seinen Arbeiten der Nachweis, dass Harnkonkretionen kristallinisch entstehen. Er entwickelte eine große internationale Wirkung und hatte Schüler auf der ganzen Welt.

Urologie als Spezialfach

Ultzmanns Nachfolger wurden an der Poliklinik der Billroth-Schüler Anton von Frisch, Otto Zuckerkandl, Hans Rubritius und Theodor Hryntschak. Von Frisch hatte zuvor vornehmlich bakteriologisch gearbeitet. Schon 1891 verfasste er Studien zur Tuberkulose des Urogentaltraktes.Sein Handbuchbeitrag "Die Krankheiten der Prostata" von 1899 stellte die erste grundlegende Darstellung zu diesem Thema dar. Von Frisch und Zuckerkandl veröffentlichten 1904-1906 ein "Handbuch der Urologie" welches lange Zeit Standard blieb. 1907 eröffnete Frisch den ersten Kongress der Deutschen Gesellschaft für Urologie in Wien. Zuckerkandel veröffentlichte Arbeiter zur Prostatahypertrophie und zu den Erkrankungen der Harnblase. An seiner Wirkungsstätte, der chirurgischen Abteilung des Rothschild-Spitals, richtete diese stark urologisch aus.

Ultzmanns Schüler Josef Englisch wurde Primarius an der Krankenanstalt Rudolfstiftung. Hatte Zuckerkandl 1917/1918 die Erhebung der Urologischen Abteilung der Poliklinik zu einem Ordinariat gefordert und war 1919/1920 in deren Gründungsjahr Präsident der Wiener Urologischen Gesellschaft gewesen, so hatte Englisch bereits 1896 in einem offenen Brief an Eduard Albert (Vorstand der ersten Chirurgischen Universitäts-Klinik) eine eigene Lehrkanzel für Urologie gefordert. 1910 gliederte Julius von Hochenegg seiner zweiten Chirurgischen Universitäts-Klinik eine urologische Abteilung mit Ambulanz an (1914 urologische Spezialabteilung auch an der ersten Chirurgischen Universitäts-Klinik [Leitung Egon Ranzi ]).

Die völlige Lösung der Urologie von der Chirurgie gelang erst in den 1960er Jahren. 1962 wurde die Urologische Universitäts-Klinik im Allgemeinen Krankenhaus begründet (Leitung Richard Übelhör) und 1967 zum Ordinariat erhoben.

Literatur

  • Erna Lesky: Die Wiener medizinische Schule im 19. Jahrhundert. Wien [u.a.]: Böhlau 1965 (Studien zur Geschichte der Universität Wien, 6), S. 63f., 69f., 459-466.
  • Erna Lesky: Wiener Urologie in der Zeit Billroths. Vortrag, gehalten in der Festsitzung der Österreichischen Gesellschaft für Urologie am 24.10.1962. In: Klinische Medizin 18 (1963), 221 ff.
  • Erna Lesky: Wien und die europäische Urologie um die Jahrhundertwende. In: Verhandlungsbericht der Deutschen Gesetze für Urologie (20. Tagung 16.-19.09.1963 in Wien [1965]), S. 6 ff.
  • Anton von Frisch: Historischer Überblick über die Entwicklung der urologischen Diagnostik (Rede, 02.10.1907)
  • Viktor Blum: Die geschichtliche Bedeutung der Wiener Urologe. In: Zeitschrift für urologische Chirurgie 29 (1930), S. 137 ff.
  • Josef Keller: Die Urologie und die Wiener Medizinische Schule. In: Zeitschrift für urologische Chirurgie 29 (1930), Sonderband (Wiener Kongreß der Deutschen Geschichte für Urologie, 1957)
  • Paul Deuticke: Sieben Jahre Urologie an der ersten Chirurgischen Universitäts-Klinik, in: Wiener klinische Wochenschrift 55 (1942), S. 683f.
  • Horst Haschek / Peter Porpaczy: 100 Jahre Urologie an der Wiener Poliklinik. In: Urologia Internationalis 26 (1971), S. 397ff.
  • Erich E. Deimer: Chronik der Allgemeinen Poliklinik in Wien. Wien: Göschl 1989, S. 98ff.
  • Anton Schimatzek: 5000 Jahre Urologie. In: Kunst des Heilens. Aus der Geschichte der Medizin und Pharmazie. Niederösterreichische Landesausstellung, Kartause Gaming. Wien: 1991, S. 774 ff.