Otto Glöckel

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Otto Glöckel
Daten zur Person
Personenname Glöckel, Otto
Abweichende Namensform
Titel
Geschlecht männlich
PageID 24006
GND 118695452
Wikidata Q87501
Geburtsdatum 8. Februar 1874
Geburtsort Pottendorf, Niederösterreich 4650084-4
Sterbedatum 23. Juli 1935
Sterbeort Wien 4066009-6
Beruf Politiker, Pädagoge
Parteizugehörigkeit Sozialdemokratische Arbeiterpartei
Ereignis Schulreform_im_"Roten_Wien"
Nachlass/Vorlass
Objektbezug Zwischenkriegszeit, Wiener Schulen
Quelle Felix Czeike: Historisches Lexikon Wien, Gedenktage, Gedenktage-GW
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Letzte Änderung am 8.02.2024 durch WIEN1.lanm08trj
Begräbnisdatum
Friedhof Meidlinger Friedhof
Grabstelle Abteilung B, Gruppe 1, Nummer G54
Ehrengrab ehrenhalber gewidmetes Grab
Bildname Ottoglöckel.jpg
Bildunterschrift Otto Glöckel
  • 12., Gaudenzdorfer Gürtel 47 (Sterbeadresse)
Familiäre Beziehung
Berufliche Beziehung
Beziehung, Bekanntschaft, Freundschaft

  • Mitglied der Provisorischen Nationalversammlung (21. Oktober 1918, bis: 16. Februar 1919)
  • Mitglied der Konstituierenden Nationalversammlung (4. März 1919, bis: 9. November 1920)
  • Abgeordneter zum Nationalrat (10. November 1920, bis: 17. Februar 1934)
  • Unterstaatssekretär im Staatsamt des Innern (5. November 1918, bis: 15. März 1919)
  • Unterstaatssekretär für Unterricht (15. März 1919, bis: 22. Oktober 1920)
  • Geschäftsführender Präsident des Wiener Stadtschulrats (1922, bis: 1934)

Otto Glöckel, * 8. Februar 1874 Pottendorf, Niederösterreich, † 23. Juli 1935 Wien, Politiker, Pädagoge.

Biografie

Otto Glöckel kam im Schulhaus von Pottendorf als Sohn des Unterlehrers Friedrich und dessen Gattin Fanni zur Welt. Nach Absolvierung der Volks- und Bürgerschule studierte er am Landeslehrerseminar in Wiener Neustadt (Matura 1892) und wurde dann über Vermittlung Engelbert Pernerstorfers provisorischer Unterlehrer in Wien. Hier unterrichtete er anfangs in Volksschulen des 14. Bezirks.

1894 trat er als junger Lehrer der Sozialdemokratischen Partei bei und gründete zusammen mit Karl Seitz die Wiener Lehrerbewegung "Die Jungen". Als er sich mit Gesinnungsgenossen in den 1890er Jahren gegen die Diskriminierung der Unterlehrer zur Wehr setzte, wurde er, zusammen mit vier Kollegen, am 15. September 1897 von Karl Lueger wegen "politischen Radikalismus" fristlos entlassen. Er fand als Beamter in der Unfallkrankenkasse Beschäftigung.

Glöckel arbeitete am "Schulprogramm der Jungen" (1898) mit. 1905 erfolgte die Gründung des antiklerikalen, von Glöckel geleiteten Vereins "Freie Schule", in dem sich Sozialdemokraten und Liberale zusammenfanden. 1906 wurde Otto Glöckel in den Wiener Gemeinderat gewählt, 1907 in den Reichsrat; diesem beziehungsweise dem Nationalrat der Republik gehörte er bis 1934 an. In der Sozialdemokratischen Arbeiter-Partei fungierte Glöckel als ständiger Referent für Schulfragen. Während des Ersten Weltkriegs, am 7. Jänner 1917, legte er in einer Versammlung des Vereins "Freie Schule" im Großen Konzerthaussaal unter dem Titel "Das Tor der Zukunft" ein Schul- und Erziehungsreformprogramm vor, in dem er die Freiheit der Schule, die Trennung von Kirche und Schule und die Einheitsschule forderte. Außerdem setzte er sich für die Förderung aller Begabungen, die Unentgeltlichkeit des Unterrichts und der Lernmittel, eine zeitgemäße Gestaltung der Methodik im Sinne einer kindgemäßen Lebens- und Arbeitsschule und die Überwindung der Bürokratie im Schulwesen ein.

1918 wurde Otto Glöckel Mitglied des neu eingesetzten Staatsrats und am 6. Jänner 1918 Unterstaatssekretär für Inneres; in dieser Funktion war er vor allem für die Durchführung der ersten Nationalratswahlen verantwortlich. Von 15. März 1919 bis 24. Oktober 1920 leitete er als Unterstaatssekretär für Unterricht in der Koalitionsregierung Renner-Fink die oberste Schulbehörde Österreichs. In dieser Tätigkeit trieb er die an liberalen Prinzipien orientierte Schulreform voran und schaffte die vorgeschriebene Teilnahme am Religionsunterricht ab. Die Einführung einer neuen "Allgemeinen Mittelschule" wurde zwar vorbereitet, konnte aber von ihm nicht mehr abgeschlossen werden. Nach dem Bruch der Koalition mit den Christlichsozialen wurde Glöckel ab 28. März 1922 Geschäftsführender 2. Präsident des Wiener Stadtschulrats und verwirklichte viele Punkte seines Schulreformprogramms. Jährlich wurde er in diesem Amt bestätigt.

Unterschrift Otto Glöckels unter dem Urlaubsansuchen von Karl Popper im Jänner 1934. Popper war damals als Lehrer in der Allgemeinen Mittelschule Schweglerstraße 2-4 tätig

Wiener Schulreform

Der Stadtschulrat entwickelte sich unter Glöckels Leitung zum Zentrum der pädagogischen und organisatorischen Neugestaltung des gesamten Wiener Pflicht-, Mittel- und Fortbildungsschulwesens. Wien blieb dem Primat der engagierten Schulpolitik auch treu, als die Bundesregierung nach der "Genfer Sanierung" das Bildungsbudget der Bundesländer zusammenstrich. Die Stadt übernahm größtenteils die Finanzierung und sorgte für eine adäquate Entlohnung der Lehrerschaft. Weiterhin ermöglichte sie die Limitierung der Klassenschülerhöchstzahlen (29 Schülerinnen und Schüler), Gratisschulbücher, moderne Schulbüchereien, unentgeltliche beziehungsweise billige Essensmöglichkeiten und die demokratische Beteiligung von Elternvertretungen. Der Zölibat für Lehrerinnen wurde aufgehoben.

Durch die Zusammenarbeit mit der Universität, konkret mit dem Psychologischen Institut von Karl Bühler und Charlotte Bühler, entstand abseits von Drill und moralischer Erbauung eine neue Lernkultur. Die sogenannte "Arbeitsschule" sollte anschaulich, lebensnah und spielerisch Lesen, Schreiben und Rechnen vermitteln sowie den alten Frontalunterricht ablösen. Das 1922 gegründete Pädagogische Institut der Stadt Wien sorgte dafür, dass das Lehrpersonal in der Aus- und Fortbildung auf die neue Schule vorbereitet wurde. In diesem Rahmen wurde auch die hochschulmäßige Ausbildung der Volksschullehrer erprobt. Direktor des Instituts wurde ab Juli 1925 der Schulreformer Viktor Fadrus.

Die "Wiener Schulreform" bewirkte eine verstärkte schulpolitische und pädagogische Diskussion innerhalb der Lehrerschaft und der Öffentlichkeit: Es gab pädagogische Konferenzen, Lehrerarbeitsgemeinschaften (die sich auch bei der Herausgabe von Bezirksheimatkunden engagierten) und Unterrichtsvorführungen. Die "Wiener Schulreform" verhalf Wien mit ihrem modellhaften Charakter zu internationaler Anerkennung; Wien wurde zur "Hauptstadt des Kindes", zum "Mekka der Pädagogik", zum internationalen Zentrum der Schulreform. Expertengruppen aus aller Welt reisten an, die Wiener Schulreform wurde damals zum gepriesenen Vorbild.

Das oberste Ziel der Reform war die Schaffung einer einheitlichen Organisation des gesamten Bildungswesens in den Stufen der Grundschule (bis zum zehnten Lebensjahr) (Einheitsschule), der Allgemeinen Mittelschule (bis zum 14. Lebensjahr) und der Allgemeinbildenden Oberschulen. 1927 wurde im Haupt- und Mittelschulgesetz mit der christlichsozial dominierten Bundesregierung ein inhaltlicher und organisatorischer Kompromiss erzielt (definitiver Volksschullehrplan, Einführung der Hauptschule, Kompetenzregelung zwischen Bund und Ländern).

Kulturkampf

Die Wiener Schulreform wurde gehasst und bekämpft. Otto Glöckel sah sich bereits 1923 veranlasst, den Vorwürfen entgegenzutreten. In einer kleinen Schrift mit dem Titel "Die österreichische Schulreform" betonte er zunächst den Grundsatz, dass die neue Schule die Kinder zu "tüchtigen, aufrechten, sittlich gefestigten, arbeitsfreudigen Tatmenschen" erziehen wolle, um sich dann in Folge mit den Kampagnen gegen die Schulreform auseinanderzusetzen. Die Vorwürfe waren zahlreich: mangelnde Disziplin, fehlende Vermittlung von Sprach- und Rechenkenntnissen, Verführung durch sexuelle Aufklärung, politische Indoktrinierung zu Sozialdemokraten.

Der "heiße rhetorische Atem" dieser Schrift verriet etwas über die grassierende Kulturkampfstimmung der Zeit. Ein Thema sorgte zwar für Aufruhr, war aber keineswegs die causa prima: Otto Glöckel wollte die Einheitsschule vom sechsten bis zum 14. Lebensjahr mit innerer Differenzierung. Demonstrationen und Gegendemonstrationen der Schulreformbewegung lösten hingegen die Frage aus: Wie hält es die neue Schule mit der Religion? Glöckel wollte die Trennung von Kirche und Staat, was den regierenden politischen Katholizismus provozierte. In der Tradition des Liberalismus fanden es die Wiener Schulreformer mit der demokratisch-republikanischen Schule unvereinbar, dass der tägliche Unterricht mit dem Schulgebet begann und endete. Der Besuch des Religionsunterrichts sollte freiwillig sein. Die Reaktion ließ nicht auf sich warten: "Herr Glöckel, sagen Sie ihren jüdischen Auftraggebern, daß wir uns unseren Herrgott nicht nehmen lassen", verkündete eine Karikatur in den "Wiener Stimmen" am 15. Februar 1921. Nichts löste im Wien der Zwischenkriegszeit mehr Erregung aus als der Streit um die Schule.

Am 13. Februar 1934 wurde Glöckel in seinem Arbeitszimmer verhaftet, zunächst in Einzelhaft genommen und dann im Anhaltelager Wöllersdorf festgehalten. Nach internationalen Petitionen ließ man ihn am 29. Oktober 1934 frei. Gesundheitlich schwer gezeichnet, starb er wenige Monate später. Das Begräbnis wurde zu einer politischen Demonstration.

Otto Glöckel war mit Leopoldine Pfaffinger verheiratet. Beide wohnten am Gaudenzdorfer Gürtel 47 im 12. Bezirk.

Schriften und Vermächtnis

Zu Glöckels Werken zählen unter anderem "Die österreichische Schulreform" (1922), "Die Wirksamkeit des Stadtschulrates" (1925) und "Drillschule, Lernschule, Arbeitsschule" (1928). Anlässlich des 100. Geburtstags von Glöckel beschloss der Gemeinderat am 22. Februar 1974 die Stiftung einer bronzenen Otto-Glöckel-Medaille, die an Personen verliehen wird, die außerordentliche Leistungen auf dem Gebiet der Pädagogik vollbringen. Aus Anlass des 50. Todestags wurde im Juni 1985 das erste "Glöckel-Symposion" abgehalten ("Die Schulreform geht weiter").

Nach dem Pädagogen wurde die Otto-Glöckel-Schule im 13. Bezirk benannt. Gedenktafeln befinden sich am Stadtschulratsgebäude (1., Dr.-Karl-Renner-Ring 1, Ringstraßenfront, mit Bronzerelief von Erich Pieler, 1954) und am Haus 9., Türkenstraße 3.

Werke (Auswahl)

  • Otto Glöckel: Drillschule, Lernschule, Arbeitsschule. Wien: Verlag der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei 1928
  • Otto Glöckel: Die österreichische Schulreform. Wien: M. Müller 1935
  • Otto Glöckel: Selbstbiographie. Sein Lebenswerk: Die Wiener Schulreform. Zürich: Verlag Genossenschaftsdruckerei 1939
  • Otto Glöckel − Mythos und Wirklichkeit. Schulreformen. Wien: Jugend & Volk 1985 (=Schulhefte 35)
  • Otto Glöckel: Ausgewählte Schriften und Reden. Hg. von Oskar Achs. Wien: Jugend und Volk 1985

Literatur

  • Friedrike Kraus: Otto Glöckel und die Wiener Schulreform der Ersten Republik. In: Der Standard online, 25.03.2022 [Stand: 17.05.2023]
  • Wilfried Göttlicher: Wiener Schulreform? Österreichische Schulreform? Die Schulreform Otto Glöckels, das Rote Wien und der schulpolitische Dualismus. In: Österreich Geschichte Literatur Geographie 65 (2021), S. 310–324
  • Karl Josef Westritschnig: Bildungspolitische Kontrahenten: Otto Glöckel und Richard Meister. München: Akademische Verlagsgemeinschaft 2012
  • Willi Urbanek [Hg.]: Auf der Spurensuche nach Otto Glöckel. Zur Bildungsrevolution Otto Glöckels. Wien: Pädagogische Akademie des Bundes in Wien 2006
  • Gerald Mackenthun: Otto Glöckel − Organisator der Wiener Schulreform. In: Gestalten um Alfred Adler. Pioniere der Indvidualpsychologie. Hrsg. von Alfred Levy und Gerald Mackenthun. Würzburg: Könighausen & Neumann 2002, S. 99–118
  • Oskar Achs [Hg.]: Schule damals − Schule heute. Otto Glöckel und die Schulreform [Ausstellungskatalog]. Wien [u. a.]: Jugend und Volk 1985
  • Grete Anzengruber [Hg.]: Otto Glöckel – Mythos und Wirklichkeit. Schulreformen. Wien [u. a.]: Jugend und Volk 1985
  • Hans Matzenauer [Hg.]: Die Schulreform geht weiter. Vorträge und Diskussionen anläßlich des Symposions zum 50. Todestag von Otto Glöckel. Wien [u. a.]: Jugend und Volk 1985
  • Alfred Magaziner: Die Wegbereiter. Aus der Geschichte der Arbeiterbewegung. Wien: Volksbuchverlag 1975, S. 144 f.
  • Oskar Achs / Albert Krassnigg: Drillschule, Lernschule, Arbeitsschule. Otto Glöckel und die österreichische Schulreform in der Ersten Republik. Wien [u. a.]: Jugend und Volk 1974
  • Hermann Schnell [Hg.]: 50 Jahre Stadtschulrat für Wien [1922−1972]. Wien [u. a.]: Jugend und Volk 1972, S. 154 ff.
  • Jean Maitron / Georges Haupt [Hg.]: Dictionnaire biographique du mouvement ouvrier international. Band 1: Autriche. Paris: Éditions Ouvrières 1971
  • Norbert Leser [Hg.]: Werk und Widerhall. Große Gestalten des österreichischen Sozialismus. Wien: Verlag der Wiener Volksbuchhandlung 1964, S. 168 ff.
  • Archiv. Jahrbuch des Vereins für Geschichte der Arbeiterbewegung 4 (1964), S. 42 (Bibliographie)
  • Felix Czeike: Wirtschafts- und Sozialpolitik der Gemeinde Wien. Wien [u. a.]: Jugend & Volk 1959 (Wiener Schriften, 11), S. 271 ff.
  • Zehn Jahre Schulreform in Österreich. Eine Festgabe. Otto Glöckel dem Vorkämpfer der Schulerneuerung gewidmet von seinen Mitarbeitern. Wien: o.V. 1929
  • Hans Fischl: Wesen und Werden der Schulreform in Österreich. Wien: Deutscher Verlag für Jugend und Volk 1929

Weblinks